Die Glocken waren verstummt. Stille lag über der Ebene zwischen dem Strom Armasin und der Feste Pherdon, doch es war kein Frieden darin.
Der Atem des Soldaten ging stoßweise, als er durch das feuchte Gras stapfte und verzweifelt versuchte, in dem Nebel etwas zu erkennen. Ein eisiger Klumpen der Furcht hatte sich in seinem Innern gebildet, als er den Befehl erhielt, herauszufinden, was bei Pherdon geschehen war, doch er hatte pflichtbewusst gehorcht. Nun lief er mit einer Handvoll Männern in einen möglichen Hinterhalt und kalter Schweiß rann ihm den Rücken hinab.
Dass Pherdon fallen könnte, hatte er nie glauben können. Zu oft hatte er selbst die stolzen Mauern gesehen und von der
Uneinnehmbarkeit der Festung gehört, davon, dass ihre Geschütze die schwach gepanzerten Shakariesoldaten zermalmen würden. In den zwei Jahren seit er zur Armee gegangen war, hatte der junge Mann mehr als einmal erlebt, dass die grausamen Eroberer aus dem Norden nicht zu unterschätzen waren, doch an Pherdons Überlegenheit hatte er nie gezweifelt.
Doch als am Morgen schwarze Wolken über der Ebene aufgetaucht waren, war die Wachmannschaft von Karn nervös geworden. Sie erkannten die Wolken als Vorboten eines Angriffs der Shakarie und bald gaben ihnen die Sturmglocken von Pherdon recht. Als aber die Glocken abrupt verstummten, ohne dass Hörner von einem Sieg der falamischen Verteidiger zeugten, war aus der Nervosität Angst geworden. Schließlich hatte man einen kleinen Trupp losgeschickt, um auszukundschaften was geschehen
war. Der Soldat zuckte zusammen, als der Wind die Nebelschwaden einen Moment aufreißen ließ und er eine Gestalt zu erkennen glaubte. Neben ihm sog einer seiner Männer erschrocken die Luft ein, doch dann lachte er erleichtert auf und drehte sich zu dem Soldaten um. „Nur ein Baum.“ Der Soldat wollte gerade das Lachen erwidern, als sein Gegenüber die Augen aufriss und leblos zusammenbrach. Ein Shakariesoldat stieg über die Leiche hinweg und schlug auf ihn ein, doch die verbliebenen Männer setzten sich erfolgreicher zu Wehr. Mit gezücktem Schwert drängte er einige der Angreifer zurück, doch er glaubte nicht daran, dass sie sich bis zur Feste durchschlagen
könnten. Zumindest nicht, wenn sie hinterher noch in der Lage sein wollten, Bericht zu erstatten. Wenn doch nur die Verteidiger der Festung ihnen zu Hilfe kämen. Einer seiner Männer sank getroffen zu Boden und der Soldat traf eine Entscheidung.
„Rückzug!“, rief er, doch seine Stimme war heiser und brüchig. Hastig zogen sich die Angreifer enger um sie, doch seine Männer folgten ihm, als er an einer Stelle durch den Ring brach und in den Nebel davonstürzte. Er konnte nicht sagen, was ihn getroffen hatte, doch plötzlich durchzuckte ein heißer Schmerz sein Bein. Er ging schwer zu Boden und einen Moment später beugte sich jemand über ihn. Durch den Schleier, der sich um seine Gedanken
legte, hörte er die Stimme eines seiner Kameraden. „Korporal Sanwa! Ihr müsst durchhalten! Macht die Augen wieder auf! Marilo!“
Tamaril hob den Kopf und fuhr sich mit der Hand durch das dichte weiße Haar. Er legte die Feder neben das Buch, in dem er bis eben noch geschrieben hatte und erhob sich.
Es war selten geworden, dass er beim Schreiben innehielt. Er hatte vor langer Zeit aufgehört, das Bedürfnis nach Schlaf oder Nahrung zu empfinden. Es war etwa zu der Zeit gewesen, da er aufgehört hatte, das zu sein, als das er geboren worden war. Seine Erinnerungen an damals waren nur noch bruchstückhaft, bestenfalls Bilder, Gefühle, die nun auch nur noch selten in sein Bewusstsein zurückkehrten, wenn er die Schreibfeder zur Seite legte und in den Wald ging. Der Wald, seltsam verzaubert durch die Macht eines Einhorns. Dieser Ort hatte ihn zu dem gemacht,
was er war. Was er war... Er wusste selbst nicht, als was er sich bezeichnen sollte. Seine Züge glichen immer noch denen des Jungen von sechzehn Jahren, der er gewesen war, als er hier eintraf. Aber mit der Zeit schien er selbst unwirklich zu werden. Er glaubte sich daran zu erinnern, dass sein Haar einmal dunkel gewesen war. Nun war es silberweiß, wie fast alles hier, außer seinen hellblauen Augen, in denen aber das Silber auch schon schimmerte. Silberweiß wie die Bäume, ihre Blätter, der Waldboden, silberweiß... wie das Einhorn. Er wusste, dass in diesem Wald einmal ein Einhorn gewesen war. Es hatte mit ihm geredet... oder war das nur ein Traum gewesen? Nun war es jedenfalls nicht mehr da und er
hatte längst aufgehört nach einem Weg fort von hier zu suchen. Er hatte einen neuen Sinn für sein Leben gefunden, als er begann zu schreiben. Er schrieb vom Krieg, Schlachtenglück und Untergang. Wenn er schrieb, vergaß er sich selbst, doch waren es nicht einmal seine eigenen Gedanken, die er niederschrieb, sondern vielmehr die Geschichte der Welt dort draußen, weit weg von ihm. Irgendwo kämpften andere um ihr Leben, aber ihre Geschichten aufzuschreiben hatte schon vor langer Zeit aufgehört ihn zu berühren. Doch aufhören konnte er nicht. Krampfhaft klammerte er sich an diesen letzten Bezug zu einer Welt, der er einmal selbst angehört haben mochte. Manchmal fragte er sich, ob dort draußen die
Zeit weiterlief, wenn er aufhörte zu schreiben oder ob der Lauf der Geschichte darauf wartete, dass er die Feder wieder aufnahm. Zumindest schien es ihm, als wäre überhaupt keine Zeit vergangen, als hätte die ganze Welt mit ihm innegehalten. Mit einem Seufzen kehrte er zurück an das schwarze Pult, das einzige, das hier nicht von diesem strahlenden Weiß war, und nahm die Feder wieder zur Hand. „Wer weiß,” sagte er leise, „vielleicht bin ich sogar der Herr der Zeit.”
Der Tau sammelte sich auf dem zarten Blatt des Maranfa-Strauchs und fiel zu Boden, als Ayala
mit dem Finger dagegen klopfte. Ihr langes, dunkles Haar fiel ihr ein wenig in die haselnussbraunen Augen, als sie sich bückte, um einige Blätter abzupflücken, und sie schob sie mit einer ungeduldigen Geste hinter die spitzen Ohren. Jara würde ungehalten sein, dass sie noch nicht zurück war. Sie war sofort bei Sonnenaufgang aufgebrochen um die begehrten Pflanzen zu sammeln, aber dieses Jahr schien es kaum welche zu geben und sie hatte fast den gesamten Morgen vergeblich danach gesucht. Dass sie das Tal noch nicht in und auswendig kannte, wie es auf dem Hof, wo sie aufgewachsen war, der Fall gewesen wäre, half ihr auch nicht gerade. Sie war jetzt gerade einmal ein halbes Jahr hier. Sie erinnerte sich
noch daran wie sie von neugierigen Kindern umringt das Dorf betreten hatte, in dem Jara lebte. Ihre Mutter kannte die alte Heilerin flüchtig und so war Ayala schließlich hierher gekommen, um die Kunst des Heilens zu erlernen. Das Dorf war ein Zufluchtsort, eines von vielen Bergdörfern, in die die Frauen und Kinder aus den umkämpften Nordregionen Falamars geschickt wurden und Heiler wurden stets gebraucht. Das war es wohl, wozu sie bestimmt war. Dennoch war sie nicht sicher, ob sie wirklich glücklich über die Entscheidung ihrer Eltern, sie fortzuschicken, sein sollte. Zu sehr vermisste sie ihr Zuhause, ihre Freunde, besonders Marilo, den Jungen, mit dem sie aufgewachsen war und den sie ihren Sako, ihren Bruder, nannte. Die Erinnerung ließ Ayala
lächeln. Sie hatte seitdem vieles gelernt, manches davon auf schmerzhafte Weise. Jara war nicht die geduldigste Frau und Ayala, die bis jetzt nur die Fürsorglichkeit ihrer Eltern gekannt hatte, musste plötzlich weitgehend für sich selbst sorgen. Na, wenn es sein muss, komme ich auch so zurecht, versprach sie sich selbst. Sie würde vor der strengen Jara nicht klein beigeben. Und irgendwo musste es doch auch noch diese verflixten Maranfas geben. Ayala ließ ihren Blick über die bewaldeten Hänge schweifen und er blieb schließlich an einer kleinen, grünen Mulde hängen. Dort standen keine Bäume mehr, da sie sich dichter an dem baumlosen, steinigen Gipfel des Berges befand, an dessen Hang sie hinaufgeklettert
war. Sie konnte sich noch daran erinnern, vor einigen Wochen dort gewesen zu sein, als sie und Jara gewandert waren. Die ältere Frau hatte versucht, ihr den Großteil des Tals um das Dorf herum zu zeigen und sie hatten nahe des Gipfels eine Rast eingelegt. Ayala erinnerte sich dunkel daran, in der Nähe eine Menge Pflanzen gesehen zu haben.
Der Aufstieg würde noch etwas Zeit beanspruchen, aber es war besser, als Jara mit ihrer jetzigen mageren Ausbeute unter die Augen zu treten. Sie seufzte wieder. Jara konnte wirklich eine gutherzige Frau und großartige Geschichtenerzählerin sein, aber oft stieß sie andere mit ihrer rauen Art vor den
Kopf. Um sich trotz des Aufstiegs zu sputen, begann sie zu klettern und sich nicht weiter ihren Gedanken hinzugeben. Je höher sie stieg, desto freier fühlte sich das Mädchen. Schließlich erreichte sie eine Anhöhe und sah sich neugierig um. Vor sich konnte sie erkennen, wie das Tal nach Osten hin weiter wurde und schließlich in der Ferne in der großen Ebene von Falamar mündete, die ihrem Volk seinen Namen verliehen hatte. Sanft erstreckte sich das Land über grüne Hügel in denen eingebettet wie leuchtende Saphire die zahlreichen Seen oder Suliane, wie sie in der alten Sprache der Falamar hießen, lagen. Die Ebene reichte weiter, unterbrochen von kleinen Hügelländern und lichten Wäldern, nach
Osten bis zu den Küsten des Alten Meeres, Lanoar. Ayala hatte das Meer, das im Süden und Osten die Grenzen ihres Heimatlandes bildete, nie gesehen, aber sie hatte schon so viele Geschichten von den Stränden und Steilküsten am Rande der Ebene Falamar gehört, dass sie nur die Augen schließen musste, um das Rauschen der Wellen zu hören, die Nachrichten in einer Sprache brachten, die nur diejenigen verstehen konnten, die mit dem Herzen zuhörten. Eigentlich war sie noch nicht an vielen Orten ihres eigenen Landes gewesen, wie Ayala feststellte. Sie hatte weder die stolzen Zinnen von Triannar, der Hauptstadt Falamars, die von drei Seen umgeben im Süden des Landes lag, noch den mächtigen Strom Armasin, der im Norden kaltes Wasser aus den Bergen zum Meer trug, jemals zu Gesicht bekommen. Und im Falle Armasins war das vielleicht auch
besser. Denn jenseits des Stroms begann bald das Territorium der Shakarie. Die Falamar scheuten sich davon zu sprechen, nannten es das Namenlose Land, von dem nur Böses kommen konnte. Doch wurde im Flüsterton erzählt, dass das Land tot zu sein schien. Es war ein Sumpf mit verrottenden Bäumen, durch die ewiger Nebel trieb, der jeden Wanderer seinen Weg verlieren und ihn unweigerlich in die Arme der Shakarie treiben würde... oder in das gnädigere Schicksal eines kalten Todes in einem Schlammloch. Ein Land, das so todbringend wie seine Bewohner war. Ayala fröstelte bei dem Gedanken an das, was an den Grenzen vor sich ging. Sie hatte von den Kämpfen nur von dritten gehört und konnte und wollte sich nicht vorstellen, was dort geschah. Doch seit vor zwei Jahren Marilo zur Armee gegangen war, wanderten ihre Gedanken
immer öfter zu dem Schrecken, den sie sonst so gut verdrängt hatte. Marilo war einige Jahren älter als sie und hatte stets auf sie aufgepasst, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war. Nun war er weit fort und würde vielleicht nie wieder zurückkehren. Ayala wies sich in Gedanken zurecht. Natürlich würde er zurückkehren. Sie sah wieder zum Gipfel hinauf und beeilte sich, die letzten Meter zurückzulegen. Schließlich erreichte sie die Mulde, die sie von unten gesehen hatte. Aus der Nähe betrachtet war sie bei weitem nicht so grün und einladend, wie es von unten ausgesehen hatte. Die Pflanzen, an die sie sich erinnert hatte, kämpften sich recht spärlich zwischen den scharfkantigen Steinen und karger Erde nach oben. Aber sie waren noch da. Ayala lief
gebückt zwischen den Felsen umher und raffte zusammen, was sie an Maranfas finden konnte. Wenige Augenblicke später war sie mit ihrem Bündel Maranfas auf dem Weg hinunter ins Tal. Mochte Jara schimpfen, sie würde schon ihren Weg finden, dachte sie mit einem kleinen Lächeln.
Tamaril lächelte. Er war sich dessen nicht bewusst, denn es war in Wahrheit schon lange her, dass seine Züge einen anderen Ausdruck gezeigt hatten, als die immerwährende Traurigkeit in seinen Augen. Dieses seltsame Mädchen hatte sich vor einigen
Wochen in seine Geschichte gedrängt, worüber er überrascht gewesen war. Hatte er doch bis jetzt nur über die Schicksale der großen Herrscher und Feldherrn des Krieges zwischen Falamar und Shakarie geschrieben. Was also tat ein junges Mädchen in seinen Aufzeichnungen des großen Krieges? Tamaril merkte, dass es ihm eigentlich gleich war, solange er weiter über sie schreiben konnte, mit ihr noch einmal diese Unbeschwertheit erleben und vielleicht sogar mit ihr ein wenig glücklich sein durfte. Tamaril lächelte.
Der Schrei hallte durch das Lager, schien zwischen den Nebelschwaden zu verharren und verklang dann schließlich in einem erstickten Keuchen. Jorcans Kopf fuhr hoch. Er hatte genug Todesschreie gehört, um einen zu erkennen. Die Frage war nur, ob das Opfer zu seinen eigenen Leuten gehörte oder ob es ein gefangener Falamar gewesen war, der sich leichtsinnigerweise zu dicht an das Kriegslager der Shakarie gewagt hatte. Jorcan empfand beide Möglichkeiten als höchst ärgerlich. Ihre eigene Zahl war klein genug und musste nicht noch durch Streitigkeiten dezimiert werden. Und ein Falamar, der mutig oder dumm genug war, hierher zu kommen, war höchstwahrscheinlich ein Spion, den man vor
seiner Hinrichtung noch gründlich verhören konnte. Der junge Shakarie-Prinz bahnte sich wütend einen Weg zwischen den einfachen Kämpfern, die einzeln oder in kleinen Gruppen herumsaßen oder trainierten, hindurch und traf schon bald auf die Quelle des Schreis. Neben einem Shakarie-Krieger, der auf dem Boden in einer sich schnell ausbreitenden Lache Blut lag, stand ein anderer Soldat, den blutverschmierten Dolch noch in der Hand. Auch er hatte einige blutige Schrammen, die andeuteten, dass sein Opfer nicht ohne Gegenwehr gestorben war. Jorcan stieß ein paar der zuschauenden Krieger zur Seite und packte den Schuldigen an der
Schulter. In Erwartung einer neuen Herausforderung fuhr dieser zu ihm herum, dann erkannte er die Zeichen an Jorcans Kapuze und das Amulett mit dem Bild des brennenden Dolches um seinen Hals. Die Maske, die das Gesicht des Kämpfers bedeckte, ließ nur seine Augen frei, doch seine herabsackenden Schultern zeigten die Furcht des Mannes deutlich genug. Auch Jorcans Züge waren wie bei den Shakarie üblich hinter einer Maske verborgen. Seine Augen wurden schmal. Als der Krieger zu einer Verteidigung ansetzte, hob der Prinz nur die Hand und schlug ihm hart ins Gesicht. Der Mann taumelte zurück, blieb aber auf den Beinen und erwiderte den eisigen Blick Jorcans kalter grauer
Augen. „Dein Name,” zischte Jorcan ihn an. „Sooral. Dritter Kämpfer der Schatten.” „Ich sehe deinen Rang,” knurrte Jorcan mit einem Blick auf die Muster von Soorals Amulett und den Schnitt seiner Kapuze. „Hältst du mich für einen blinden Narren? Antworte gefälligst nur auf das was ich dich frage!” Der Mann senkte den Blick um den jungen Prinzen nicht noch mehr zu verärgern. „Ja, Mylord.” Jorcan warf einen kurzen Blick auf die Leiche. „Warum?” Sooral hob den Blick wieder. „Er hat meine Ration
gestohlen.” „Warum hast du nichts gemeldet?” „Gemeldet?” Soorals Augen wurden groß vor ehrlicher Verblüffung. „Wer würde mich noch respektieren, wenn ich so überaus feige handeln würde?” Jorcan sah den älteren Mann lange an, ließ seinen Blick wieder zu der Leiche hinter ihm wandern, die niemanden wirklich zu kümmern schien, und richtete die Augen schließlich auf die Umstehenden, die ihn neugierig und erwartungsvoll ansahen. „Dann sag mir nur noch, Sooral: Warum habe ich so dumme Untergebene?” „Wie könnt Ihr das sagen?” fuhr Sooral auf, der wohl neuen Mut daraus geschöpft hatte, dass er bis jetzt noch nicht wirklich bestraft worden
war, und dessen Tonfall dadurch etwas zu hochmütig geriet. Jorcans einzige Antwort war eine schallende Ohrfeige. Doch als er zum nächsten Schlag ausholte, trat Sooral geschmeidig zur Seite und versuchte selbst einen Hieb anzubringen. Jorcan tauchte unter der Faust weg, packte Sooral an den Schultern und rammte ihm das Knie in die Magengrube. Als sein Gegner zusammenklappte und verzweifelt nach Atem rang, schickte ihn ein harter Schlag in den Nacken zu Boden. Jorcan war sofort über ihm, riss ihn zu sich herum und bearbeitete ihn mit Faustschlägen, ohne wahrzunehmen wie die Gegenwehr seines Opfers nachließ und seine eigenen Hände sich blutrot färbten. Wie konnten sie nur solche Narren sein? Es herrschte bitterer Krieg, immer mehr Kinder wurden tot geboren oder starben in den ersten
Wochen ihres Lebens, die Falamar wehrten sich immer verzweifelter und brutaler, je mehr sie in ihr Reich eindrangen, und doch mussten sie ihre eigenen Ränge durch ihren dummen Stolz zusätzlich ausdünnen. Auf einmal wurde Jorcan sich bewusst, dass er im Begriff war dasselbe zu tun. Er hielt inne und hörte für einen Moment auf zu atmen. Dann tastete seine blutbesudelte Hand nach Soorals Hals. Als er den Puls spürte und einen Moment später bemerkte, dass sich die Brust des Mannes noch hob und senkte, erhob er sich angespannt. Die Umstehenden starrten ihn mit einer seltsamen Mischung aus Angst, Entsetzen und Erleichterung, dass nicht sie an Soorals Stelle waren, an. „Kümmert euch um ihn. Ich habe keine Lust an einem Tag ohne Schlacht zwei Soldaten zu verlieren,” zischte er kaum
hörbar. „Mylord?” Die Stimme kam nicht von den Männern um ihn herum, sondern von einem Jungen, der unbemerkt an ihn herangetreten war. „Was gibt es?” Jorcan gelang es den Zorn in seiner Stimme so weit zu unterdrücken, dass nur noch ein leichtes Zittern verriet, wie es in ihm aussah. Der Junge sank auf ein Knie. „Euer Vater verlangt Euch zu sehen, Mylord.” Jorcan atmete langsam ein und wieder aus, dann nickte er dem Jungen kurz zu, der sich erhob und im Nebel, der durch das Lager trieb, verschwand. „Mein Vater,” wiederholte Jorcan
leise. Ohne noch einmal zurückzusehen machte sich Jorcan auf den Weg zum Zentrum des Lagers. Er musste einen Umweg durch den Teil einschlagen, wo sich die Frauen zwischen ihren Ausrüstungsgegenständen, Waffen und sonstigen Habseligkeiten aufhielten, da ihm ein Wasserlauf mit trügerisch seicht aussehendem schwarzen Moorwasser den Weg versperrte. Sie hatten einfach keinen trocken Platz gefunden, der ausreichte das gesamte Lager zu beherbergen. Die Kriegerinnen wurden im allgemeinen auf Feldzügen mehr oder weniger streng von den Männern getrennt, um die in der Regel ausbrechenden Feindseligkeiten und Rivalitäten auf ein Minimum zu begrenzen. Doch auf ihre Kampfkraft wollte niemand
verzichten. Sie nahmen kaum Notiz von Jorcan, der dafür beinahe dankbar war, hatte er doch andere Dinge im Sinn. Wenn die Reihe an ihn kam, würde er zurück zur Feste Sarkon kehren und eine Familie gründen, wie es von ihm erwartet wurde. Nachwuchs wurde stets benötigt um ihre ohnehin kleine Zahl nicht weiter sinken zu lassen. Doch noch warteten andere Aufgaben auf den jungen Prinzen. Im Zentrum des Lagers war ein notdürftiges Zelt aufgebaut, das aber immer noch mit mehr Komfort aufwartete, als die Unterkünfte der einfachen Soldaten. Jorcan schob einen der schweren Vorhänge zur Seite, die den Eingang versperrten, und trat in das von Pechfackeln erhellte
Halbdunkel. Das Innere war kaum einladender als es von außen gewirkt hatte. Der meiste Platz wurde von einem einfachen Tisch eingenommen, auf dem mehrere Karten der umkämpften Gebiete, sowie skizzenhafte Zeichnungen des Landesinneren, die nach den Angaben unglücklicher gefangener Falamar erstellt worden waren, lagen. Dahinter befand sich nur die Lagerstatt seines Vaters, die zuweilen auch als Sitzgelegenheit diente. Eine Bewegung zu seiner Linken ließ ihn zusammenfahren. „Du scheinst angespannt zu sein. Beruhige dich,” erklang eine leise Stimme neben ihm. Trotz der Worte konnte Jorcan beim Klang dieser tonlosen Stimme kaum ein Schaudern
unterdrücken. Narcal, König der Shakarie, musterte seinen Sohn kühl. Jorcan erwiderte den Blick, musste dazu aber den Kopf heben. Sein Vater überragte ihn noch immer um Haupteslänge, war aber selbst für einen Shakarie beinahe ungewöhnlich schlank und sehnig. Als er an seinem Sohn vorbeischritt, konnte Jorcan den Dolch, den Narcal wie ein Amulett um den Hals trug, aufleuchten sehen. Eigentlich war es kein Dolch sondern ein spitzes Horn, das wie mit ureigenem Feuer zu leuchten schien, ohne dabei jemals heiß zu werden. Der junge Prinz wusste nicht, um was für ein Artefakt es sich handelte, wusste nur, dass sein Vater das Ding nie aus den Augen ließ, dass es unglaublich mächtig sein musste und dass es seiner Familie ihren Namen und ihr Zeichen gegeben
hatte. Unbewusst fühlte er nach seinem eigenen Amulett mit dem Bildnis des brennenden Dolches und das schien sein eigenes Selbstvertrauen wieder zu beflügeln. Narcal nahm ihm gegenüber Platz ohne den durchdringenden Blick seiner dunkelblauen Augen von ihm zu nehmen, die bei einem anderen sicher einladend und warmherzig gewirkt hätten, doch bei dem Herrn der Shakarie eine bemerkenswerte Kälte und Rücksichtslosigkeit ausstrahlten. „Du hast Blut an den Händen,” bemerkte Narcal ruhig. „Es ist nicht meines.” Narcal lächelte bei dieser Antwort und auch
wenn Jorcan die Bewegung wegen der Maske seines Gegenübers nicht sehen konnte, spürte er doch, dass dies die Antwort war, die seinen Vater zufriedengestellt hatte. Er kam einen Schritt näher und warf einen Blick auf die Karte, die auf dem Stapel zuoberst lag. Jorcan hob eine Augenbraue und sah seinen Vater verwirrt und fragend an. „Das Bergland?” „Richtig.” „Aber warum sollten wir in den Westen von Falamar ziehen? Unsere letzten Feldzüge entlang des großen Stromes waren recht erfolgreich. Sollten wir nicht unsere Streitkräfte zur Einnahme der Brückenfestungen ausschicken?” Narcal warf ihm einen eisigen Blick zu. „Du bist ein guter Stratege und glücklicherweise
nicht ganz so dumm wie einige der Narren, die mir als Feldherren gedient haben. Aber noch immer verstehst du nicht, was es wirklich bedeutet, Krieg zu führen.” „Dann sagt es mir, Vater. Was hat es für einen Nutzen unsere Truppen in dieses unwegsame Gebiet zu führen, wo die Falamar lediglich immer mehr ihrer Frauen und Kinder hinschicken, und die keinerlei strategische Bedeutung hat.” Er zuckte diesmal nicht zusammen als sein Vater seinen Kampfdolch mit einer plötzlichen, zornigen Bewegung in den Tisch rammte. „Furcht!” hörte er Narcal knurren. „Das ist der Nutzen! Wir kämpfen in diesem Krieg nicht nur mit Waffen aus Metall, sondern auch mit solchen, die verheerender und schmerzhafter sind. Du hast richtig erkannt, diese Dörfer
haben für uns keinen strategischen Wert und es gibt nicht einmal viele Krieger dort, die es zu vernichten gälte. Aber sag mir, mein Sohn, macht es das nicht noch verlockender? Niemand erwartet einen Angriff dort, die Dörfer sind so gut wie hilflos, unser Einfall umso vernichtender. Und wenn wir sie dort treffen, sie dort auslöschen, ihnen ihre Frauen und Kinder nehmen, die, die sie lieben und die ihre Zukunft sind, werden sie uns dann nicht noch mehr fürchten?” Ein Leuchten blitzte in Narcals Augen, das Jorcan das Atmen vergessen ließ. „Und ich sage dir, ein furchtsamer Krieger ist schon beinahe ein toter Krieger.” Jorcan erwiderte den Blick seines Vaters. „Sie werden uns umso mehr hassen. Sie hassen uns schon jetzt so sehr, wie viel mehr, wenn wie einen solchen Schlag gegen sie führen? Sie werden nicht länger ruhen und eher in den Tod
gehen als vor uns weiter zurückzuweichen.” „Auch blinder Hass macht einen schwachen Krieger zu einer leichten Beute.” Narcal erhob sich und ging langsam um den Tisch herum, um dann direkt vor seinem Sohn zu stehen zu beleiben und diesen so zu zwingen, zu ihm hinaufzusehen. „Und schließlich ist die Entscheidung schon längst gefallen.” Jorcans Augen weiteten sich. „Was?!” „Der Trupp, den ich ausgewählt habe, ist vor einigen Tagen aufgebrochen. Du wirst ihnen mit einer kleinen Eskorte folgen und den restlichen Feldzug koordinieren.” Ein spöttisches Glitzern schlich sich in Narcals Augen. „So war es doch schon immer mit dir. Du fürchtest von dem gewohnten Muster abzuweichen. Nun gut, ich habe dir den ersten
Schritt abgenommen. Tue nun das, was du am besten kannst.” Jorcan biss sich so fest auf die Lippe bis er Blut schmeckte. Ohne ein Wort drehte er sich um und schickte sich an das Zelt zu verlassen. Die Hand seines Vaters legte sich wie kaltes Eisen auf seine Schulter und zwang ihn zu hören, was ihm mit auf den Weg gegeben wurde: „Du solltest besser schätzen was für einen Aufwand ich mit dir treibe. Wärst du nicht mein Sohn, hättest du diese Position nie erreicht und wärst auch nie fähig sie zu halten. Ich erwarte, dass dieser Feldzug zu einem völligen Erfolg wird. Etwas anderes werde ich von meinem Sohn nicht akzeptieren.” Draußen war die Abenddämmerung über den Sumpf hereingebrochen, doch die Kälte, die Jorcan spürte, kam nicht von dem Wind, der die Nebelschwaden durch die verrottenden Bäume
trieb. In seinem Herzen spürte er eine solche Leere, dass er kaum noch wahrnahm wie er einen Fuß vor den anderen setzte, instinktiv den richtigen Weg über den trügerisch fest aussehenden Boden wählte. Sein Vater würde ihn nicht mehr als Sohn akzeptieren, wenn er ihm nicht die gewünschten Ergebnisse lieferte, das war es, was er eigentlich gesagt hatte. Jorcan machte sich keine Illusionen darüber was das für Konsequenzen haben würde, wusste, dass unter den Shakarie kein Platz für diejenigen war, die versagten. Aber hatte es ihn wirklich überrascht, was im Zelt geschehen war? War es nicht schon immer so gewesen? Und stand es überhaupt so ernst um ihn? Sein Vater hatte recht, niemand erwartete den Angriff und er hatte sich schon in früheren Schlachten bewährt, an der Seite Narcals und auf sich allein
gestellt. Um die Falamar machte er sich ohnehin keine Gedanken. Nach allem was er von ihnen gesehen hatte, waren sie viel zu schwach, um das behalten zu können, was sie im Moment noch in ihrem Besitz glaubten. Ungeziefer, das ihren eigenen Plänen im Weg stand, das aber letztlich beseitigt werden würde. Als er sich Stunden später sein Bündel umschnallte und seiner zwei Mann starken Eskorte den Befehl zum Aufbruch gab, lächelte der Prinz der Shakarie hinter seiner Maske.
„Nun mach schon, Mädchen!” schalt Jara ungehalten. „So wie du das Messer hältst, ist es
kein Wunder, wenn du morgen noch nicht fertig bist.” Ayala seufzte. „Ich versuche bloß alle meine Finger zu behalten. Außerdem sind diese Wurzeln zäher als alles, was ich in meinem Leben bisher gesehen habe.” Die ältere Falamar lächelte verschmitzt. „Du wirst doch wohl nicht behaupten, dass du schon viel gesehen hast. Als du hier ankamst, konntest du eine Mohrrübe kaum von einer Kartoffel unterscheiden.” Ayala grinste zurück. „Es wachsen ja auch beide in der Erde, oder? Wo liegt also der Unterschied? Wie dem auch sei, dieses Messer ist einfach zu stumpf. Es... AUTSCH!” Sie hob die Hand zum Mund und sog an dem malträtierten Daumen. Sie warf Jara einen nach Mitleid heischenden Blick zu, doch als sie das
Gesicht ihrer Lehrerin sah, in dem eine Fröhlichkeit lag, die sie dort bisher nur selten gesehen hatte, konnte sie ihrer gequälten Gesichtsausdruck nicht länger aufrechterhalten. Noch immer mit dem Daumen im Mund fing sie glucksend an zu lachen und schloss sich Jara bald in ihrem schallenden Gelächter an.
„Mädchen,” lachte die alte Falamar so vergnügt wie ein junges Mädchen, „du hättest dein Gesicht sehen sollen, als du dich geschnitten hast.” Ayala versuchte einen wenigstens halbwegs glaubwürdigen Schmollmund zu ziehen. „Na, ist ja toll, wenn meine Schmerzen dich unterhalten.” „Ach Mädchen, jetzt wo du hier bist, merke ich erst wie still es hier in den letzten Jahren geworden ist. Zwar treffen noch immer alle paar
Wochen Familien von Soldaten ein, aber viele ziehen auch weiter nach Süden und die paar, die bleiben, haben genug damit zu tun, sich hier ein neues Heim aufzubauen. Und wer kommt da schon auf die Idee, die alte Jara zu besuchen?” „Oh, Jara. So alt bist du doch gar nicht. Wenn man dich manchmal nur hört, könnte man denken, du wärst meine ältere Schwester.” Jara warf ihr einen hintergründigen Blick aus ihren blitzenden dunkelbraunen Augen zu. „Wenn du nicht aufpasst, glaubt dir bald keiner mehr ein Wort.” Ayala grinste nur und lehnte sich etwas zurück, als sie die Arbeit wieder aufnahm und versuchte die Wurzeln, die Jara ihr gegeben hatte, von der schützenden Rinde zu befreien, ohne sich zu
verletzen. Sie hatte sich in den letzten Wochen großartig eingelebt und endlich ihre Scheu vor Jara verloren, wenn sie auch manchmal wehmütig an ihre Familie und alten Freunde dachte. Als der Frühling dem Sommer wich, war Ayala in der Wärme der Sonne aufgeblüht. Selbst als das Wetter in den letzten Tagen schlechter wurde, blieb ihre gute Laune. Sie lernte schnell und wusste inzwischen, wie sie Jara zu nehmen hatte, um in ihr eine gute Freundin zu haben. Draußen war die Sonne zwar schon vor Stunden untergegangen, doch hatte das kaum eine der beiden wahrgenommen, da auch der Tag nicht sehr hell gewesen war. Über dem behaglichen Knistern der Feuerstelle heulte vor dem Fenster noch immer der Sturm und dicke Regentropfen hämmerten auf das
Dach. Ayala starrte gedankenverloren in das wärmende Feuer und zog das letzte Stück Rinde von der Wurzel. „Begleitest du mich morgen wieder zur alten Sira?” unterbrach Jara sie in ihren Gedanken. „Ist die Salbe für sie?” Jara nickte. „Du weißt, wie empfindlich sie ist. Also sorge dafür, dass keine Rindenstücke später im Sud landen.” „Aber warum hast du mir das nicht früher gesagt? Für die Salbe der alten Sira brauchen wir doch Maranfas. Und falls ich nicht plötzlich mit Blindheit geschlagen bin, haben wir kein einziges Blatt davon mehr im
Haus.” Jara sah sie mit großen Augen an und fuhr sich mit ärgerlicher Geste über die weißen Haare. „So was! Das ist mir ja noch nie passiert. Wenn du das gesehen hast, wieso hast du dann nicht gleich für Abhilfe gesorgt?” „Ich habe es doch auch erst gestern Abend gesehen.” „Und warum bist du dann nicht heute morgen gleich los um neue zu suchen?” „Aber heute morgen hast du mich doch...” „Papperlapapp! Ich wusste ja nicht, wie schlampig du mit den Vorräten umgehst. Morgen in aller Frühe gehst du los und sammelst neue
Maranfas.” „Aber man findet inzwischen so gut wie keine mehr. Außerdem regnet es schon seit Tagen.” Jara warf ihr einen ihrer überzeugendsten ‘Ich-dulde-keinen-Widerspruch-Blicke’ zu und beendete die Diskussion. Mit einem resignierten Seufzen erhob sich die junge Falamar und räumte den Holztisch ab. „Wenn du erlaubst, gehe ich dann besser gleich zu Bett.” Jaras Züge wurden sofort weicher. „Ayala, ich weiß, es fällt dir immer noch etwas schwer so weit weg von zu Hause zu sein. Und ich bin vielleicht auch nicht immer leicht zu ertragen, aber du weißt, dass diese Arbeit wichtig für das Dorf ist, gerade für die Kranken und Schwachen. Und ich werde langsam zu alt dafür,
durch die Berge zu rennen und die Heilkräuter zu sammeln. Deshalb gebe ich mein Wissen an dich weiter, denn wie könnte ich in Frieden gehen, solange ich nicht weiß, dass für alles gesorgt ist? Es hat mich sehr glücklich gemacht, dass du zu mir gekommen bist, und ich möchte, dass du weißt, wie stolz ich auf deine Fortschritte bin.” Ayala ging zu der alten Frau hinüber und legte ihr schweigend eine Hand auf die Schulter. Sie hatte Jara nie so sprechen gehört, aber sie spürte, dass die Worte von Herzen kamen. „Schon gut. Natürlich gehe ich morgen. Und wenn es noch irgendwo Maranfas gibt, finde ich sie auch.”
Der Morgen war kaum weniger düster als der Abend, aber zumindest hatte der Regen etwas nachgelassen. Als Ayala kurz vor Sonnenaufgang in einen dicken Umhang gehüllt das Haus verließ, hatte sie Jara nicht einmal mehr gesehen, aber sie wusste ja, dass ihr Lehrmeisterin sich keine Sorgen darum machen würde, wo sie war. Der prasselnde Regen war einem warmen Nieseln gewichen und als Ayala durch die verlassenen, aufgeweichten Straßen wanderte, überlegte sie kurz ihre viel zu leichten Schuhe auszuziehen, da sie doch keinen wirklichen Schutz vor dem zähen Schlamm boten. Aber sie würde die Schuhe brauchen, sobald sie höher stieg und entschied sich daher dagegen. Bevor sie das ans Dorf angrenzende Wäldchen betrat, blickte sie noch einmal zurück und eine Schwermut überkam sie, die sie selbst nicht begreifen konnte. Von vielen kleinen
Schornsteinen stieg bereits Rauch in die graue Dämmerung auf, doch Jaras Haus konnte sie durch den Regenschleier nicht mehr ausmachen. Sie schob die Kapuze zurück und ließ den Regen über ihr Gesicht laufen. Dann zwang sie sich zu einem Lächeln, wandte sich zum Wald um und verließ das Dorf.
Tamaril lehnte sich zurück und legte die Feder zur Seite. Seine Hand zitterte. Er bemühte sich ruhig zu atmen, aber er konnte kaum verbergen, dass er zutiefst aufgewühlt war. Was sollte das? Er hatte von Schlachten geschrieben, die blutiger und erbitterter gewesen waren, als das, was wohl bald in dieser
friedlichen Gegend geschehen würde. Warum ging es ihm diesmal so nahe? War es das Mädchen? Oder waren es vielmehr... die Shakarie? Ihm wurde bewusst, dass er in den vergangenen Tagen begonnen hatte, sie aus tiefstem Herzen zu hassen. Aber war er früher der Grausamkeit nicht gleichgültig gegenüber gewesen? Dann hatte es vielleicht doch mit dem Mädchen zu tun. ,Aber was immer es ist, ändern kannst du sowieso nichts,’ dachte er bei sich. Er strich sich die silberweißen Haare aus dem Gesicht und streckte die Hand nach der Feder aus. Sie hatte aufgehört zu zittern.
Der Schlamm hing hartnäckig an Ayalas Kleid, ihren Schuhen, zerrte an ihren Beinen, schien sie aufhalten zu wollen. Sie hatte einen großen Teil des Aufstiegs hinter sich gebracht, aber es schien ihr, als würde sie überhaupt nicht vom Fleck kommen.
Sie lehnte sich erschöpft an einen der Bäume, die hier nur noch vereinzelt an den in der letzten Zeit seltsam abweisend gewordenen Berghängen standen. Der Schweiß lief ihr das Gesicht herab, vermischte sich mit Regenwasser und ließ die junge Falamar sich so elend fühlen, dass sie mit dem Gedanken spielte, zu Jara unverrichteter Dinge zurückzukehren. Statt dem Gefühl nachzugeben, entschied Ayala sich kurzerhand den schweren Mantel zurückzulassen. Sie war ohnehin schon
durchnässt und der Aufstieg würde ohne die zusätzliche Last sicher um einiges leichter sein. Sie streifte den Mantel ab und hängte ihn an einen der unteren Äste. Als sie das nächste Mal innehielt, war sie schon fast an der Stelle angelangt, wo sie vor einigen Wochen noch Maranfas gefunden hatte. Doch dieses Mal war der Anblick ein anderer. Das durch den Regen aufgeweichte Erdreich war den Hang etwas heruntergerutscht und enthüllte einen dunklen Riss, der direkt in den Berg hinein zu führen schien. Das schwarze Loch erweckte bei Ayala eine beinahe irrationale Furcht und sie fröstelte, trotz der drückenden Wärme. Als sie gebückt näher schlich, entdeckte sie im braunen Schlamm einen kleinen Fetzen Grün. Sie sah näher hin und lächelte erleichtert als sie
das Maranfablatt als das erkannte, was es war. Sie langte mit beiden Händen zu, befreite die Pflanze von den zähen Erdklumpen und schob sie in ihr kleines Bündel. Es war vielleicht eine kümmerliche Ausbeute, aber für die alte Sira würde es vorerst reichen. Sie hatte die graugekleidete Gestalt hinter ihr nicht kommen gehört. Das einzige, was sie warnte, war ein plötzlicher eisiger Hauch in ihrem Rücken. Sie versuchte sich umzudrehen und rutschte dabei auf dem steilen Untergrund weg. Der Dolch zischte über sie hinweg und streifte lediglich ihre Wange. Ayala erstarrte vor Schrecken und Entsetzen. Seit sie ein kleines Kind gewesen war, hatte man ihr immer wieder von den Shakarie erzählt. Aber trotzdem hatte sie nie die
Möglichkeit in Betracht gezogen, dass einer dieses grausamen Volks ihr begegnen könnte. Und doch ragte er nun vor ihr auf, wie ein Alptraum, der wahr geworden war. Für den Bruchteil einer Sekunde starrte sie ihn an und er erwiderte ihren Blick mit dunklen Augen, in denen kalter Hass und Abscheu brannten. Das Mädchen war sich verwirrend vieler Details bewusst, wie dem Amulett mit den blutigen Klauen, das um seinen Hals baumelte, der seltsam unsichtbar machenden grauen Kapuze und der Maske, die ihr den Blick auf das Gesicht ihres Todfeinds verwehrte. Dann war der Augenblick vorüber und Ayala musste erkennen, wie unsicher ihre ganze Position war. Der Shakarie stand etwas unterhalb am Hang, aber dennoch dicht genug, um über ihr, die beinahe am Boden hockte,
aufzuragen. Getrieben von purem Überlebensinstinkt stieß sie sich vom Boden ab und nutzte ihren Schwung, wie auch die Schwerkraft, ihm ihre Schulter gegen die Brust zu rammen. Er taumelte einige Schritte zurück und Ayala nutzte die Gelegenheit, um sich nach rechts hin, weg von dem Dolch, abzurollen. Der Shakarie zischte wütend und riss seinen Degen mit der Linken aus der Scheide. Ayala tauchte unter einem Schlag weg und eilte in dem verzweifelten Versuch, etwas Distanz zwischen sich und ihn zu bringen, den Abhang hinab. Der bewegliche Shakarie war innerhalb weniger Sekunden dicht hinter ihr. Ein Hieb der längeren Klinge ließ sie zur Seite hechten, wo der Dolch auf sie wartete. Ayala versuchte erst
gar nicht, ihren Schwung umzukehren. Statt dessen änderte sie etwas die Richtung und ließ sich nach vorn fallen. Der Dolch zog eine blutige Linie über ihren Oberarm. Die junge Falamar taumelte einige Schritte nach vorne, schaffte es aber, auf den Beinen zu bleiben. Sie sah an sich herab und spürte eine entsetzliche Übelkeit in sich aufsteigen, als sie das Blut ihre Seite herabfließen sah. Unendlich langsam, wie es ihr schien, wandte sie sich zu dem Shakarie um, der sie noch immer nicht durchbohrt hatte. Ihr Gegner lächelte für sie unsichtbar und schlug ihr mit dem Heft seines Dolches ins Gesicht. Von ihr unbemerkt hatte sie sich zu einer Stelle am Hang treiben lassen, wo die Wand nach einem kleinen Überhang, auf dem Ayala nun stand, recht steil nach unten
führte. Alles schien nur noch in Zeitlupe abzulaufen, als sie benommen das Gleichgewicht verlor und von dem Shakarie nach hinten wegkippte. Sie spürte den Wind in ihren Haaren, als sie die anderthalb Meter stürzte um dann schmerzhaft auf den steinigen Boden aufzuschlagen. Sie rutschte den Hang weiter hinab, bis sie schließlich mit verkrümmtem Körper zwischen einigen Steinen hängen blieb. Sie fühlte wie ihr das Blut warm das Gesicht herablief, aber seltsamerweise empfand sie weder Schmerz noch Angst, nur leichtes Bedauern und Traurigkeit, als sie die Augen schloss und ihr Denken in Dunkelheit versank.
„NEIN!”
Die Feder glitt aus Tamarils Hand, als er vom Pult zurückwich und sich schließlich schwer atmend an dir Wand lehnte. Er rutschte herab, umklammerte seine Knie und vergrub sein Gesicht in den Armen.
Der Wald schwieg, als das leise Weinen nach draußen drang und dort ungehört zwischen den silberweißen Bäumen verklang.
Das Sonnenlicht glitt zaghaft durch die silbernen Blätter und strich dem Jungen sanft übers Haar. Was mochte nur geschehen sein, dass er sich so aufführte? Er hatte schon so viel Zeit hier verbracht, aber es war so lange her, dass der Wald Zeuge von solchen Gefühlen, von solcher Traurigkeit, Wut und Enttäuschung geworden war. Schließlich waren die Gefühle, die der Junge ausstrahlte, abgeebbt zu einem dumpfen Schmerz, über den sich eine betäubende Decke des Vergessens breitete, als der Junge noch weiter in sich zusammensank und sich wie ein ungeborenes Kind auf dem Boden zusammenrollte. Die Lider des Jungen öffneten sich vorsichtig und silberblaue Augen blinzelten in das strahlende
Licht. Tamaril setzte sich auf und rieb sich das Gesicht und die schmerzenden Augen, bevor er sich vorsichtig erhob und den Blick verwundert durch den Raum schweifen ließ.
Die Fenster, durch die das Licht von draußen hereinflutete, die tanzenden Schatten der Blätter auf dem Boden, das Flüstern des Windes, der sanft durch sein Haar strich, all das hatte er nie zuvor gesehen. Hier erschien sonst alles so still, beherrscht, kontrolliert, aber auch irgendwie leblos. Versuchte der Wald etwa, ihn aufzuheitern? Ein schwaches Lächeln huschte über Tamarils schmale Lippen, als er nach draußen in den Wald trat und mit einer Hand über die silberweiße Borke eines Baumes
strich. „Danke,” flüsterte er kaum hörbar. Dies war wirklich sein Wald, der Ort, an den er gehörte. Warum nur hatte ihn diese Geschichte so mitgenommen? Er kannte weder das Land, noch das Volk, das dort lebte, wirklich. Es mochte alles nur ein Traum, ein unwirklicher Schein sein. Es bestand gar kein Grund, die Geschichte weiter zu schreiben. Kaum, dass er diesen Gedanken beendet hatte, verblasste das Licht. Tamaril trat von dem Baum zurück und sah sich um. Das Leben, das eben noch alles durchströmt hatte, schien sich von ihm zurückzuziehen und zwischen den Bäumen zu
verschwinden. „Wollt ihr, dass ich weiterschreibe?” fragte er laut. Das Echo seiner Worte strich ihm wie ein sanfter Windhauch über das Gesicht. „Ihr wollt es wissen, nicht wahr?” setzte Tamaril wieder an. Der Wald um ihn herum veränderte sich kaum wahrnehmbar, aber es reichte aus, um zu verstehen. Tamaril nickte sich selbst zu, als er zurück ins Innere trat. „Ja, eigentlich sollte es nicht gerade so enden.” Er nahm die Feder zur Hand und schrieb weiter.
Ayala öffnete die Augen und schloss sie gleich wieder. Das Licht der Sonne, das sich einen Weg durch die Wolken gebahnt hatte, brannte auf sie herab und stach ihr in die dunklen Augen. Sie versuchte sich mühsam aufzurichten und stellte fest, dass sie noch stehen konnte.
„JA!” Tamarils Hand fuhr zu seinem Mund, doch das Wort war bereits aus ihm hervorgeschlüpft. Nun
gut, es freute ihn eben, dass sie noch lebte. Warum auch nicht? Tamaril erlaubte einem schrägen Grinsen um seine Lippen zu spielen, als er weiterschrieb.
Alles schmerzte. Ayala sah an sich herab, auf die schlammverkrustete Kleidung, wo sich Dreck und getrocknetes Blut aus der Wunde in ihrer Seite vermischten. Das Haar hing ihr ins Gesicht und klebte am Blut an ihrer Wange. Als sie versuchte es zurückzuschieben, zuckte ein erbärmlicher Schmerz durch ihren Arm. Er war offensichtlich verstaucht, wenn nicht gebrochen. Ayala kämpfte gegen die Tränen des
Selbstmitleids. Nie hatte sich die junge Falamar so elend gefühlt. Es schien kein Wunder zu sein, dass der Shakarie sie für tot gehalten und zurückgelassen hatte, sie selbst war sich nicht völlig sicher, ob sie wirklich noch lebte. Dass ihre Wunden bei näherer Untersuchung nicht allzu tief waren und aufgehört hatten zu bluten, änderte nichts an ihrer Stimmung. Vielleicht waren es auch weniger die körperlichen Schäden, die sie davongetragen hatte, sondern vielmehr die völlige Hilflosigkeit, mit der sie dem gnadenlosen Shakarie gegenüber gestanden hatte. Der Shakarie! ...Was hatte der überhaupt hier getan? Und wo war er jetzt? Ayala sprang vorwärts und hätte beinahe vor Schwindel den Halt an dem schlüpfrigen Hügel
verloren. Sie musste sofort zurück zum Dorf und Alarm schlagen. Dass ein Shakarie-Soldat sich so weit nach Süden gewagt hatte, konnte nichts Gutes bedeuten. So schnell es ging, machte sich die Falamar an den Abstieg, doch jeder Schritt sandte Wellen des Schmerzes durch ihre verletzte Hüfte. Schließlich, als die Sonne, die zum Zeitpunkt ihres Erwachens hoch am Himmel gestanden hatte, sich dem Horizont zuneigte, näherte sie sich dem Waldrand mit dem kleinen Dorf dahinter. Ayala schluckte. Es war so still! Oder kam ihr das nur so vor? Die Vögel sangen wie immer, der Wind rauschte in den Blättern und sogar einige Eichhörnchen waren in der hereinbrechenden Dämmerung unterwegs.
Trotzdem lief es Ayala eiskalt über den Rücken als sie aus dem Wald hervortrat. Keine Stimme war zu hören. Keine Kinder spielten im Licht der untergehenden Sonne, bevor ihre Mütter sie in die Häuser riefen. Und dann sah sie es. Nahe eines Hauseingangs nahe des Stadtrands lag ein seltsames Bündel. In einer Lache Blut. Ayala schlich näher heran, unfähig den Blick von der reglosen Gestalt abzuwenden. Als sie nur noch wenige Schritte von dem toten Falamar trennten, sah sie, dass nicht einmal das Gesicht noch erkennbar war. Alles was sie noch ausmachen konnte, war, dass es eine Frau gewesen sein musste. Ayala ertappte sich dabei, dass sie angestrengt darüber nachdachte, wer ihrer Bekannten dies
wohl sein mochte. Plötzlich durchfuhr sie endlich die Erkenntnis was geschehen war und nacktes Entsetzen verdrängte alle Neugier. „Jara!” Ayala fuhr auf der Stelle herum und humpelte blindlings auf das kleine Haus zu, in dem sie die letzten Monate verbrachte hatte. Sie wagte nicht nach rechts oder links zu sehen, schloss fast die Augen, als sie durch das Dorf rannte und sich wie eine Ertrinkende durch die Tür rettete. In einem der hinteren Räume fand die junge Falamar schließlich die Heilerin. Jara lehnte über einem zerbrochenen Schemel und schien völlig reglos. Ayala stürzte auf sie zu und zog sie herum. Blut lief der alten Falamar aus dem Mund, aber zu Ayalas Erleichterung öffnete sie die
Augen. „Aya, oh mein Kleines, ich hatte schon nicht mehr zu hoffen gewagt, dass sie dich nicht finden,” flüsterte Jara matt. „Scht, du musst jetzt nicht sprechen. Ich bringe dich in Sicherheit und dann wird alles gut.” Ayala traten die Tränen in die Augen, als sie sah, wie Jara heftig den Kopf schüttelte, aber sie redete weiter als könne dies das Unheil abwehren. „Du wirst sehen Jara, alles wird gut. Alles wird gut...” Ihre Stimme sank zu einem Schluchzen herab. „Wo... wo sind die Kinder?” brachte Jara heraus. Ayala starrte sie verständnislos an. „Sie sind... hier zu mir herein geflohen. Sie
wollten, dass ich sie beschütze. Oh, Kleines, ich habe versagt. Sie brauchten... sie brauchten meine Hilfe und ich habe versagt...” Jara wurde immer leiser, bis ihre Stimme kaum noch hörbar war. „Lauf weg, Aya, lauf, damit sie dich nicht finden, damit wenigstens du entkommen kannst.” Die alte Falamar krümmte sich zusammen und hustete qualvoll. Auf einmal richtete sich Jara noch einmal auf und packte Ayalas Handgelenk. „Du musst mir schwören, dass wenigstens du am Leben bleibst!” Ayala sah ihre Lehrerin entsetzt an. „Ich...” flüsterte sie, „...ich schwöre es dir.” Jara atmete wieder ruhiger und lehnte sich zurück. „Das ist gut. Lauf sofort und lauf
schnell. Die Shakarie... sie sind nicht wie wir. Sie haben kein Mitleid.” Ein ersticktes Schluchzen entfuhr ihr. „Die Kinder...” Jara schloss die Augen und hörte auf zu atmen.
Entgegen ihres Versprechens blieb Ayala noch lange Zeit neben ihrer toten Meisterin sitzen und weinte. Als sie schließlich die Kraft fand, den Raum zu verlassen, war die Nacht hereingebrochen und sie wagte nicht, den kläglichen Schutz der Hütte zu verlassen. Dunkelheit kroch in die Stube und schloss die junge Falamar ein, aber Ayala wollte nicht
riskieren ein Feuer zu machen. Sie kauerte sich in eine Ecke und letztlich sank sie für einige Stunden in einen unruhigen Schlaf. Als sie aus ihren verstörenden Träumen hochschrak, war es noch immer stockdunkel. Panik drohte sich in ihr auszubreiten. Was, wenn die Shakarie herausfanden, dass es noch Überlebende gab? Zumindest eine Überlebende. Der Gedanke, dass sie wirklich allein sein mochte, trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie wollte zurück zu Jara kriechen, bei ihr bleiben, auch sterben, alles, nur nicht allein sein. Doch dann kam ihr das Versprechen in den Sinn, dass sie der alten Frau gegeben hatte und sie klammerte sich an diese Worte. Auch wenn sie kaum die Kraft aufbringen würde, das Tal zu verlassen, sie musste es wenigstens versuchen. Das hatte sie
geschworen. Mit diesem Gedanken kam wieder Leben in sie. Sie musste fort, so bald wie möglich, spätestens sobald sich das erste Licht zeigte. Hastig begann sie in der dunklen Hütte herum zu huschen und einige Vorräte zusammenzusammeln, sowie ihre Verletzungen notdürftig zu versorgen. Kaum dass sie fertig war, ihr Bündel zu schnüren, warf sie einen Blick nach draußen und bemerkte ein rosiges Schimmern am Horizont. Ohne noch länger zu zögern und ohne zurückzublicken eilte Ayala aus dem Haus. Dann blieb sie wieder unsicher stehen. Sollte sie nach anderen Überlebenden suchen? Sie machte einen zögernden Schritt auf das Nachbarhaus zu, doch der metallische Geruch von Blut ließ sie zurückweichen. Sie versuchte
zu rufen, doch als ein leiser krächzender Laut über ihre Lippen kam, klang er in ihren Ohren so laut, dass sie sich panisch wieder in den Schatten eines Hauses flüchtete. Nein, sie wagte es nicht. Sie würde ihr Glück allein versuchen müssen und hoffen, dass, wer auch immer überlebt haben mochte, vielleicht sie fand oder zumindest einen sicheren Weg aus dem Tal. Sie selbst hatte darüber nachgedacht, zu einem der anderen Zufluchtsdörfer im Süden zu gehen, doch schließlich war sie zu dem Schluss gekommen, dass die Shakarie bestimmt die naheliegendsten Fluchtwege überwachten. Also beschloss sie den Weg nach Norden einzuschlagen und das Dorf auf dem selben Weg zu verlassen, auf dem sie gekommen war. Jedoch entschied sie den Umweg am Waldrand
entlang in Kauf zu nehmen um das Grauen nicht noch mehr ansehen zu müssen. Doch auch hier stieß sie auf die Körper von Falamar, die vor den Angreifern in den Wald zu fliehen versucht hatten. Doch anscheinend hatten auch die Shakarie Verluste gehabt, denn zwischen den Erschlagenen entdeckte sie auch eine in eine graue Kapuze gehüllte, verkrümmt daliegende Gestalt. „So sind sie dann im Tod doch gleich,” flüsterte sie tonlos. Aber was mochten die Shakarie nur für ein gefühlloses Volk sein, wenn sie nicht einmal ihre Toten mitnahmen, um sie zu begraben, sondern sie einfach den Aasfressern überließen? Plötzlich durchzuckte sie ein Gedanke: Sie war nicht anders. Die Zeit drängte und wenn es sie auch noch so schmerzte hätte Jara bestimmt nicht gewollt, dass sie ihr Leben für ihr Begräbnis aufs Spiel
setzte. Sie stand einige Sekunden unschlüssig da, dann setzte sie sich in Bewegung und ging stoisch den Waldrand entlang. Ohnmächtige Wut hielt sie davon ab, wieder in Tränen auszubrechen. Nach einigen Minuten hatte sie das Dorf hinter sich gelassen.
Jorcan kämpfte gegen die steinerne Müdigkeit in seinen Gliedern, als er sich hinter der im Nebel undeutlich zu erkennenden Gestalt vor ihm her schleppte. Das Gras unter seinen Füßen war ungewohnt, doch hatte der junge Prinz andere Dinge im
Kopf, als auf solche Kleinigkeiten zu achten. Es war nur wenige Stunden her, dass er die Männer seiner Eskorte bei den anderen Soldaten weiter unten im Tal zurück gelassen hatte, nachdem sie die letzten Tage beinahe ohne Pause marschiert waren, um hierher zu kommen. Charn, der Krieger, den sein Vater als Anführer des Trupps eingesetzt hatte, war der Meinung gewesen, es sei das Beste, wenn der Prinz sich im Basislager, wo er trocken und sicherer sei - das hatte Jorcan trotz seiner Erschöpfung beinahe laut auflachen lassen - ausruhen würde. Der junge Shakarie hatte genug mit Befehlshabern seines Vaters zu tun gehabt, um zu wissen, dass Charn wohl kaum eine Träne vergießen würde, sollte seinem Prinz etwas zustoßen, doch hielt er es für besser, den Schein zu
waren. Wie man ihm hastig berichtete, hatte der Trupp bereits ein Dorf ausgelöscht, war jedoch auf unerwarteten Widerstand getroffen. Jorcan hatte abgewinkt, als man ihn über Einzelheiten unterrichten wollte. Er würde sich darum kümmern, dass der nächste Schlag effektiver ablaufen würde... Sobald er etwas geschlafen hatte. Charn hatte einen seiner Soldaten zu sich gewunken und ihn angewiesen Jorcan zum Basislager zu führen. Und da waren sie nun. Mitten in den Bergen von Falamar, umgeben von grünem Wald, stapften sie durch kniehohes Gras, durchsetzt mit Blumen, deren Namen Jorcan nicht kannte, denen er aber mit Vorsicht begegnete. Sein Vater hatte in dem Punkt recht: Er hasste
es, wenn ihm etwas nicht vertraut war. Und dieses verdammte Land der Falamar zählte ganz sicher dazu. Ein umgestürzter Baumstumpf versperrte ihm den Weg und als er alles andere als elegant darüber geklettert war, konnte er seinen Führer schon nicht mehr im Nebel ausmachen. Er wollte nach ihm rufen, doch der Name kam ihm nicht mehr in den Sinn. Hastig eilte er mit zusammengebissenen Zähnen vorwärts und blieb an einer Wurzel hängen, die sich um seinen Fuß gewickelt zu haben schien. Er drohte zu stürzen, bekam aber noch einen Ast zu fassen und lehnte sich schwer atmend an den nächsten Baum. „Mylord?” Jorcan blickte auf und stellte erleichtert fest, dass sein Führer zu ihm zurückgekehrt war. „Es
ist nichts,” erklärte er brüsk, kaum dass die erste Erleichterung verflogen war. „Mir ist nur diese Umgebung zuwider.” In den blauen Augen seines Gegenübers blitzte es amüsiert auf, bevor lange Wimpern sie vor seinem Blick verbargen. Verblüfft sah Jorcan noch einmal genauer hin. „Ihr... Ihr seid eine Renian,” stellte er verdutzt fest. „Überrascht es Euch so sehr, dass Euer Vater eine Frau auf diese Mission geschickt hat?” Sie schien zu lächeln, doch war ihr Ton seltsam ernst. „Ehrlich gesagt, ja. Die Männer sind auf sich allein gestellt in der Wildnis unterwegs und eine Frau dabeizuhaben, könnte zu Rivalitäten führen. Auch wenn die Renian Elitekämpferinnen sind, bin ich mir nicht sicher, ob das dieses Risiko aufwiegt.”
Sie sah ihn nicht an als sie leise erwiderte: „Ich schätze eure Ehrlichkeit, Mylord, doch seid Euch immer dessen bewusst, dass Frauen nicht das einzige sind, was Rivalitäten hervorruft. Auch Macht lockt nur allzu leicht, gerade wenn die Möglichkeit besteht, den Prinz persönlich auszustechen.” Jorcan lachte humorlos. „Ich bin mir selbst im Klaren, dass Charn mich nicht aus bloßer Freundlichkeit aus dem Lager haben wollte. Jedoch würde er keine Rebellion wagen. Noch habe ich den Ruf einer der besten Taktiker zu sein und die meisten der Männer hier bevorzugen wahrscheinlich, von jemandem angeführt zu werden, der in der Lage ist, die Angriffe zu planen. Nach dem, was ich über den ersten Versuch seinerseits gehört habe, hat der Narr bereits einige gute Männer verloren, und das gegen ein Dorf voller Frauen und
Kinder. Ich schätze Eure Aufrichtigkeit ebenfalls, aber seid Euch auch immer dessen bewusst, dass ich sehr wohl in der Lage bin, auf mich selbst aufzupassen.” „Ja, Mylord.” Sie schien einen Moment mit sich zu kämpfen, dann sah sie ihn mit Augen an, aus denen nur Bitterkeit sprach. „Vielleicht beruhigt es Euch dann zu hören, dass einige dieser ,Gefahrenquellen’ für den Frieden innerhalb Eures Trupps bereits eliminiert wurden.” „Es waren noch mehr Frauen mit auf dieser Mission?” „Wir waren zehn.” „Wie viele haben den Angriff überlebt?” Sie wandte den Blick nicht von ihm ab.
„Ich.” Jorcan starrte sie für einen Moment ehrlich betroffen an. „Ich habe die Renian kämpfen sehen. Wie kommt es, dass Ihr Euerem Ruf nicht gerecht wurdet?” „Charn schickte uns in die Häuser, in denen sich Falamar verbarrikadiert hatten. Anscheinend gab es in diesem Dorf Soldaten, die im Kampf verkrüppelt worden waren und hierher geschickt wurden. Sie haben die Verteidigung organisiert. Wir schlugen vor die Häuser anzuzünden und sie auszuräuchern, aber er hatte Angst Plündergut zu verlieren.” Sie schnaubte verächtlich. „Als ob wir so viel hätten mitnehmen können. Als wir nach dem Sieg einige Häuser durchsucht hatten, rief er uns zurück und ließ uns den Rückzug antreten. Ich konnte nicht einmal richtig Rache
nehmen.” Jorcan schüttelte nur den Kopf. Charn mochte sich in Schlachten bewährt haben, aber er war völlig unfähig, diese Überfälle richtig zu planen. Die Falamar hätten gar keine Zeit haben dürfen, sich irgendwo zu verbarrikadieren. Das nächste Mal würde er dafür sorgen, dass sich solche Fehler nicht wiederholten. Auf einmal wurde er sich ihrer letzten Worte bewusst. „Rache? Gab es denn überlebende Falamar?” „Nein, aber wir durften nicht einmal das verdammte Dorf niederbrennen.” Jorcan betrachtete sie prüfend. „Es sind nur ein paar Häuser. Ist Euer Hass schon so groß?” „Meine Schwester Ruian liegt noch dort. Ich will den Ort, der sie das Leben gekostet hat,
von der Existenz auslöschen.” Jorcan nickte und straffte sich. „Ist es noch weit bis zu diesem Basislager?” Die Shakarie fuhr beinahe zusammen. „Verzeiht, Mylord, ich vergesse meine Pflichten. Wir haben den Wald bald hinter uns gelassen. Von dort ist es nur noch ein kurzer Aufstieg.” Damit setzte sich in Bewegung und führte Jorcan weiter ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen. Tief in Gedanken befreite Jorcan seinen Fuß und folgte ihr, bis sie den Waldrand erreichten. Dort schloss er zu ihr auf und hielt sie mit einer Hand auf der Schulter an. „Wie ist Euer Name?” Überrascht wandte sie sich zu ihm um. „Rumar,
Mylord.” Jorcan nickte wieder. „Dann geht, Rumar, und nehmt Rache. Niemand wird Euch dafür bestrafen. Ich werde den Weg von hier schon allein finden.” Sie starrte ihn entgeistert an, dann richtete sie sich auf. „Ja. Geht den Hang nur noch etwas in dieser Richtung hinauf, dann werdet Ihr es sicher finden. Ich werde morgen kommen und Euch zurück eskortieren.” Sie bemerkte den Hohn in seinen Augen und blickte zur Seite. „Oder Ihr kommt einfach, sobald Ihr es für richtig haltet.” Sie zögerte einen Moment. „Danke, Mylord.” Abrupt wandte sie sich um und verschwand in der Dunkelheit des Waldes. Jorcan sah ihr nicht nach. Statt dessen setzte er einen schweren Fuß vor den anderen und schleppte sich
weiter.
Der Weg, den Ayala einschlug, war derselbe, den sie auch am Vortag gewählt hatte. Ermutigt von dem Gedanken, dass man sie auf diesem Weg nicht angegriffen hatte, als sie in das Dorf zurückgekehrt war, fühlte sie sich darin bestärkt, zunächst den Pass im Norden zu überqueren. Von dort musste sie einen sicheren Abstieg Richtung Osten finden und dann eine Straße, die sie zur Ebene führte. Also kämpfte sie sich gegen Mittag den Berghang empor, als allmählich der Regen wieder einsetzte. Der anfängliche feuchte Schleier wurde beharrlich immer stärker, bis Ayala kaum noch sah, wohin sie ging. Alles war durchnässt und
der Boden begann schon wieder, ihr ernste Schwierigkeiten zu machen. Mit einem resignierten Seufzer machte sie sich über ihre Alternativen Gedanken. Weiter zu gehen hatte im Moment keinen Sinn. Aber der Hang bot auch nicht gerade viele Möglichkeiten sich unterzustellen. Es sei denn... die Höhle, die sie gestern entdeckt hatte. Sie musste jetzt schon recht dicht daran sein, nein, sie war wohl schon daran vorbeigelaufen. Ayala überlegte nicht mehr lange und drehte um. Nicht viel später hatte sie die Höhle erreicht. Ihre Augen hatten sie am Vortag nicht genarrt, ein Teil des Hangs war tatsächlich abgerutscht und hatten einen Zugang freigegeben hatte. Vorsichtig kletterte die junge Falamar über Steine und Erde, doch statt eines einfachen
Erdlochs betrat sie zu ihrer Überraschung einen Gang, dessen Wände glatt und eben waren. Staunend ließ sie ihre Finger über den kühlen Stein wandern und versuchte im düsteren Dämmerlicht zu erkennen, wohin dieser Gang führen mochte. Doch kaum hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt, da durchfuhr sie neuerlicher Schrecken. Etwas weiter im Berginneren bemerkte sie ein seltsames Bündel. Die Falamar schlich vorsichtig heran und zog eine ausgebreitete Decke beiseite. Ihre Augen wurden groß. Holz? Feuerholz? Wer konnte denn hier Feuerholz deponiert haben? Eine Sekunde später schalt sie sich für ihre eigene Dummheit. Warum wohl war ihr ausgerechnet an diesem Hang der Shakarie über den Weg gelaufen? Sie musste direkt in ihrem Lager gelandet sein. Die Frage war nur, ob sie
es schon aufgegeben hatten und weitergezogen waren, oder ob sie damit rechnen musste, dass die Vorbesitzer zurück kommen würden. Das frierende Mädchen warf noch einen sehnsüchtigen Blick auf das Feuerholz, dann gewann die Angst die Überhand und sie wandte sich zum Ausgang um. Ein Blitz jagte über den Berghang hinweg, gefolgt von dumpfen Donnern. Draußen konnte sie den peitschenden Regen sehen, der das Wasser am Rand des den Höhleneingangs wie einen Sturzbach herabschießen ließ. Wieder grollte tiefer Donner, doch auf einmal war sie sich nicht mehr so sicher, ob das, was sie gehört hatte, nicht einen anderen Ursprung hatte. Sie machte einen weiteren Schritt auf den Ausgang zu und zögerte wieder. Ihre Unentschlossenheit rettete ihr wohl das
Leben. Ein weiterer Blitz erleuchtete die Höhle und auf einmal sah sie im Eingang eine schlanke Gestalt in einem grauen kaum wahrnehmbaren Umhang stehen. Für den Bruchteil einer Sekunde starrte sie den Shakarie entsetzt an, dann ertönte zusammen mit dem Krachen des Donnerns wieder ein tiefes Grollen aus dem Hügel über ihr und um sie herum. Der Shakarie erwiderte ihren Blick und seine Hand fuhr unwillkürlich zu dem Amulett um seinen Hals. Eine weitere quälend lange Sekunde sah er sie unschlüssig an, zu überrascht um zu wissen was er jetzt tun sollte. Und dann stürzte die Höhle ein.
Ayala arbeitete sich mühsam aus einem Haufen Erde und kleinen Steinen und richtete sich auf. Der verstauchte linke Arm schmerzte heftig, aber zumindest war die Schnittwunde, die ihr der andere Shakarie beigebracht hatte, nicht wieder aufgebrochen.
Es war dunkel in der Höhle, doch durch eine kleine Öffnung oberhalb des Schutthaufens, der sich dort auftürmte, wo eben noch der Eingang war, drang noch etwas Licht. Regen tropfte durch das Loch, doch schien der Wolkenbruch nachgelassen zu haben. Die junge Heilerin besaß noch die Geistesgegenwart ihr Bündel zu schnappen, dann versuchte sie hastig den Hügel hinaufzuklettern. Ihre Hüfte pochte bei jeder Bewegung, doch getrieben von dem Gedanken
doch noch entkommen zu können, biss sie die Zähne zusammen. Das Loch war nicht groß, aber ihre Schultern waren schmal und sie war recht hoffnungsvoll, dass sie sich würde durchzwängen können. Sie hatte es fast geschafft als einer der Steine, an den sie sich klammerte, sich aus seiner lehmigen Verankerung löste und sie schlitternd zusammen mit einigen Steinen wieder in ihre Ausgangsposition rutschte. Ayala unterdrückte ein Schluchzen und richtete sich auf Hände und Knie auf. Sie versuchte ihr klopfendes Herz zu beruhigen, griff wieder in den Steinhügel und suchte einen Halt, der sie etwas sicherer nach oben bringen würde. Auf einmal atmete sie entsetzt ein und zog die Hand schnell wieder zurück. Sie hatte etwas weiches gespürt. Etwas weiches und warmes. Nach einem Moment des Zögerns siegte ihre
Neugier über besseres Wissen und sie schob Steine und Dreck zur Seite. Unter dem Schutt kam eine ehemals graue Kapuze zum Vorschein, die dem Shakarie ins noch immer maskierte Gesicht hing. Er reagierte auf ihre Berührung nicht, doch konnte sie in der Stille noch den Atem ihres tödlichen Gegners hören. Er musste einen Hechtsprung in ihre Richtung gemacht haben, als die Decke am Eingang herunterkam. Doch auch so hatte er es nicht geschafft den Steinmassen völlig zu entkommen, wenn er auch Glück im Unglück gehabt hatte, da sich über ihm einige größere Felsbrocken verkeilt und das Schlimmste von ihm abgehalten hatten. Ja, vorm Schlimmsten war er bewahrt geblieben, er war jedenfalls nicht tot. Doch nach allem was Ayala in dem spärlichen Licht erkennen konnte, mochte das auch nur eine Frage der Zeit sein. Blut sickerte zwischen den Steinen hindurch, besudelte seine Kapuze
und Ayalas Hände. Sie konnte nicht sehen wie schwer er nun wirklich verletzt war, aber sein hohles Luftholen, machte keinen guten Eindruck auf sie. Unschlüssig wanderte ihr Blick zwischen dem Ausgang und ihrem verletzten Feind hin und her. Sie war eine Heilerin und ihr erster Instinkt war es, dem zu helfen, der sie brauchte. Doch galt das auch für ein Monster wie dieses? Sollte sie das, was Jara sie gelehrt hatte, an die verschwenden, die sie auf dem Gewissen hatten? Die Erinnerung an die alte Falamar brachte in Ayala eine erneute Welle des Schmerzes hervor. Die Dörfler waren abgeschlachtet worden und mit ziemlicher Sicherheit war dieser Soldat ganz vorn mit dabei gewesen. Wahrscheinlich war dies die gerechte Strafe für die Grausamkeiten, die er begangen hatte. Sollte er
doch hier bleiben und sterben, wenn ihn seine Leute nicht rechtzeitig fanden. Ayala richtete sich auf und begann mit zusammengebissenen Zähnen erneut mit dem Aufstieg, ohne sich darum zu kümmern, dass ihre Bewegungen wiederum ein Stück des Schutthügels abrutschen ließen. Von unten ertönte ein Geräusch, das in der Höhle leise widerhallte und sie mitten in der Bewegung erstarren ließ. Der Shakarie wimmerte. Das Mädchen schob sich wieder an den Verletzten heran. Der Shakarie, dessen Schultern jetzt frei lagen bewegte sich wieder und stöhnte qualvoll. „Vater!“, brachte er mühsam hervor. „Ihr müsst... meinen Vater...“ Das letzte Wort konnte sie nicht mehr verstehen
aber das war auch nicht nötig. Obwohl sie wusste, dass er nicht zu ihr gesprochen hatte, sie wohl nicht einmal wahrgenommen hatte, hätten seine Worte sie kaum mehr berühren können. Ayala hatte sich nie wirklich Gedanken über die Shakarie gemacht, und so kam die Erkenntnis, dass auch dieses grausame Volk Kinder hatte, für sie einem Schock gleich. Sie sank neben dem Shakarie zu Boden und starrte ihn an. Und dann seine Stimme! Es war kein heiseres Zischen gewesen wie sie erwartet hatte. Nein, er hatte recht jung geklungen, kaum anders als sie es von einem jungen Falamar erwartet hätte. Sie wusste kaum wie ihr geschah, als sie sich gewahr wurde, dass sie begonnen hatte Steine zur Seite zu schieben und den Shakarie Stück für Stück aus seinem Gefängnis zu
befreien. Schließlich packte sie den jungen Krieger unter den Schultern und zog. Mit einem Ruck kam er aus dem Schutt frei. Mühsam drehte sie ihn ganz auf den Rücken und sah, dass sein Kapuzenumhang über der Brust ziemlich zerrissen war. Ein scharfkantiger Stein hatte sich hineingebohrt, wenn auch nicht allzu tief. Sie schob den Kapuzenumhang zurück und entdeckte darunter an seiner Hüfte einen Dolch und ein schmales Schwert. Sein Bauch war mit festem Leder umwickelt, dass ihm viel Bewegungsfreiheit ließ und doch leichte Schläge abwehren konnte. Sie tastete vorsichtig über seinen Brustkorb und stellte erleichtert fest, dass seine Rippen nicht gebrochen waren. Mit zitternden Fingern zog sie alle Steinchen aus seiner Wunde und reinigte sie dann so gut es ging mit Regenwasser. Ihr Trinkwasser
wollte sie bei allem Mitleid für anderes aufsparen. Aus ihrem Bündel holte sie Verbandszeug und versorgte die Wunde. Doch kaum war sie nicht mehr beschäftigt, kam auch die Angst zurück. Mit einem Mal kam sie sich sehr dumm vor. Der Shakarie mochte verletzt sein, aber in Lebensgefahr schwebte er nicht. Und ob er ihr gegenüber irgendwelche Anzeichen von Dankbarkeit zeigen würde, hielt sie für äußerst zweifelhaft. Sie griff wieder nach ihrem Bündel, doch bevor sie sich auf den Weg machte, kam ihr noch die Idee, die Gefahr, die von dem Krieger ausging zumindest etwas zu verringern. Sollte er zu bald aufwachen und ihr folgen wollen, sollte er zumindest seine Waffen nicht griffbereit haben. Hastig griff sie nach dem Griff des Schwerts und zog die Waffe hervor. Die Klinge war weit
schmaler als bei den Schwertern der Falamar und bog sich leicht zurück. Sie verwarf die Idee mit dem Schwert in der Hand den Schutthügel hinaufzuklettern und sich selbst dabei vielleicht schwer zu verletzen. Statt dessen stieß sie das Schwert so weit sie konnte in die weiche Erde und schaufelte dann mit bloßen Händen Schmutz und Steine darüber, bis man es nicht mehr entdecken konnte. Nun musste sie noch den Dolch verschwinden lassen und sich dann so schnell wie möglich auf den Weg machen. Sie richtete sich auf und wandte sich zu dem Shakarie um. Eine Hand packte sie an der Schulter und stieß sie an die harte Wand der Höhle. Ihr Kopf prallte so heftig auf den Stein, dass sie sich auf die Lippe biss. Entsetzten spülte jede Benommenheit fort als sie sich der eisigen
Klinge eines Dolches an ihrer Kehle bewusst wurde.
Doch noch weit kälter schienen ihr die farblosen Augen des Shakarie, der sie töten würde.
Tamaril ballte die Hände zu Fäusten. Warum war sie nicht geflohen als sie die Gelegenheit hatte? Warum Mitleid mit einem Monster haben? Frustriert lief er auf und ab, die Kiefer vor hilfloser Wut verkrampft. Er hatte so gehofft, dass sie überleben würde und dann tat sie so etwas Dummes! Er blieb mit dem Rücken zum
Buch stehen und zwang sich dazu ruhiger zu atmen. Es half alles nichts. Wenn er wissen wollte, ob sie starb, würde er weiterschreiben müssen. Der weißhaarige Junge fuhr sich mit einer Hand über die Augen und kämpfte gegen Tränen an. „Aber wie kann ich das tun?“, flüsterte er „Wie kann ich die Geschichte so schreiben?” Der Gedanke durchfuhr ihn wie ein Blitz und ließ ihn erstarrt am Pult stehen. Konnte er die Geschichte vielleicht ändern? Wagte er das denn? Die Hand, die wieder die Feder ergriffen hatte, zitterte. Nein, er wagte es nicht. Vielleicht gab es noch einen anderen Weg. Vielleicht war sie findig genug, um ihrem angeschlagenen Gegner zu
entkommen. Vorerst entschied er die Geschichte wie gewohnt durch sich fließen zu lassen.
Jorcan spürte sein Herz gegen seine Rippen hämmern. Dass er seinen Körper zu solch schnellen Bewegungen gezwungen hatte, kaum dass er das Bewusstsein wiedererlangt hatte, forderte seinen Tribut. Schwindel und Übelkeit ließen ihn zittern und er biss die Zähne zusammen und packte das Mädchen fester um nicht die Kontrolle zu verlieren. Das war seine erste Priorität: Kontrolle. Er bemühte sich ruhiger zu atmen und die
Situation zu analysieren. Das Mädchen war nicht bewaffnet und augenscheinlich verletzt, wenn auch nicht schwer. Eine Überlebende der Angriffe? Hatten genug Falamar überlebt um zurück zu schlagen? Hatte sie ihn in einen Hinterhalt gelockt? Sein Überlebensinstinkt drängte ihn ihr schlichtweg die Kehle durchzuschneiden und dann erst nachzudenken, doch er zwang den Impuls zurück. Erst wollte er Antworten. „Wie viele seid ihr?“, zischte er tonlos. Ihr Mund öffnete und schloss sich wie ein Fisch auf dem Trocknen, doch es kam kein Laut hervor. „Wo sind deine Verbündeten?“, drängte er. Sie starrte ihn aus großen dunklen Augen
verängstigt, aber auch verwirrt an. „Ich wollte nur weg“, flüsterte sie mit brüchiger Stimme. Also eine flüchtende Überlebende. Sie musste hier im falschen Moment vorbeigekommen sein. Aber... Eine Erinnerung bahnte sich ihren Weg in seine durcheinanderwirbelnden Gedanken. „Du hast doch schon in der Höhle gestanden als sie einstürzte. Warum bist du immer noch hier?“ Ihr linker Arm der zwischen ihren Körpern eingeklemmt worden war, als er sie an die Höhlenwand presste bewegte sich und er wurde sich eines ungewohnten Gefühls an seiner Brust bewusst. Überrascht sah er an sich hinunter und entdeckte die Verbände, die über seinen schmerzenden Wunden lagen. Verwirrt starrte er sie einen langen Moment an. Dann schüttelte er fassungslos den Kopf. „Du
hast doch nicht geglaubt, dass du das schaffst, Falamar.“ Auf ihren ratlosen Blick hin fuhr er fort: „Dachtest du, du könntest mich gefangen nehmen? Mich lebendig zu deinen Leuten schaffen? Ein erbärmliches kleines Ding wie du?“ Er lachte freudlos. „Du hättest mich töten sollen als du die Gelegenheit dazu hattest.” Bei diesen Worten erschien ein Funkeln in ihren Augen, das ihn überraschte. „Ich hätte mich selbst verabscheut, wenn ich zu Eurem Niveau herabgesunken und einen Wehrlosen getötet hätte,” zischte sie wütend zurück. „Aber einer wie Ihr würde das ohnehin nicht verstehen.” Tränen stiegen ihr in die Augen, ob vor Wut oder aus Schmerz, das wusste er
nicht. Aber in gewisser Hinsicht hatte sie recht. Er verstand sie wirklich nicht. Wortlos zog er sie herum, so dass sie nun mit dem Rücken zu ihm stand und ließ den Dolch vorerst an ihrer Kehle. Über ihre Schulter betrachtete er den eingestürzten Höhleneingang. Nein, durch das kleine Loch oberhalb des Schutthügels würde er wohl nicht passen, aber zumindest würde auch kein weiterer Falamar eindringen können, ohne dass er es merkte. Er tastete nach seiner Schwertscheide und fand sie wie erwartet leer. Schließlich war das erste Geräusch, das er gehört hatte nachdem er zu sich gekommen war, das eines Schwertes gewesen, das gezogen wurde. Diesen Klang kannte er nur zu gut und er musste nicht lange
raten, was geschehen war. „Wo ist mein Schwert?“, fragte er ruhig und die Falamar wusste es zumindest besser als zu versuchen, Unwissenheit vorzutäuschen. Schweigend deutete sie auf eine Stelle in dem Gewirr aus Steinen und Erde. Als er sie dorthin schob, legte sie widerstandslos das Heft frei und er griff eilig danach. Die Klinge kam überraschend leicht frei und er fühlte seine Zuversicht mit jedem bisschen Kontrolle, das er gewann, zurückkehren. Er steckte den Dolch wieder in seine Scheide, dann streifte er kurzerhand den Schmutz an der Schwertklinge an dem ohnehin verdreckten Kleid des Mädchens ab. Sie rührte sich nicht, stand nur da und sah sehnsüchtig zu dem kleinen Loch, das zur Freiheit führte. „Dafür bist du nicht schnell genug,“ stellte er
nüchtern fest und sah ihre Schultern herabsacken. „Je weniger Hoffnungen du dir machst, um so besser. Tu was ich dir sage, und ich werde dir nicht all zu sehr weh tun.“ Er konnte sehen, dass sie zitterte, doch draußen nahm das Licht rasch ab. Kurzerhand griff er wieder nach ihrer Schulter und stieß sie auf den Teil der Vorräte zu, die nicht verschüttet worden waren. „Du machst jetzt ein Feuer und morgen wirst du den Weg nach draußen für mich freiräumen.“ Er lächelte böse. „Wenn du dich gut genug machst, lasse ich dich vielleicht als Sklavin leben, Falamar.“
Ayala hatte nicht erwartet in dieser Nacht Schlaf zu finden. Doch als sie mit dem
Brennholz, das die Shakarie im hinteren Teil der Höhle gestapelt hatten, und dem Feuerstein aus ihrem Bündel ein kleines Lagerfeuer entfacht hatte, legte sich eine bleierne Müdigkeit über sie. Aller Schmerz des Tages, alle Angst, ließen sie taub werden und in sich zusammensinken. Der Krieger beobachtete sie als ihr die Augen zu fielen. Ihr letzter Gedanke war Erleichterung, dass er zu viel Ekel vor ihr zu haben schien als dass er sie anrühren würde. Dann schlief sie ein. Ihr Schlaf war tief und traumlos. Sie war beinahe überrascht, als sie am nächsten Morgen erwachte und sich an keinen Alptraum erinnern konnte, der ihre Ruhe gestört haben könnte. Sie blinzelte, blieb aber reglos liegen. Das Feuer war heruntergebrannt und durch das
kleine Loch beim Ausgang fiel nur noch ein schwacher Nieselregen. An die gegenüberliegende Wand gelehnt saß der Shakarie. Er hatte die Augen geschlossen und seine Brust hob und senkte sich in einem langsamen Rhythmus, der sie davon überzeugte, dass er tatsächlich auch eingeschlafen war. So leise sie konnte erhob sie sich, doch kaum hatte sie sich aufgesetzt, ließ das Rascheln ihrer Kleidung ihn aufschrecken. Sie erwiderte den durchdringenden Blick seiner hellen Augen einen Moment, dann ließ sie die Verachtung, die sie darin zu erkennen glaubte, zu Boden sehen. In der Stille erklang auf einmal ein Geräusch, das Ayala erst nach einem Augenblick als das Knurren ihres eigenen Magens erkannte. Ihre Wangen glühten vor Verlegenheit auf und sie
verfluchte sich im Stillen sowohl für ihren verräterischen Körper als auch dafür, dass es sie kümmerte was der junge Krieger dachte. Wortlos warf ihr der Shakarie ihr eigenes Bündel, das er am Vortag an sich genommen hatte, vor die Füße. Sie zögerte nicht lange und holte etwas von ihrem Proviant hervor. Während sie aß warf sie ihm hin und wieder einen verstohlenen Blick zu, doch er zeigte kein großes Interesse an ihrem Frühstück und kümmerte sich vielmehr um seine Waffen. Ob Shakarie nicht aßen? Nein, das war ein dummer Gedanke. Sie bluteten genauso wie Falamar es taten und sein Körper schien ihr auch sonst nicht zu verschieden zu sein. Hatte er vielleicht schon gegessen während sie schlief? „Beeil dich gefälligst, Falamar!“, schnitten seine Worte in ihre Gedanken. „Du hast heute Arbeit zu
tun.“ Sie schluckte eine feindselige Antwort mit dem nächsten Bissen herunter, dann sagte sie leise: „Ayala.“ Er hob eine Augenbraue und sie fügte vorsichtig hinzu: „Das ist mein Name. Ayala Norinlas von Sanwas Hof.“ „Wenn du erst tot bist, Falamar, wird es niemanden kümmern, was für einen Namen du hattest“, antwortete er spöttisch. Angst schnürte ihr die Kehle zu und sie stellte fest, dass sie keinen Bissen mehr herunterbrachte. Unsicher erhob sie sich und stellte fest, dass ihre Hüfte kaum noch schmerzte. Doch bei der Aussicht ohne Werkzeug den Schutthügel
zumindest so weit abzutragen, dass sie beide durch das Loch kämen, war das nur ein schwacher Trost. Draußen rollte ein dumpfer Donner durch den Hügel über ihnen und Ayala sah wie das Licht rapide verblasste. Es schien ihr nur zu passend, wenn sie an ihre eigenen Aussichten dachte.
Der Regen lies nicht lange auf sich warten als Ayala mit der Arbeit begann. Der Shakarie stand kurz unter ihr, nicht nah genug um die Feuchtigkeit und den Schlamm abzubekommen, der ihr bei jeder Bewegung entgegenkam, und doch zu nah um die Flucht durch den Spalt zu wagen. Die junge Falamar spürte bereits kaum noch ihre Finger, und doch konnte sie kaum eine wahrnehmbare Vergrößerung der Öffnung
erkennen. Das Wasser war eisig und lief ihr an den Armen herab, von denen einer grausam schmerzte, als der Verband daran durchweichte. Der Regen wurde heftiger und Ayala hatte Mühe sich auf dem Erdhügel zu halten. Wieder griff sie nach einem Schlammbrocken, doch kaum hatte sie ihn zur Seite geschoben, löste sich ein Stein und rutschte auf sie zu. Sie konnte ihn festhalten, geriet dabei aber noch mehr aus dem Gleichgewicht. Einen Moment ruderte sie mit dem anderen Arm um sich wieder zu fangen, dann landete sie auf ihrer verletzten linken Seite und schlitterte einen guten Meter zum Höhlenboden hinunter. Sie biss die Zähne zusammen um nicht aufzuschreien und hob ängstlich den Kopf. Der Shakarie hatte seinen Dolch wieder in der Hand und sah finster auf sie
herab. Doch noch bevor einer der beiden sich rühren konnte, wurde es auf einmal dunkel. Für einen Moment stieg blanke Panik in ihr auf, dann hatten sich ihre Augen an das letzte bisschen Rest Licht von ihrem glimmenden Lagerfeuer gewöhnt. Sie konnte die dunkle Silhouette des Kriegers davor knien sehen, dann entzündete er einen weiteren Stab mit dem er zurück zum Schutthügel trat. Dort wo eben noch das letzte bisschen Tageslicht in die Höhle gefallen war, hatte sich gerade ein gewaltiger Kloß aus Schlamm Gras und Steinen in die Öffnung geschoben. Das flackernde Licht der provisorischen Fackel huschte über die nun letztlich undurchdringliche Wand, die sich vor dem ungleichen Paar auftürmte. Ayala warf dem
Shakarie einen ratlosen Blick zu, doch dieser schien sie überhaupt nicht zu bemerken. Er starrte entsetzt auf seine Kerkertür aus den Elementen des Erdbodens und seine grauen Augen schimmerten mit einem unheimlichen fiebrigen Glanz. Er würde sie dafür verantwortlich machen, da war sie sich sicher. Sie versuchte an eine Rechtfertigung zu denken, etwas das ihm klar machen würde, dass sie den Erdrutsch nicht verursacht hatte, dass der Regen das Erdreich zu schwer gemacht hatte, doch die Angst lähmte sie. Ayala kauerte sich am Boden zusammen und wartete auf ihr Ende.
Jorcans Fingernägel gruben sich in das Holz seiner Fackel. Ihre Flammen sandten verzerrte Schatten über die Wände der Höhle und ließen die zusammengesunkene Gestalt der Falamar neben ihm noch grotesker aussehen. Was für ein Schicksal mit dieser verdreckten Kreatur, die vor ihm auf dem Boden kroch, lebendig begraben zu sein! Er wurde sich bewusst, dass er vor Wut zitterte, dass er in Gedanken schon auf das erbärmliche Wesen einschlug, sie seinen Zorn kosten ließ. Doch ungebeten tauchte vor seinem inneren Auge die blutbefleckte Gestalt Soorals, den er beinahe zu Tode geprügelt hatte, auf. Nein, er würde nicht wieder die Kontrolle über sich verlieren, erst recht nicht in dieser
Situation. Was nicht bedeutete, dass er das Mädchen leben lassen würde, doch erst musste er überlegen ob er sie noch brauchen konnte. Und wie lange er mit einer Leiche an diesem widerlichen Ort auf Rettung warten müsste. Charn würde mit Sicherheit so lange warten wie er es vor König Narcal gerade noch rechtfertigen konnte, gerade nachdem er selbst Rumar zu verstehen gegeben hatte, dass er nicht abgeholt werden wollte. Aber musste nicht die Wache dieses Lagers etwas mitbekommen haben? Am liebsten hätte er sich selbst geohrfeigt. Wieso war es ihm nicht früher aufgefallen, dass es keine Wache gab?! Charn mochte ein Narr sein, aber solch ein Lager völlig unbeaufsichtigt
zu hinterlassen, traute er nicht einmal ihm zu. War es vielleicht Charns Plan gewesen, dass er beim Einsturz umkam? Aber wie hatte er wissen können, wann das durchweichte Erdreich nachgab? Hatte er den Hügel präpariert und Rumar den Einsturz auslösen lassen? Oder hatte er doch nichts damit zu tun? Ratlos streckte er die Hand aus und strich über die Erdklumpen, die sich vor ihm auftürmten. Nein, allein kamen sie hier nicht mehr durch, nicht ohne richtiges Werkzeug. Er warf einen Blick auf die Vorräte. Für ihn allein würden sie für Wochen reichen. Sollte er also auf Charns Hilfe warten? „Gibt es einen anderen Ausgang?“ Er hatte nicht laut gesprochen, doch die Falamar zuckte
bei seinen Worten deutlich zusammen. Als sie endlich eine Antwort hervorbrachte, war ihre Stimme so leise, dass er sie beinahe nicht verstanden hätte. „Ich weiß es nicht. Niemand hat mir von dieser Höhle erzählt.“ Nutzlos. Warum musste er ausgerechnet dieses erbärmliche, nutzlose Geschöpf aufgabeln? Zumindest beantwortete das die Frage, was er mit ihr tun sollte. Dann glitt sein Blick jedoch wieder über die Vorräte und ein anderer Gedanke meldete sich zu Wort. Vielleicht konnte er sie doch noch gebrauchen. Wenn er sie zum Tragen mitnahm, verbrauchte sie zwar auch etwas Proviant, aber den konnte sie selber tragen und zusätzliches Feuerholz würde sie nicht verbrauchen. ,Du bist weich geworden', höhnte eine Stimme
in seinem Bewusstsein. ,Du hast ein schlechtes Gewissen, weil sie dir geholfen hat.' Nein, das hatte er nicht. Er war nur rational genug keine Arbeitskraft zu verschwenden. ,Sie wird sich gegen dich wenden, sobald du schläfst.' Das hatte sie auch nicht getan, als er bewusstlos war. ,Sobald sie weiß, wer du bist, wird sie es tun.' Dann durfte sie eben nicht erfahren wer er war. „Steh auf und nimm so viele Vorräte mit wie du tragen kannst, Falamar. Wir werden einen anderen Ausgang finden.“ Sie starrte ihn völlig entgeistert an. „Ihr
wollt...“, begann sie. „Wenn du es für einen Fehler hältst, dich am Leben zu lassen“, unterbrach er sie kühl, „sag es mir bitte gleich und ich werde diesen Fehler schnell korrigieren.“ Das brachte Leben in sie. Er beobachtete sie während er selbst Proviant in einen Beutel stopfte und Feuerholz zusammenschnürte. Zumindest schien sie recht gut arbeiten zu können. Kaum waren sie fertig machten sich beide auf den Weg. Jorcan behielt die Fackel in der Hand und blieb einen halben Schritt hinter seiner Gefangenen. „Noch etwas, Falamar.“ Sie drehte
sich zu ihm um, wagte aber nicht recht ihm in die Augen zu sehen. „Wenn du mich ansprichst,
nenn mich Jorcan...“
Jorcan cal Reyn cal Shakar, Kronprinz der Shakarie.
Er presste die Lippen zusammen. „Nenn mich Jorcan“, wiederholte er.
Ayala hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Ob sie schon Stunden unterwegs waren? Es schien ihr eine Ewigkeit zu sein. Sie überlegte ihr Bündel von der linken zur rechten Seite zu wechseln, doch ihr rechter Arm war durch die Arbeit schon genug strapaziert worden und sie fürchtete, die Wunde daran könne wieder aufbrechen. Sie blinzelte müde und wäre beinahe in die Felswand gelaufen, die ihr plötzlich den Weg versperrte. Stolpernd kam sie zum Stehen. Der Shakarie – Jorcan wie sie sich selbst erinnerte – trat neben sie und im Licht der Fackel erkannte sie, dass es sich nicht um eine Wand sondern um ein massives Tor handelte. Zögernd setzte sie ihr Bündel ab, legte beide Hände an das Tor, holte tief Luft und schob so
fest sie konnte. Beinahe ohne jeden Widerstand schwang das Tor auf und Ayala taumelte nach vorn. Sie schaffte es auf den Beinen zu bleiben, doch hinter sich hörte sie Jorcan amüsiert schnauben. Verlegen griff sie nach ihrem Bündel und atmete erschrocken ein, kaum dass sie zu Boden sah. Auf der anderen Seite des Tores lagen ausgestreckt zwei leblose Körper am Boden. Auch wenn noch graue Fetzen die Knochen bedeckten, waren es doch nicht viel mehr als Skelette. Einer der beiden war durch das Tor zur Seite geschoben worden, doch man konnte erahnen, dass er noch in den letzten Momenten seines Lebens versucht hatte das Tor zu öffnen. Jorcan ließ sich auf ein Knie herab und hielt die Fackel dichter an ihren Fund, doch Ayala
wagte nicht länger hinzusehen. Fröstelnd wich sie zur Wand zurück. „Schwer zu sagen, wie lange die schon tot sind“, stellte Jorcan trocken fest. „Es ist nicht einmal mehr zu erkennen ob das deine oder meine Leute waren. Aber ich nehme doch mal an, dass es schon eine Weile her ist, also hör schon auf zu zittern.“ Die Falamar schluckte nervös und drückte ihr Bündel an sich, als wolle sie sich dahinter verstecken. Dann bemerkte sie das schwarze Loch, das auf der gegenüberliegenden Seite in der Felswand gähnte. Jorcan folgte ihrem erschrockenen Blick und trat mit seiner Fackel näher an den Durchgang heran. „Sieht wie eine Kammer für die Wachposten aus“, stellte er
fest. Ayala trat zögernd zu ihm. Tatsächlich war es nur ein kleiner Raum mit zwei Liegen und einem Regal, der sie so verschreckt hatte. Neugierig trat sie an eines der Betten heran und fuhr vorsichtig mit den Fingern darüber. Das Holz war in der trockenen Luft nicht morsch geworden, sondern umso härter, doch der Stoff, der über das Gestell gespannt war, war so brüchig, dass er ihr beinahe unter den Händen zerfiel. „Mach' ein Feuer!“, wies sie Jorcan an. „Wir bleiben vorerst hier.“ Für einen Moment war sie überrascht, dass er nicht darauf bestand noch weiterzugehen, doch dann wurde sie sich bewusst, dass auch er sich noch in einem Zustand befand, in dem er Ruhe brauchte. Zudem war es unmöglich zu sagen, ob
sie in absehbarer Zeit wieder auf einen Platz stoßen würden, der zumindest relativ geschützt lag. Doch die Toten vor der Tür ließen ihr keine Ruhe. Als das Feuer im hinteren Teil der Höhle, wo sie auch einen kleinen Luftschacht entdeckten, brannte, konnte sie ihre Augen noch immer kaum von dem Durchgang lösen. Schließlich überwandte ihre Unruhe die Angst vor dem Shakarie und sie hörte sich flüstern: „Sie sehen aus, als hätten sie es nicht mehr durch das Tor geschafft. Aber warum? Es war doch offen.“ Jorcan warf ihr einen Blick zu. „Vielleicht hat damals etwas das Tor blockiert, das erst später entfernt wurde.“ Natürlich, das mochte sein, aber... Sie fröstelte wieder und rutschte näher ans
Feuer. „Fürchtest du die Toten, Falamar?“ Sie blinzelte verlegen, unsicher was sie antworten sollte. Jorcan schnaubte leise. „Nach meiner Erfahrung sind die Lebenden es weit mehr wert, dass man sich ihrer wegen Sorgen macht.“ ,Besonders lebende Shakarie', antwortete sie in Gedanken, schluckte die Erwiderung aber herunter, bevor sie über ihre Lippen kam. Zögernd griff sie nach ihrem Bündel und holte etwas Proviant hervor. Da von ihrem Gegenüber keine Reaktion kam, wartete sie nicht länger und stillte ihren Hunger. Noch immer machte der Shakarie keine
Anstalten selbst etwas zu essen, sondern sah ihr nur mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen zu. „Schlaf jetzt!“, sagte er schließlich. „Wir werden hoffentlich morgen etwas weiter kommen als heute.“ Widerspruchslos griff sie nach ihrer Decke und versuchte auf dem harten Boden eine geeignete Position zu finden. Es dauerte nicht lange und sie schlief tief und fest. ***** Jorcan wartete noch eine Weile bis er sich sicher war, dass die Falamar schlief, dann griff er nach seinem eigenen Proviant und zog sich die Maske herunter. Trotz seines Hungers zwang er sich dazu bedächtig zu essen und sich die Vorräte
einzuteilen. Kauend betrachtete er die beinahe reglose Gestalt des Mädchens. Sie hatte sich von ihm weggerollt, so dass er ihr Gesicht nicht mehr sehen konnte. Er war beinahe dankbar dafür. Dass sie ihr nacktes Gesicht so offen zeigte, bereitete ihm Unbehagen. Zu sehr war ihm in Fleisch und Blut übergegangen, wie unangebracht, ja obszön es war, in Gegenwart anderer keine Maske zu tragen. Die meiste Zeit vermied er es die Falamar direkt anzusehen, doch manchmal verirrte sich sein Blick zu ihr und ihr Aussehen rief in ihm ein Durcheinander an Empfindungen hervor, die er nicht einordnen konnte. Doch als sie aß und seine Neugier ihn zu ihr hatte sehen lassen, hatte er darauf geachtet sich auf ihre Augen zu konzentrieren, wie er es bei einer Shakarie auch getan hätte. Und auf einmal hatte
er gewusst, was ihn so in Aufruhr geraten ließ. Denn die dunklen Augen über diesem unbedeckten Gesicht waren denen Ishas so ähnlich, dass es ihm beinahe weh tat. Nein, er durfte nicht an Isha denken. Schon gar nicht hier, wo sein Überleben davon abhing einen klaren Kopf zu bewahren. Die Falamar war nicht Isha. Sie war eine Feindin und er tat gut daran das nicht zu vergessen. Er schluckte den letzten Bissen herunter und zog die Maske wieder vor sein Gesicht. Dann legte er sich eine Decke um und lehnte sich an die Wand zurück. Er betrachtete das Mädchen noch einen Moment, dann legte er seine Hand auf den Schwertgriff an seiner Hüfte und schloss die Augen.
***** Tamaril sah auf seine Hand herab und versuchte seine Finger dazu zu bringen sich nicht schmerzhaft um die Feder zu krallen. Ohnmächtige Wut tobte in ihm. Wut über den Shakarie, der so kalt auf jemanden herabsah, der so viel besser war als er selbst. Wut, dass ein Mörder das Leben seiner Freundin in den Händen hatte. Ja, sie war seine Freundin. Mochte sie ihn auch nicht kennen, er fühlte genug Verbundenheit für sie beide. Und er würde einen Weg finden sie zu retten. Was auch immer es kosten mochte, er konnte
den Shakarie nicht ewig gewähren lassen. Schon als der Prinz das Tor durchschritten hatte, hatte sich Tamarils Magen verkrampft, als habe er einen Eindringling gewähren lassen, ihm erlaubt Boden zu entweihen, auf dem er nichts zu suchen hatte. Er wusste, dass da etwas war, woran er sich erinnern musste, wenn er wirklich verstehen wollte, was in ihm so viel Hass weckte. Doch jedes Mal wenn er versuchte in seinem Denken zurückzufinden zu dem, der er gewesen sein mochte, wehrte sich ein Teil von ihm so sehr, dass er fürchtete, dass dieses Wissen schmerzhafter sein würde als jede Unwissenheit. Dennoch war er sicher, dass seine Zeit kommen würde. Und dann würde er für alles Leid Rache nehmen.
***** Jorcan setzte einen schweren Fuß vor den anderen. Wann würde er wohl aufhören in Tagen zu denken, weil einer zu sehr dem anderen ähnelte? Waren sie wirklich erst drei Tage unterwegs oder war es länger gewesen? Woher wollte er überhaupt wissen, ob das was er „Tag“ nannte, wirklich dem Rhythmus von Sonnenauf- und Untergang entsprach? Müde rieb er über seine brennenden Augen. Hoffentlich würden sie bald wieder auf eine Wachkammer stoßen und endlich Rast machen. Nach ihrer ersten Nacht an einem dieser kleinen in den Felsen gehauenen Zimmer, waren sie in regelmäßigem Abstand auf weitere ähnliche Kammern gestoßen. Doch in keiner von
ihnen hatten sie etwas gefunden, das ihnen weitergeholfen hätte und keine Karte hatte den Zahn der Zeit überstanden. Als sie den ersten Seitentunnel erreichten, war er beinahe enthusiastisch gewesen, doch nach etwa einer Stunde Fußmarsch senkte sich der Weg immer weiter ab und endete schließlich in einem tiefen Wasserloch. Jorcan hatte wortlos kehrt gemacht, doch in ihm kochte die Wut. Es schien als habe die Welt beschlossen, ihn mit jeder Stunde in tieferes Unglück zu stürzen. Auch ein zweiter Seitengang erwies sich einen Tag später als bedauerlicher Umweg. Wenn ihn der Hunger zu sehr quälte, machten sie auch von Zeit zu Zeit im offenen Gang Halt, doch stets wartete der Shakarie bis das Mädchen schlief, bevor er selbst etwas aß. Anfangs schien die Falamar verblüfft zu sein,
dass ihr so oft befohlen wurde sich auszuruhen, doch bald nahm sie es einfach hin, ohne auch nur mit einem verwunderten Blick zu reagieren. Er war sich nicht sicher, ob sie bemerkt hatte, dass jedes Mal wenn sie schlief ein wenig Proviant verschwand, oder ob sie im Stillen dankbar war, so viel Ruhe zu bekommen. Wie er zugeben musste, taten auch ihm die häufigen Pausen gut. Seine Rippen, die am ersten Tag noch bei jedem Schritt geächzt hatten, machten ihm nicht mehr so viel Kummer. Zwar würde es noch lange dauern bis auch die Prellungen, die ihm Steine und Erdklumpen zugefügt hatten, verschwunden waren, doch sein Blutverlust hatte sich in Grenzen gehalten und keine seiner Wunden hatte sich auf ihrem Marsch wieder geöffnet. Zumindest als Heilerin schien die Falamar durchaus Talent zu
haben. Er kniff die Augen zusammen um sich zu konzentrieren und seufzte erleichtert auf, als sich vor ihm an der Höhlenwand ein dunkler Schatten abzeichnete und er erkannte, dass sie es endlich zur nächsten Wachkammer geschafft hatten. Jorcan ließ die Falamar ein Feuer machen und sah sich im Raum um, doch seine ohnehin nur schwache Hoffnung auf einen Hinweis über ihren weiteren Weg erfüllte sich nicht. Er erlaubte ihr wie immer als erstes etwas zu sich zu nehmen und ließ sich an der gegenüberliegenden Wand im Schneidersitz nieder. Unwillkürlich wanderte sein Blick hinüber und fiel auf ihr Gesicht. Dann schalt er sich innerlich und versuchte sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Er angelte nach ihrem
Proviantbeutel und besah sich den Inhalt. „Was ist das?“ Die Falamar blickte überrascht auf und betrachtete die Frucht, die er hervorgeholt hatte. „Das ist eine Trarta“, erwiderte sie tonlos. „So“, gab Jorcan zurück. „Wächst sie nur in den Bergen? In euren Vorratskammern nördlich des Armasins habe ich so etwas noch nicht gesehen.“ Das Mädchen schluckte sichtbar, dann presste sie die Lippen zu einem Strich zusammen. „Bei all dem Blut, das an dem Diebesgut klebt, das Ihr euch einverleibt, hätte ich gehofft, dass Euch unser Essen im Hals stecken bleibt“, zischte sie so leise, dass er es beinahe nicht gehört
hätte. Jorcan ballte wütend die Fäuste und sah, wie sie erbleichte, als ihr klar wurde, was sie gerade gesagt hatte. Ein Teil von ihm wollte ihr für diese Frechheit am liebsten den Hals umdrehen, doch unerwartet drängte sich der Wunsch, sich zu rechtfertigen in den Vordergrund. „Das Volk der Falamar – selbstgerecht wie immer“, knurrte er hasserfüllt zurück. „Seltsam, dass euch nie in den Sinn kommt, dass wir verhungern würden, wenn wir uns nicht dort versorgten.“ Die Falamar blinzelte unsicher. „Ihr könntet doch euer eigenes Essen anbauen“, gab sie vorsichtig zurück. „Im Sumpf wächst nicht viel.“ „Aber“, begann sie zögernd, „wenn es Euch nur
darum gegangen wäre, hätte es doch nie zum Krieg kommen müssen. Wir haben so viel Platz, dass es möglich gewesen wäre, Euch ein Land zu geben, das Ihr bebauen und bewohnen könnt.“ „Natürlich, Falamar“, gab er mit vor Sarkasmus triefender Stimme zurück. „Euer Volk wäre begierig gewesen uns aus purer Freundlichkeit ein halbes Königreich abzutreten.“ Er hielt inne und als er weitersprach blitzte es in seinen Augen. „Glaubst du eigentlich selbst, was du sagst? Denkst du, die Welt wäre so simpel? Meinst du, dein vor Edel nur so strotzendes Volk ist frei von jeder Selbstsucht und Fehlern?“ Das Mädchen wich kaum merklich vor ihm zurück. Dann fuhr sie kleinlaut fort: „Aber wenn es nur um das Essen geht, dann muss es doch möglich sein den Krieg zu beenden.
Unsere Völker müssten sich nur zusammensetzen und über alles reden.“ Jorcan sah sie einen Moment völlig ungläubig an, dann lehnte er sich zurück und begann schallend zu lachen. „Falamar, wirklich, deine Naivität ist erfrischend. Dieser Krieg dauert nun schon seit Ewigkeiten an und hat mehr Opfer auf unserer Seite gefordert, als ich zu denken wage. Ich weiß nicht, ob eurem Herrscher diese Leben etwas bedeuten, aber unser König ist mit Sicherheit nicht bereit, eine derartige Schwäche zu zeigen und mein Volk wird das Blut nicht vergessen, das bereits für unseren Sieg geflossen ist.“ Er betrachtete sie belustigt und sie starrte ihn beinahe entsetzt und ernst mit ihren dunklen Augen an. Mit einem Mal wurde er still. Er schluckte an
dem Kloß, der sich in seiner Kehle breitmachte. Dann, noch bevor ihm der Gedanke richtig bewusst wurde, flüsterte er: „Du erinnerst mich fast an Isha.“ „Isha? Wer ist das?“ Er hätte sich am liebsten dafür verflucht, dass er das ausgesprochen hatte, doch konnte er es weder zurücknehmen, noch war er bereit Isha zu verleugnen. „Ein Mädchen aus Rahnschir“, sagte er tonlos und versuchte das Bild, das in seinen Gedanken aufstieg wieder zu verdrängen. „Erzählt mir von ihr,“ bat die Falamar flüsternd. „Warum?“ „Ich will wissen, wie es sein kann, dass eine
Shakarie wie eine Falamar ist.“ Für einen Moment dachte er daran, einfach abzulehnen, doch je länger er darüber nachdachte, um so mehr schien Ishas Geschichte die Antwort auf die Anklage der Falamar zu sein. „Sie war die Tochter einer Renian, einer Elitekämpferin, und so wurde sie auch zu einer ausgebildet. Sie war sehr talentiert, schnell und stark. Ihren Vater kannte ich kaum, aber ich habe gehört, dass er bei Hof sehr unbeliebt war. Er war ein Einzelkämpfer, der es sich wohl zur Aufgabe gemacht hatte immer gegen den Strom zu schwimmen. Isha war im Gegensatz zu ihm ein Energiebündel, das bei allem dabei sein musste. In der Hinsicht hat sie wohl nicht viel mit dir gemein, Falamar.“ Er warf Ayala einen spöttischen Blick zu, doch diese schien es gar nicht zu
bemerken. „Isha war kaum jünger als ich und als ich noch ein Kind war, hat man sie zum Training zu mir geschickt. Ich glaube mein Vater hatte da seine Finger im Spiel, ansonsten hätte sie wohl kaum Umgang mit jemandem wie mir gehabt. Aber ich glaube, er schuldete ihrer Mutter etwas.“ Im Grunde hatte er sehr gut gewusst, wie sein Vater zu Lady Larash stand. Noch bevor er alt genug war die Details zu verstehen, hatten seine scharfen Ohren die Gerüchte über die Liebschaften König Narcals aufgeschnappt. Doch das musste die Falamar nun wirklich nicht wissen. „Isha wuchs mit mir auf“, fuhr Jorcan fort. „aber sie änderte ihre Meinung und ihre Laune so schnell, dass ich manchmal dachte, ich kenne sie überhaupt nicht. Wir hatten beide
schon bei verschiedenen Einsätzen Kampferfahrung gesammelt, doch als ich fünfzehn und sie fast vierzehn war, wurden wir auf unseren ersten gemeinsamen Einsatz geschickt. Wir sollten ein Lager der Falamar auskundschaften, die sich recht weit in unsere Sümpfe vorgewagt hatten. Am Abend vorher kam sie zu mir und erzählte mir von einer Idee, die so absurd war, dass ich nicht einmal daran dachte, sie könne es ernst meinen. Sie hatte so oft seltsame Einfälle.“ Er lächelte freudlos. „Sie sagte, wir sollten versuchen mit den Falamar zu verhandeln. Dass sie diesen Krieg inzwischen ebenso leid sein müssten wie wir. Ich habe gelacht und ihr viel Glück gewünscht. Ich wusste nicht, dass sie es wirklich tun würde.“ „Im Morgengrauen des nächsten Tages schlichen wir los. Wir sollten nur versuchen, herauszufinden wie viele Soldaten etwa im
Lager waren und ob es irgendwelche Schwachstellen hatte. Ich beaufsichtigte den Einsatz. Der Nebel war dicht und es war kein Problem nah an das Lager heranzukommen, vor allem weil die Falamar auf unserem Terrain so unerfahren waren. Ich sah Isha dicht an einem Wachtposten vorbeischleichen, aber der Narr nahm sie in ihrer Kapuze gar nicht war. Dann machte die Wache auf einmal einen Schritt nach vorne und glitt in eines der Wasserlöcher. Er trug noch eine von diesen alten Rüstungen, von denen sich inzwischen auch die Falamarkrieger verabschiedet haben, und das schwere Ding zog ihn noch schneller nach unten und hätte ihn ersaufen lassen, noch bevor einer seiner Kameraden sich nach draußen in den Nebel gewagt hätte. Aber der Bastard schrie erbärmlich auf und Isha kam. Ich weiß immer noch nicht, was sie sich dabei gedacht hat, aber sie drehte schnurstracks um, ließ sich auf den Bauch fallen, bekam den Falamar am
Kragen zu packen und zog ihn aus dem Wasser. Ich lief erschrocken auf sie zu und sah, wie sie auf den Falamar einredete. Dann machte sie auf einmal ihr Schwert vom Gürtel los und gab es ihm. Ich blieb stehen und musste an den Abend zuvor denken. Ich dachte, wenn sie es vielleicht doch schaffte mit den Falamar in Kontakt zu kommen, dass ihre seltsamen Friedenspläne etwas werden könnten. Also lief ich nicht weiter um es nicht zu verderben.“ Jorcan schloss die Augen und sah in seinen Gedanken die Bilder von damals noch einmal. „Der Falamarsoldat zog ihr Schwert und rammte es ihr in den Bauch. Ich glaube ich habe geschrieen, aber das spielte ohnehin keine Rolle mehr. Als ich zu ihr kam war der Bastard schon fort und ich konnte für Isha nichts mehr tun. Er hat sie nicht einmal schnell getötet. Sie ist elendiglich in meinen Armen verreckt. Ich habe das nie vergessen und auch den Soldaten
nicht. Sollte ich sein Gesicht irgendwo jemals wieder finden, werde ich dafür sorgen, dass er mich anbettelt ihn zu töten, bevor ich ihn umbringe.“ Jorcan öffnete die Augen wieder und die Falamar wich vor seinem Blick zurück. „Also erzähle mir nicht, wir müssten uns nur zusammensetzen und über Frieden reden und schon wäre alles gut“, zischte er kalt. Damit erhob er sich und ließ sich einige Schritte entfernt nieder, wo er stumm in die Dunkelheit starrte. Als er sich eine ganze Weile später zu der Falamar umdrehte, hatte sie sich auf dem harten Boden zusammengerollt und war eingeschlafen. *****
Es war dunkel, als sie erwachte. Das Feuer war beinahe erloschen und vor allem die Glut sorgte für einen düsteren rötlichen Schimmer. Ayala bewegte sich nicht, obwohl ihr wieder kalt geworden war. Sie starrte nur in die Dunkelheit und lauschte auf die Geräusche in der Nähe. Sie waren leise, doch in der absoluten Stille der Höhle ringsherum konnte Ayala nicht anders, als auf sie zu horchen. Es klang als würde jemand oder etwas sich leise bewegen und schlucken. Ayala wandte kaum merklich den Kopf und erkannte Jorcans Silhouette auf der anderen Seite des Feuers. Er blickte nicht zu ihr, doch sie konnte erkennen, dass er die Maske heruntergezogen hatte und sich über seine Ration hermachte. Sie unterdrückte ein Lächeln und versuchte stattdessen mehr zu erkennen.
Etwas an seinem Profil war seltsam. Vielleicht hatte ihn ihre Bewegung auf sie aufmerksam gemacht. Vielleicht war es etwas anderes, dass ihn zu ihr hinübersehen lies. Ayala stockte der Atem und für einen quälend langen Moment starrten sich beide gleichermaßen entsetzt an. Das Falamar-Mädchen hatte noch nie ein Gesicht wie dieses gesehen. Als wären seine Züge aus Wachs, das dem Feuer zu nahe gekommen ist, waren sie verzerrt und schienen Blasen zu werfen. Wo seine Nase hätte sein sollen, befand sich nur ein Stummel als wären seine Züge, als sie schmolzen, schlicht darüber hinweggeflossen. Ayala schloss die Augen und wünschte sich nichts sehnlicher als aufzuwachen und festzustellen, dass dies nur ein sehr seltsamer
Traum gewesen war und Jorcan neben ihr saß wie immer. Oder besser noch, dass sie zu Hause war und alles wieder so war wie früher. Tränen quollen unter ihren Lidern hervor und obwohl sie sich dagegen wehrte, begann sie leise zu schluchzen. Sie weinte bis sie heiser war und hasste sich dafür, so schwach und dumm zu sein. Sie hörte nichts von Jorcan und fühlte beinahe etwas wie Dankbarkeit dafür. Als sie schließlich wieder einschlief war ihr Gesicht so verzerrt, dass sie fast wie ein Schatten dessen aussah, was sie eben gesehen hatte. ***** Jorcan kniete neben der Falamar, die Hand um den Dolch gekrallt und die Maske wieder vor dem Gesicht. Sein Atem ging stoßweise und
noch immer raste sein Herz. Seit frühester Kindheit hatte man ihm eingebläut sich nie ohne die Maske zu zeigen, obwohl er es erst nicht verstanden hatte. Er hatte Isha einmal ohne ihre Maske erwischt und war verschämt zurückgewichen, ohne auch nur zu wissen weshalb. Es hatten doch alle Shakarie Züge ähnlich den seinen. Und doch war er vor Entsetzen erstarrt als ihn die Falamar angesehen hatte. Hätte sie geschrieen, er hätte nicht gewusst, wie er reagiert hätte. Er spürte noch immer, wie Hass in seinen Adern pulsierte, wie die Demütigung ihn den Dolch nicht wegstecken ließ. Schließlich schaffte er es sich von ihr wegzuschieben und kroch zur gegenüberliegenden Wand. Der kalte Stein in seinem Rücken fühlte sich gut an. Er strich mit der freien Hand darüber und gestatte sich die
brennenden Augen zu schließen. Sie schlief nun. Sie schlief und sie hatte nicht geschrien als sie ihn gesehen hatte. Langsam schob er den Dolch wieder an seinen Platz und presste die Hände auf die Knie. Seine Finger gruben sich in den Stoff und sein Kopf sank nach vorn. Warum hast du sie nicht erschlagen? ,Sie hat nicht geschrien', wiederholte er in seinen Gedanken, als wäre es ein Mantra, das alles wieder gut werden lassen könnte. Sie hat geweint. Das war nicht dasselbe. Sie gehörte zu einem schwächlichen Volk, da war es kein Wunder, dass sie in Tränen ausbrach. Es war nicht Grund genug, sie zu
töten. Zumindest nicht hier und jetzt. **** Tamaril zitterte vor unterdrücktem Hass. Er hatte es gewusst! Er hatte geahnt, dass die Shakarie nichts als hässliche Bestien waren. ,Er hätte sie beinahe umgebracht!’ schrie immer wieder in seinem Kopf. ,Er wollte sie töten!’ Der weißhaarige junge Mann trat von dem Buch zurück und ballte die Fäuste. Da war noch mehr. Mehr als sein Zorn über Jorcan, der mit gezogenem Dolch vor dem Mädchen hockte, das nicht bei ihm sein sollte. Ein tiefer, fast irrationaler Hass war in Tamaril aufgestiegen,
ein Gefühl, dass er selbst kaum begreifen konnte, aber von dem er ahnte, dass seine Wurzeln viel tiefer gingen. Mit einem leisen Seufzer zwang er sich dazu ruhiger zu atmen. ,Sie wird jetzt fliehen’, redete er sich beruhigend zu. ,Sie wird die erste Gelegenheit wahrnehmen, die sich ihr bietet, um von dem Scheusal wegzukommen.’ Und wenn keine kam? Tamarils Augen zuckten zu der Feder in seiner Hand. Vielleicht war es doch an der Zeit, dass er Eingriff in die Geschichte nahm. Ein schmales Lächeln erschien auf den bleichen Lippen, als sich eine Idee in Tamarils Gedanken formte. ****
Sie hatte kein Wort über die letzte Nacht verloren. Jorcan zog sich schweigend hoch und schnallte sich den Riemen seines Bündels um. Die Falamar trat an ihm vorbei und hob eine der Fackeln auf die sie vorsichtig an den Resten des Feuers entzündete, bevor sie das letztere löschte. Dann sah sie zu ihm auf und lächelte unsicher. Jorcan machte vor Überraschung beinahe einen Schritt zurück. Er wusste nicht, was genau er erwartet hatte, aber das war es bestimmt nicht. Warum lächelte sie? Sie hatte ihn vorher noch nie angelächelt. Als spüre sie nichts von seiner Verwirrung – wahrscheinlich tat sie es auch nicht, vermutete
Jorcan trocken – trat die Falamar auf ihn zu und begann nervös mit einer Haarsträhne zu spielen. „Ich wollte nur…“ begann sie stockend, „Ich wollte mich nur entschuldigen.“ Damit drehte sie sich abrupt um und schritt zu ihrem eigenen Bündel hinüber. Fassungslos starrte er ihr nach. Ein Teil von ihm war seltsam berührt, wollte ihr nachgehen, ihr zeigen, dass er ihr den Blick verzieh, den sie von seinem Gesicht erhascht hatte. Doch dann wurde er sich bewusst, dass er wieder an Isha dachte. Er biss die Zähne zusammen. ,Sie ist nicht Isha!', erinnerte er sich selbst. ,Selbst wenn sie Respekt vor unseren Bräuchen zeigt, selbst wenn sie mir freiwillig hilft, macht sie das zu keiner von uns. Sie ist keine Shakarie und wird es nie
sein!' Er bemühte sich den Gefühlstumult in sich herunterzuschlucken und schob die Falamar samt ihres Bündels kurzerhand auf den Gang. „Du gehst vor“, sagte er in dem Versuch souverän zu klingen und ärgerte sich, dass seine Stimme nicht ganz mitspielte. Die Falamar sah ihn nicht an, rückte ihr Bündel zurecht und machte sich wieder auf den Weg. **** Ayalas Füße schmerzten erbärmlich. Sie waren bestimmt seit Stunden ununterbrochen gelaufen und der harte Fels unter ihr machte jeden Schritt zu einer
Qual. Doch das war es nicht was sie abrupt stehen bleiben ließ. Ein ganzes Stück den Gang hinunter konnte sie ein schwaches Licht sehen. Sie spürte Jorcans kühle Hand auf ihrer Schulter und konnte nur mit Mühe verhindern, dass sie zusammenzuckte. „Nach Feuer sieht das nicht aus“, zischte er leise. „Vielleicht haben wir einen Ausgang gefunden“, sagte sie hoffnungsvoll, doch als sie einen Blick über ihre Schulter warf, sah sie, dass seine Augen vor Misstrauen schmal waren. Vorsichtig gingen sie weiter. Plötzlich zog sich die Höhlendecke zurück und sie fanden sich in einem Gewölbe wider, dessen Ausmaße im Dunkel verschwanden. Doch vor ihnen, auf der
anderen Seite der Halle, waren in der Wand zwei geschliffene Steine eingelassen, die ein blasses Leuchten von sich gaben. Kaum dass sie den Höhlengang verlassen hatten, glühten die Steine mit blauem Feuer noch heller auf, als hießen sie sie willkommen. Nun konnten sie zwischen den beiden Lichtquellen die Umrisse eines steinernen Tors entdecken, das reich verziert war. Beeindruckt drehte sich Ayala zu ihrem Begleiter um, doch in seinen Augen stand nichts als Schrecken. Eine Hand umklammerte etwas an seinem Hals, ein Amulett vermutete sie, und durch seine Finger schien ein ähnliches blaues Leuchten wie das der Steine. „Was-“, begann sie, doch der Shakariekrieger ließ sie nicht ausreden. Als sei er aus einer Trance erwacht, blinzelte er heftig, dann packte er sie und schob sie hinter sich, während
er hastig das Schwert zog.
„Lauf!“
Ayala stolperte ein paar Schritte, bevor sie sich bewusst wurde, dass ihr Jorcan die Fackel genommen hatte. Sie blickte zu ihm zurück, doch als sie sah, wie der Schatten neben dem Tor lebendig wurde und auf sie zu kam, wünschte sie sich, sie hätte es nicht getan.
Tamarils Finger zitterten vor Anstrengung. Es kostete ihn seine ganze Willenskraft, den Schatten zu erwecken und seinen Willen tun zu lassen. Er brauchte seinen ganzen Zorn, um nicht entkräftet aufzugeben, und doch durfte er auch nicht die Kontrolle an seine Emotionen verlieren. Er versuchte sich auf die grauen Augen des Shakarie zu konzentrieren, doch dabei tauchte ein anderes Bild in seinen Gedanken auf. Ein Gesicht, schön anzusehen und mit ebenso grauen Augen wie sein Gegner sie hatte. Doch mit dem Gesicht riss ein ganzer Reigen an Gefühlen seine Gedanken in schwarze Tiefen. Hoffnung und tiefe Enttäuschung, Wut und Schrecken, Scham und Verzweiflung. Er merkte, dass ihm die Situation zu entgleiten
drohte und konnte doch nur weiterschreiben. **** Jorcan kam schlitternd zum Stehen als der Schatten sich ganz von der Wand löste. Seine Umrisse waren nicht ganz fest, glichen mal einem Tier, verloren sich wieder und ließen ihn dann an ein riesiges Insekt denken. Der Shakarie packte sein Schwert fester, ließ dann aber die Linke mit der Fackel vorschnellen. Tatsächlich konnte das Licht den Schatten ein wenig zurücktreiben, doch kaum hatte der Schwung die Flamme vorübergetragen, kehrte die Düsternis zurück. Eine Klaue tauchte in seinem Blickfeld auf und Jorcan tat sein bestes den Schlag mit seinem
Schwert zu parieren, doch der Schatten glitt an beiden Seiten der Klinge vorbei. Gerade noch, bevor ihn der Angriff treffen konnte, drehte der Shakarie sich zur Seite und wich zurück. Er keuchte erschrocken und bemühte sich außer Reichweite der Dunkelheit zu bleiben, während er hastig die Fackel in die rechte Hand nahm und das nutzlose Schwert wegsteckte. Ein waagerechter Schlag ließ ihn nach unten wegtauchen und sich mit der freien Hand abstützen. Die Fackel deckte seinen Rückzug, doch langsam keimte die Panik in ihm auf. Wie sollte er diesen Kampf nur gewinnen, wenn sein Gegner sich nicht verletzen und bestenfalls nur in Schach halten ließ? Doch einfach aufzugeben und das Unvermeidliche nicht weiter hinauszuzögern, war ebenso
undenkbar. Mit einem Knurren trat er wieder vor und schwenkte die Fackel mit schnellen, ruckartigen Bewegungen. Erneut wichen nur einzelne Gliedmaßen zurück und die Masse des lebendigen Schattens schob sich unaufhaltsam näher. Plötzlich schoss aus der Dunkelheit eine einzelne Spitze wie ein langer, schattenhafter Speer und traf auf das Holz der Fackel über seiner Hand. Die Wucht riss ihm den Schaft aus den Fingern und ließ die Fackel mehrere Meter weit entfernt auf den Boden prallen. Jorcan hatte kaum Zeit überrascht zu sein, dass der erst so substanzlose Schatten nun so zuschlagen konnte. Ein zweiter Schlag raste auf ihn zu und dieses Mal konnte er sich nur fallen lassen, um
auszuweichen. Todesangst drohte den Prinzen der Shakarie zu lähmen als sich der Schatten über ihn beugte und eine Klaue sich in der Schwärze bildete. Verzweifelt versuchte Jorcan rückwärts zu robben, doch es war ihm bereits bewusst, dass er zu langsam war. Da hielt der Schatten auf einmal inne. Jorcan nutzte den Moment und versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, doch da wäre er beinahe mit der Falamar zusammengeprallt. Sie hatte seine Fackel aufgehoben und noch eine weitere aus ihrem Gepäck entzündet. Nun schwang sie beide und drängte den Schatten etwas zurück. Ihre Augen glänzten fiebrig und sie zitterte am ganzen Körper, doch als sie ihm einen Blick
zuwarf, lag auch etwas wie Stolz darin, dass sie so viel Mut aufgebracht hatte. Er wollte ihr zurufen, nicht zu ihm zu sehen. Das Monster nicht aus den Augen zu lassen. Doch es war schon zu spät. Die Klaue, die ihm gegolten hatte, zuckte wieder vor, unter der Fackel hindurch und traf das rechte Handgelenk des Mädchens. Mit einem wortlosen Schrei ließ sie die Fackel fallen und stolperte zurück. Sie wurde kreidebleich und brach in die Knie. **** Tamaril taumelte mit einem Aufschrei vom Pult zurück. Aus seiner Nase tropfte Blut auf den weißen Boden. Er sank auf ein Knie und
versuchte, den rasselnden Atem wieder unter Kontrolle zu bringen, doch bei jedem Zug zuckte heißer Schmerz durch seinen Kopf. Nichts war, wie er gehofft hatte. Es hatte ihn unglaubliche Kräfte gekostet, den Wächter überhaupt in die Geschichte zu bringen und dann... dann hatte sich alles verselbständigt. Er hatte so kurz vor seinem Triumph über den Shakarie gestanden und dann hatte sich ausgerechnet Ayala in den Kampf eingeschaltet. Warum? WARUM? Ein wütender Schrei entkam seinen Lippen. Dann wurde es still, als er zu einem kleinen Häufchen zusammensank und Tränen
hoffnungsloser Wut seine Wangen herabrannen. Und wenn sie starb? Nein, das durfte nicht geschehen! Er musste die Kontrolle zurückbekommen, den Wächter unter seinen Willen zwingen, auch wenn das bedeutete, dass der verfluchte Shakarie die Tore durchschreiten konnte. Er zog sich am Pult wieder in die Höhe und biss die Zähne gegen den pochenden Schmerz hinter seinen Schläfen zusammen, bis er sein Zittern so weit unterdrücken konnte, dass er in der Lage war weiterzuschreiben. **** Jorcan bekam das Mädchen zu fassen, bevor sie
auf den Boden aufschlug und schaffte es, sie aus der Reichweite des Schatten zu zerren. Hastig versuchte er, einen neuen Plan zu fassen. Ob das Monster ihnen auch zurück in die Tunnel folgen würde? Doch als seine Augen das Gewölbe prüfend durchmaßen, wurde ihm bewusst, dass der Schatten sich nicht mehr rührte. Nein, das war auch nicht richtig. Der Schatten wurde kleiner. Er verlor an Kontur, zog sich in sich selbst zurück und war schließlich nicht mehr als die Dunkelheit jenseits des Lichts der Fackel. Der Weg zum Tor war frei. Unwillkürlich wanderte seine Hand zu dem Amulett auf seiner Brust. Auch wenn ihn sein
Instinkt warnte, dem Frieden nicht zu schnell zu trauen, war ihm doch, als rufe ihn etwas jenseits des Tores. Etwas, das ihn aufforderte nach Hause zu kommen. Verwirrt presste er die Lippen zusammen. Aber dann fiel sein Blick auf die Falamar in seinen Armen. Ihr bleiches Gesicht und ihr flacher Atem erinnerten ihn daran, dass er nicht alle Zeit der Welt hatte zu entscheiden. Dennoch wehrte er sich gegen das Mitgefühl, das in ihm aufzusteigen drohte. Am rationasten wäre es wohl, die Närrin einfach hier liegen zu lassen. Immerhin hatte er sie nicht um Hilfe gebeten. Kein Wunder, dass das untrainierte Ding in Schwierigkeiten geraten war, als sie sich eingemischt hatte. Wenn sie ihm nur nicht das Leben gerettet
hätte. Mit einem unwilligen Seufzer umfasste er ihre Schultern und schob die andere Hand unter ihre Knie. Ihr regloser Körper war überraschend schwer, doch er biss die Zähne zusammen und schleppte sie auf das Tor zu. Als er bis auf wenige Meter herangekommen war, schwangen die Torflügel lautlos auf, als habe jemand bereitgestanden, ihm diesen Dienst zu erweisen. Drinnen entflammten blaue Lichter, so wie die der Steine zu beiden Seiten des Tores. Mit offenem Mund trat der Shakarieprinz näher, doch er konnte nirgendwo ein Lebenszeichen entdecken. Er beschloss der Sache später auf den Grund zu gehen, trug die Falamar durch das Tor und kehrte dann noch einmal zurück, um auch ihre
Bündel zu holen. Als er weit genug hereingekommen war, schwangen hinter ihm die Torflügel wieder zu und vor ihm erleuchteten die Steine eine gewaltige Höhle. Eine Höhle, die eine ganze Stadt beherbergte. Mit großen Augen bestaunte Jorcan die Wunder, die sich ihm darboten. Doch dann rutschte der schlaffe rechte Arm der Falamar herab und berührte seine Hand. Er zerrte den weiten Ärmel ihres Kleides zurück und schauderte. Die Finger des Mädchens waren so kalt wie die einer Leiche und in ihrem Arm wand sich ein Schatten hinauf, als habe die Dunkelheit ihr Blut in Besitz genommen. Mit jedem Pochen ihres Herzens wanderte der Schatten weiter. Jorcan schluckte. Dann entschied er sich.
**** Es war so still, als sie erwachte, dass sie sich für einen Moment fragte, ob dies die Wirklichkeit sein konnte. Sie starrte an die Decke eines spärlich beleuchteten Zimmers und wagte nicht den Kopf zu bewegen. Was war geschehen? Sie erinnerte sich an den schrecklichen Schatten. Wie Jorcan auf ihn zulief. Wie sie selbst einen Schritt vorwärts machte. Und dann an nichts. Sie fuhr sich mit der Zunge über die rissigen Lippen und versuchte mühsam die Augen
aufzuhalten. Die Decke über ihr war schlicht und mochte einmal weiß gewesen sein, doch in den Ecken schwangen weit ausladende, staubbeschwerte Spinnweben in einem leichten Windzug. Auf einmal wurde die Tür geöffnet und ihr schien es, als würde die gesamte Decke in Bewegung geraten und auf sie zustürzen. Sie schloss matt die Augen. „Du bist endlich wach.“ Es war seltsam nur Jorcans Stimme zu hören, ohne ihn sehen zu können. Er klang so normal. Als wäre er ein Falamar. Sie spürte die Bewegung als er sich neben sie kniete und sah zu ihm auf. Sie hatte sich an seinen Anblick zumindest so weit gewöhnt, dass er sie nicht mehr in Panik versetzte.
Seltsam, dass sogar ein Shakarie einem mit der Zeit vertraut werden konnte. Die gleiche graue Kapuze, die Maske, dunkel von seinem eigenen Blut. Oder war es wirklich so viel gewesen? Seine ganze Brust schien viel dreckiger zu sein als vorher. Mühsam rang sie sich ein Lächeln ab. „Wo bin ich?“ Sie erschrak beinahe als sie sich selbst hörte. Wie zittrig und leise ihre Worte waren! „In einer verlassenen Stadt“, erwiderte der Shakarie. „Sie lag jenseits der Tore, die der Schatten bewacht hat.“ „Der Schatten? Was ist denn passiert? Ist er...“, sie hob angestrengt den Kopf, doch Jorcan schüttelte den seinen und sie sank mit einem Seufzen in sich zusammen. „Er hat sich zurückgezogen. Und gefolgt ist er
uns auch nicht in der ganzen Zeit, also denke ich nicht, dass wir es wieder mit ihm zu tun bekommen, solange wir nicht durch die Tore zurückgehen.“ „In der ganzen Zeit? Wie lange sind wir denn hier?“ „Du warst lange bewusstlos. Tage vielleicht.“ Sie runzelte die Stirn. „Was ist mit mir passiert?“, fragte sie leise. Eine Weile schwieg der Shakarie nur, als versuche er die richtigen Worte zu finden. Schließlich schnaubte er und wich ihrem Blick aus. „Verdammt, Falamar, ich hatte dich nicht darum gebeten, dich da einzumischen. Ich hatte dir gesagt, dass du weglaufen sollst.“ Verwirrt versuchte sie sich zu erinnern, was
geschehen war, nachdem Jorcan auf den Schatten zugelaufen war. Was hatte sie getan? „Entschuldigung“, murmelte sie schwach. „Habe ich es dir schwerer gemacht?" Seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Glaub nicht, dass ich dir etwas schulde!“, brachte er hervor. „Du selbst hast dir das zuzuschreiben.“ Damit sprang er auf und floh beinahe. Ayala versuchte sich aufzusetzen und ihm zu folgen, doch ein erbärmlicher Schmerz fuhr durch ihre rechte Seite und Schulter. In einem Reflex riss sie sich die Decke mit der Linken vom Leib und starrte auf den Stumpf ihres Arms. ****
Jorcan wusste nicht, wie lange er durch die tote Stadt gewandert war. Er hatte in den letzten Tagen so oft darüber nachgedacht, was er der Falamar sagen würde, wenn sie aufwachte. Aber wann immer er sich die Situation vorgestellt hatte, hatte er nie damit gerechnet, dass sie ihn so anlächeln würde. Es war erbärmlich, wie er in ihrer Gegenwart wieder und wieder so weich wurde. Sie war so eine Närrin! Nun, vielleicht war sie nicht die dümmste Kreatur, die die Falamar zu bieten hatten, mit Sicherheit aber war sie die Naivste. Und was war nur in ihn gefahren, ihr gegenüber Freundlichkeit zu zeigen? Er hatte sich schon beinahe an ihre Gesellschaft
gewöhnt, hatte sich sogar dabei ertappt, sich Sorgen zu machen, als sie bewusstlos an der Schwelle des Todes gewesen war. Und jetzt würde sie ihm nur noch ein Klotz am Bein sein, würde ein jammerndes, wandelndes Ärgernis sein und an ihm auslassen, dass sie dämlich genug gewesen war, sich einzumischen. Er hätte sie liegenlassen sollen und warten, bis das Gift ihr den Rest gab, anstatt ihren Arm zu amputieren, so dass das dumme Ding als Krüppel weiterlebte. Und mit Sicherheit hätte er das auch getan, hätte er ihr nicht das Leben geschuldet. Ausgerechnet ihr! Jorcan trat wütend durch eine Tür und versuchte sie hinter sich zuzuschlagen. Doch auch die Mechanismen dieses Ortes taten ihr Übriges um seine Laune zu verschlechtern. Wo immer er hinging, schwangen die Türen vor ihm auf und schlossen sich lautlos hinter ihm,
als würden unsichtbare Diener nur bereitstehen ihm aufzuwarten. Es gefiel ihm nicht. Der Raum vor ihm war bis auf staubbedeckte Möbel leer. Jorcan fluchte leise vor sich hin und ließ sich an einer der Wände zu Boden gleiten. Er lehnte den Kopf zurück und strich mit einer Hand über das getrocknete Blut auf seiner Kleidung. Falamarblut. Sein Vater würde sich freuen. Der Gedanke brachte ein klägliches Lächeln auf seine Lippen. Ob sein Vater von seinem Verschwinden gehört hatte? Unwahrscheinlich. Er war sich noch immer unsicher, welche Rolle Charn bei dem Einsturz der Höhle gespielt hatte, aber selbst wenn er dem General Unrecht tat, waren es doch einige Tagesreisen bis über die Grenze. Vermutlich würde es sowieso keinen Unterschied machen. Er konnte sich nicht
vorstellen, dass König Narcal viele Tränen um seinen Sohn vergießen würde. Mit einem Seufzen erhob sich Jorcan und verschwand durch die sich lautlos öffnenden Türen. Sofort glommen draußen die Steine auf und erleuchteten ihm den Weg zurück, eine kleine Anhöhe hinab und auf die Hauptstraße, die sich recht gerade durch den gewaltigen Komplex zog. Er fand die kleine Hütte in der Nähe der Tore, wo er die Falamar zurückgelassen hatte, schnell wieder und zögerte nur kurz auf dem kleinen Pfad zur Tür. Das Mädchen war verschwunden. Jorcan trat verblüfft ganz hinein und starrte auf die leere Lagerstatt, die im Aufleuchten der Deckensteine sichtbar wurde. Dann bemerkte er eine Bewegung zu seiner Linken und entdeckte hinter einer hölzernen Kiste ein
zusammengesunkenes Bündel Kleider. Ein Bündel mit blutverschmiertem dunklem Haar, das strähnig über die spitzen Ohren hing. Keine Schwäche zeigen, ermahnte er sich selbst. Mit raschem Schritt ging er zu der elenden Kreatur hinüber, griff ihr ins Haar und zwang sie, ihn anzusehen. Die verquollenen Augen und das gerötete Gesicht verrieten ihm, dass sie geweint hatte. Er war nicht überrascht. „Du bist einfach jämmerlich,“ teilte er ihr kühl mit. „Kannst du dich nicht ein einziges Mal zusammenreißen? Immerhin lebst du noch.“ Sie wimmerte leise. „Ihr... Ihr habt mein Leben zerstört. Was... was soll... soll denn nun werden? Ich kann nichts mehr tun. Ich werde nie wieder jemanden umarmen können wie früher. Ich-“, ihre Stimme versagte und sie
begann wieder zu schluchzen. Kalte Wut stieg in ihm auf. Wie konnte sie es wagen! Als wäre ihm die Begegnung mit ihr so viel besser bekommen! „Dein Leben zerstört, ja? Hör zu, du egoistische, kleine Ratte, ich wünschte ich hätte dich wirklich zum Sterben liegengelassen. Ich wünschte, ich wäre dir nie begegnet. Warum bist du nicht in deinem elenden Dorf mit dem anderen Ungeziefer verreckt?“ Mit einem hasserfüllten Schrei sprang die Falamar auf. Sie schien die Schmerzen kaum zu spüren als sie sich auf den Krieger stürzte, mit der Faust auf ihn einschlug, versuchte ihn zu zerkratzen, ihm irgendwie wehzutun. Doch alles, was sie bekam, war ein spöttisches Lachen als Jorcan ihren Arm abfing und sie zur Seite zog, so dass sie wieder zu Boden
ging. „Du solltest etwas an deiner Kampftechnik feilen, Falamar. So wird die Eroberung eures Landes ja nicht gerade zu einer Herausforderung.“ Ihre Finger zogen Rillen in den Staub als sie in hilfloser Frustration die Faust ballte und wieder öffnete. „Warum tut Ihr das?“ Jorcan schwieg. Seine eigene Wut war wieder verflogen, so wie es immer war, und hatte einer kalten Entschlossenheit Platz gemacht. „Ich werde hier nicht sterben. Ganz egal mit wem ich in dieses verlassene Loch gesperrt wurde, ich werde nicht klein bei geben. Und du wirst das auch nicht! Du wirst nicht mehr heulen wie ein Kleinkind, du wirst gefälligst dankbar sein für das, was du von mir bekommst. Hast du verstanden,
Falamar?"
Er wartete ein paar Sekunden auf eine Antwort, doch als keine kam, verließ er die Hütte und kehrte lange nicht zurück.
Sie konnte sich nicht richtig daran erinnern, wie sie zurück auf ihr Krankenlager gekommen war, doch als Ayala das nächste Mal erwachte, lag sie nicht nur auf ein paar alten Lumpen, auch ihre Decke war wieder über sie gebreitet. Inständig wünschte sie sich daran zu glauben, dass ihr erstes Erwachen nur ein böser Traum war, doch nicht einmal das war ihr vergönnt. Zu deutlich spürte sie den pochenden Schmerz in ihrem Arm. Oder dem was davon übrig war. Erschöpft drehte sie den Kopf und fand überrascht eine zweite Gestalt nicht all zu weit entfernt von ihr liegen. Sie wusste nicht recht, was sie denken sollte. Ob er sie zurückgetragen hatte? Und wenn ja, warum tat er das, wenn er
ihr doch so deutlich gezeigt hatte, wie sehr er sie hasste? Ihr Blick fiel auf eine Schale mit Wasser, die zwischen ihnen stand. Mit einem Mal wurde sie sich ihres quälenden Durstes bewusst. Mühsam setzte sie sich auf, doch das Pochen in ihrem Arm verstärkte sich so sehr, dass ihr übel und schwindelig wurde. Ihr Kopf sank auf ein Knie und sie presste verzweifelt die Zähne aufeinander um nicht aufzuschreien. Ihre Bewegung musste ihn geweckt haben, denn einen Moment später spürte sie eine Berührung an der Schulter. Sie sah ihn nicht an – konnte es nicht ertragen ihn anzusehen - aber sie erlaubte ihm wortlos sie zurück zu dirigieren und trank, als er ihr die Wasserschale an die Lippen setzte.
Auch als er ihr etwas anderes in den Mund schob, das sie nicht erkannte, aber von dem sie annahm, dass es essbar sei, kaute sie gehorsam. Kurze Zeit später schlief sie erschöpft wieder ein. So vergingen die Tage und wurden zu Wochen. Nicht immer war Jorcan zur Stelle, wenn sie erwachte, doch fand sie stets etwas frisches Wasser und etwas zu Essen vor. Oft wusste sie nicht einmal, ob es sich um Früchte, Brot oder um etwas völlig anderes handelte, doch sie nahm an, dass ihr Jorcan nichts Ungenießbares bringen würde. Immerhin hatte er genug Gelegenheiten, sie zu töten oder sterben zu lassen, verstreichen lassen und es war
unwahrscheinlich, dass er nun den Wunsch hegte, sie zu vergiften. Selbst als es Zeit wurde ihre Verbände zu wechseln, half der Shakarie. Zwar war er ganz offensichtlich ungeübter als sie darin, doch wäre sie ohne ihn wohl gar nicht in der Lage gewesen sich zu versorgen. Dennoch war sie unfähig, ein Wort des Dankes über die Lippen zu bringen. Er hatte die Wunde wohl mit Feuer verschlossen, doch sie brachte es kaum über sich mehr darüber nachzudenken. Beinahe mechanisch reinigte sie die Wunde, so gut sie es konnte und ließ sich dann beim Anlegen frischer Verbände helfen.
Oft lag sie wach, dachte ans Sterben, an das, was sie verloren hatte. Doch jedes Mal kam sie an den Punkt, wo sie sich eingestand, dass sie in Wirklichkeit noch immer am Leben hing. Dass es wahrscheinlich nicht einmal des Schwurs bedurft hätte, den sie Jara geleistet hatte. Tief in ihr fand sie etwas, das nicht bereit war aufzugeben. Und sie wurde sich bewusst, dass sie bereits begonnen hatte zu kämpfen, als sie aß und trank. Als sie begonnen hatte neue Bewegungen zu üben, die ohne die verlorene Hand auskamen. So kam es, dass sie eines Morgens wieder die Kraft fand zu sprechen. Sie war alleine erwacht und saß auf ihrem Lager, betrachtete die
Überreste ihres Kleides und versuchte die Lumpen wieder einmal zurecht zu rücken, als Jorcan hereinkam. Sie warf ihm einen Blick zu, begegnete zum ersten Man seit langem wieder seinen Augen und sagt ohne Umschweife: „Ihr hattet Recht.“ Für einen Moment starrte sie der Shakarie perplex an, dann kam er langsam näher und hockte sich neben sie auf den Boden. „Ihr habt gesagt, ich solle an das denken was ich noch habe“, erklärte sie. „Und dass Ihr hier nicht sterben wollt.“ Sie hielt einen Moment inne, dann schob sie ihr Kinn vor und tat ihr Bestes entschlossen auszusehen. „Ich will auch nicht sterben.“
Eine Weile sah der Shakarie nachdenklich ins Leere, dann richtete er einen prüfenden Blick auf sie. "Vielleicht solltest du dir etwas anderes zum Anziehen suchen", meinte er trocken. Ayala sah an sich herab auf das einst helle Kleid, das von Schlamm und Blut eine ganz neue Färbung bekommen hatte. Sie hatte sich bemüht den gröbsten Schmutz zu entfernen, doch zu mehr hatte ihr schlicht die Möglichkeit gefehlt. Sie konnte von Glück reden, dass Jorcan an diesem seltsamen Ort so viel Stoff für Verbandsmaterial gefunden hatte, denn hätte sie Streifen ihres Kleides dafür verwenden müssen, ihr Armstumpf hätte sich mit Sicherheit entzündet.
Bei diesem Gedanken stutzte sie. Woher hatte er denn den Stoff nun bekommen? Alles, was sie in den Wachstuben gefunden hatten, war so alt und brüchig gewesen, doch ihre Verbände wirkten wie vor kurzem erst gewebt. "Das sollte ich", erwiderte sie schließlich. "Wenn ich wüsste, wo ich hier neue Kleidung finden kann, würde ich es sogar ganz bestimmt." Jorcan nickte nur und hielt ihr eine Hand hin. "Komm!" Sie ließ sich auf die Füße helfen und verließ dann mit ihm ihr Krankenzimmer. Sie war froh
in den letzten Tagen immer wieder das Laufen geübt und ihre Muskeln ein wenig an Bewegung gewöhnt zu haben. Dennoch fühlte sie sich ein wenig unsicher auf den Beinen. Einen Moment später jedoch hatten sie das Gebäude verlassen und der Blick der sich Ayala bot, ließ sie alles andere vergessen. Über ihr wölbte sich die Höhle zu einer gewaltigen Halle. Aus dem Stein gemeißelte Kuppeln reihten sich aneinander, erleuchtet von dem blauen Licht vieler durchscheinender Steine, die rings um sie her aufleuchteten. Das Haus, aus dem sie gerade getreten waren, schmiegte sich in die Felswand, aus der es hervorzuwachsen schien. Daneben reihte sich Bauwerk an Bauwerk, eines wundersamer und atemberaubender als das andere. Der helle Stein
schimmerte in dem seltsamen Licht, das die filigran gearbeiteten Torbögen und Verzierungen beinahe transparent aussehen ließ. Die Häuser setzten sich über den ebenen Boden der Halle fort und zogen sich auch an den Wänden in die Höhe, unterbrochen von gewundenen Straßen, die sich wie Fäden durch das Kunstwerk wanden. "Genug gestaunt?" Sie warf Jorcan einen Blick zu, doch der war bereits auf dem Weg zum Zentrum der Stadt. Dort befand sich ein gewaltiges Gebäude, dessen eine Seite sich zu einer Kuppel erhob, doch auf der anderen Seite war ein Anbau, der wie ein Finger die Hauptstraße entlang deutete, bevor er immer flacher wurde, bis er völlig ebenerdig war. Ayala legte den Kopf in den
Nacken, als die Beiden auf das riesige Portal des Kuppelbaus zugingen. Die Doppeltüren ragten mehr als zehn Meter in die Höhe und waren über und über mit Schnitzereien verziert. Als sie keine zwanzig Meter mehr davon entfernt waren, glühten beide Türen leuchtend blau auf und Ayala wurde sich bewusst, dass das gesamte Portal aus den leuchtenden Steinen gefertigt war, die ihnen überall in der Stadt den Weg erhellt hatten. "Was ist das?" hauchte sie atemlos. Jorcan drehte sich nicht zu ihr um. "Eine Art Versammlungshalle. Du wirst mehr sehen, wenn wir drinnen sind", erwiderte er kurz. Die Doppeltüren schwangen vor den Beiden auf
und schlossen sich lautlos, als sie hindurch waren. Vor ihnen erstreckte sich ein kreisförmiger Saal, zu dessen in den Boden eingelassenem Zentrum Treppen hinabführten. Ayala schnappte nach Luft. Überall, auf den Treppen, den in den abfallenden Boden eingesetzten Bänken und der bühnenartigen Ebene in der Mitte unter ihnen, hockten Gestalten, gekleidet in Fetzen, überzogen von totem Grau. Manche lagen am Boden, andere hatten die Arme um den Nachbarn geschlungen oder versteckten das Gesicht in Händen oder Armen. Kleine Gestalten dazwischen klammerten sich an größere oder schienen in einem Versuch des Entkommens die Treppen hinaufzukriechen. Doch über allem lag nichts als die Stille das Todes.
**** In Tamarils Brust stieg ein so intensives Gefühl der Trauer auf, dass er gequält aufstöhnte. Ein stummer Schluchzer schüttelte ihn. Er klammerte sich an das Pult und beugte sich keuchend vor. Das Zittern wurde stärker und er sank auf die Knie. Er konnte die Szenerie, die er eben beschrieben hatte, vor seinem inneren Auge deutlich sehen und es bereitete ihm schreckliche Qual. ,Deine Schuld!', schrie ihn eine Stimme in seinem Kopf an.
Nein, nein, es war nicht seine Schuld. Es war Verrat gewesen! Nicht er! Er hatte nur... Er konnte nicht weiterdenken. Wagte nicht sich dem Schmerz zu stellen. Mühsam schaffte er es sich wieder aufzurichten. Sein Kiefer zitterte vor Anstrengung, als er sich zwang weiterzuschreiben. **** Jorcan griff nach Ayalas Linken und zog sie vorwärts. "Komm weiter. Sie sind schon lange
tot, so wie es aussieht. Du kannst ihnen ohnehin nicht mehr helfen." Eine Balustrade führte an der rechten Flanke des Saals dicht an den Wänden halb um die versammelte Menge herum zu einer weiteren prächtigen Tür. In sie war etwas geschnitzt, das Ayala für ein Pferd hielt, doch hatte sie nie einen solchen Ausdruck im Gesicht eines der Tiere auf dem Hof, wo sie aufgewachsen war, gesehen. Dann trat Jorcan auf die Tür zu und ein Stein auf der Stirn des Pferdes glomm weiß auf. Nein, es war eher ein Horn, stellte Ayala fest. Die Tür schwang nach außen auf und das Abbild des Tieres wich einem abwärts führenden Gang, dessen Wände silberweiß schimmerten. Dunkel gegenüber der Helligkeit der Türen gingen mehrere Gänge zu beiden Seiten ab.
Ayala folgte Jorcan und Schritt für Schritt wandelte sich die Welt. Die leuchtenden Wände wiesen Verzierungen auf, zunächst zart und fast unsichtbar, doch mit der Zeit wurden die Umrisse von Bäumen deutlich, hoben sich immer mehr ab, wurden schließlich beinahe plastisch. Dann stand Ayala auf einmal in einem Gang, eingerahmt von silbernen Bäumen, die so dicht beieinander standen, dass es unmöglich war vom Weg abzuweichen. Weiter vorn sah sie, wie sich der Weg verzweigte, doch der gerade Hauptweg lief unbeirrt weiter bis er vor einem Tor, gebildet aus einem Vorhang kunstvoll verwobenen Gestrüpps, eingerahmt von zwei mächtigen Bäumen, endete. Jorcan war jedoch in einem der Seitenwege verschwunden.
Staunend wanderte Ayala durch den silbernen Wald, der sie auf festen Wegen dirigierte. Am Wegesrand fand sie unbekannte Sträucher, die die Früchte trugen, die auch Jorcan ihr schon gebracht hatte. Auch einige der silbernen Bäume trugen Obst und durch das weiße Unterholz zog sich ein Wasserlauf. "Träumst du?" Ayala musste zweimal hinsehen um Jorcans graue Kluft zwischen den Bäumen zu entdecken. "Holt Ihr von hier unser Essen?" fragte sie. "Ja", erwiderte er kurz. "Ich dachte wir wären
unterwegs, weil du neue Kleidung brauchst." "Entschuldigt. Ich habe Euch wohl aus den Augen verloren." Jorcan drehte sich wortlos um und führte Ayala auf den Hauptpfad zurück und von dort aus in einen der Seitengänge nahe des Eingangs. Hier waren die Wände noch solide, doch befanden sich zahlreiche Alkoven darin. Jorcan öffnete einen und zog ein blassgrünes Gewand hervor, anders geschnitten als alle Kleider, die ihr vertraut waren. Mit offenem Mund trat sie näher und strich über den Stoff. Er glänzte nicht und war doch glatter als die Woll- und Leinenstoffe, die sie sonst trug. Der Stoff schmiegte sich weich an
ihre Finger, als sie zugriff und das Gewand mit der Linken vor sich hielt. Es passte, aber dann wurde ihr bewusst, dass es keine Ärmel hatte und sie ließ es betreten wieder sinken. Als sie wieder aufblickte, stand Jorcan wieder vor ihr und hielt ihr ein weiteres Kleidungsstück hin. „Ein Umhang?“ fragte sie. So etwas trugen in ihrer Heimat eher Edelleute und ganz bestimmt keine Frauen aus einfachen Verhältnissen. Er zuckte mit den Schultern. „Du kannst ihn über einer Schulter tragen“, sagte er nur.
Nun, er war ohnehin ein bisschen anders gestaltet als es unter Falamar üblich war, überlegte sie. Zögernd nahm sie den Umhang entgegen und wählte sich dann noch einen schmalen Gürtel aus, bevor sie den Rückweg antraten. Als sie die Totenhalle passierten blieb sie dicht hinter dem Shakarie und versuchte nicht hinzusehen. Den ganzen Weg durch die verlassene Stadt schwieg sie beharrlich, doch als sie in dem Haus, in dem ihr Krankenlager aufgeschlagen war, angelangten, konnte sie nicht länger an sich halten. „Warum sind sie gestorben?“, brach es aus ihr hervor. „Sie hatten doch alles, was sie
brauchten dort unten." Jorcan legte den Kopf schief und musterte sie. „Denkst du ,der Schatten hat sie erwischt? Nein, glaub mir, das hat bei deinem Arm anders ausgesehen.“ „Aber warum verhungern sie direkt vor gefüllten Vorratskammern?“ Der Shakarie blinzelte unsicher, dann wandte er sich ab und sagte brüsk: „Was kümmert es dich? Kennst du dieses Volk? Bedeutet es dir etwas?“ Ayala presste die Lippen zusammen. Ihr fröstelte es.
**** Tamaril zitterte. Er ließ die Feder sinken und verließ das Pult. Langsam trat er aus dem kleinen Unterstand heraus und wanderte zwischen die Bäume. Er spürte sein Herz heftig klopfen, doch er hatte keine Angst sich zu verirren. Nach so langer Zeit war der silberne Wald ein Teil von ihm geworden. Unbeirrt ging er auf eine Wand von Bäumen zu, in der zwei Baumstämme ein Tor bildeten, zwischen denen sich silberweißes Gestrüpp undurchdringlich verwebt hatte. In dem Moment, in dem er die Barriere berührte, wusste er, dass dies nicht das erste Mal war, da er an diesem Tor stand. Er wusste, dass er
geschrien und gebettelt hatte, doch der Wald hatte ihn nicht gehen lassen. Aber er wusste nicht, warum er nicht gewagt hatte, hierher zu laufen, als er davon geschrieben hatte, wie das Mädchen auf der anderen Seite angelangt war. Warum er nicht gerufen hatte, in der Hoffnung, dass sie ihn hören konnte. Er ließ den Kopf gegen das Gestrüpp sinken und spürte es seidig weich und doch fest wie stahl an seiner Wange. „Komm zurück“, flüsterte er heiser. Dann wiederholte er es etwas lauter. Wieder und wieder rief er nach ihr und seine Stimme wurde mit jedem Mal fester und drängender. Doch um
ihn her blieb der Wald regungslos und keine Antwort drang zu ihm durch. Tamaril atmete zischend aus und verstummte. Es nützte alles nichts. Ohnehin konnte er nicht sicher sein, dass es wirklich die andere Seite des selben Tors war, vor dem sie gestanden hatte. Und auch wenn dem so war und sie wirklich gekommen wäre, was hätte sie schon ausrichten können? Eine Weile stand er noch unschlüssig da, die Lippen zusammengepresst und die Fäuste geballt. Schließlich drehte er sich um und schlich mit gesenktem Kopf zu dem Buch zurück.
**** Es war am nächsten Tag, dass Ayala sich wieder auf den Weg zur Halle machte. Sie konnte nicht einmal recht sagen weshalb, doch sie hatte das Gefühl unbedingt dorthin zu müssen. Wie die Reste eines vergessenen Traums hallte eine Stimme durch ihren Kopf, die ihr keine Ruhe ließ. Jorcan hatte sich nach ihrem Erwachen noch nicht blicken lassen, doch sie war entschlossen, zur Abwechslung so gut es ging allein zurecht zu kommen. Sie hatte es mit etwas Mühe geschafft, sich an der Waschschüssel, die seit einigen Tagen nahe ihres Lagers stand und immer wieder mit frischem Wasser gefüllt
wurde, zu reinigen. Dennoch war sie sich unangenehm bewusst, dass ihre Haare zwar nicht mehr voller Dreck und getrocknetem Blut waren, jedoch strähniger denn je ihren Rücken herabhingen. Sie schob den Gedanken beiseite. Wenn sie sich auf das konzentrierte, was ihr nicht möglich war, würde sie nur wieder in die dumpfe Traurigkeit verfallen, die sie lange beherrscht hatte. Immerhin war es ihr gelungen die neue Kleidung anzuziehen, die überraschend angenehm zu tragen war. Auch der Umhang schmiegte sich weich an ihre Seite und verhüllte den frisch verbundenen Armstumpf.
Die Stadt war ein ebenso wundersamer Anblick wie am Tag zuvor und doch spürte sie heute die Stille dieses Ortes schwer auf sich lasten. Mit gesenktem Kopf wanderte sie durch die Straßen und fand schnell den Hauptweg, der auf die Versammlungshalle zu führte. Doch als sie auf die Doppeltür zutrat, wollte diese sich nicht vor ihr öffnen. Sie blickte sich ratlos um, dann stemmte sie sich gegen die Tür und langsam schwang sie auf. Ayala hastete durch die Halle und versuchte keinen Blick auf die Versammelten zu werfen. Als sie die verzierte Tür auf der anderen Seite erreichte, regte sich zu ihrem Erschrecken auch diese nicht.
Sie schob, grub die Finger in das schmückende Relief und zerrte aus Leibeskräften, doch die Tür bewegte sich kein Stück. Schließlich gab sie keuchend auf und trat ein Stück zurück. Lautlos schwang die Tür nach innen auf und gab den Weg in den Gang frei. "Hier bist du also." Sie stützte sich an die Wand und sah Jorcan zu ihr treten. Müde deutete sie auf die offene Tür. "Wart Ihr das?" Er warf ihr einen seltsamen Blick zu. "Was
meinst du?" "Für mich wollte sie sich nicht öffnen." Seine Hand wanderte wie unwillkürlich zu seiner Brust. "Ich weiß es nicht", gab er zu. "Etwas an diesem Ort ist sehr seltsam, noch mehr als es eigentlich den Anschein hat. Ich hatte schon, als wir ankamen, ein komisches Gefühl, als würde etwas von mir zurückkehren." Er zog ein Amulett hervor, das weiß schimmerte. "Oder etwas, das ich bei mir hatte." Ayalas Augen wurden groß. "Ihr meint, das stammt von hier?"
Jorcan zuckte mit den Schultern und ging an ihr vorbei den weißen Gang hinunter. Die Falamar versuchte mit ihm Schritt zu halten. "Woher habt Ihr es?" Er warf ihr einen Blick zu, der sie zusammenzucken ließ. "Von meinem Vater." Eine Zeit lang gingen beide schweigend. Als sie beinahe das Tor der Bäume erreicht hatten, versuchte Ayala es erneut. „Dann wisst Ihr vielleicht doch etwas über diesen Ort? Oder ob Euer Volk die Toten kannte?“
Jorcan betrachtete sie wütend. „Sei wenigstens tapfer genug direkt zu fragen, Falamar. Du meinst, wir hätten diese Leute auf dem Gewissen, nicht wahr?“ Er schnaubte. „Denkst du, wir sind verantwortlich für alles Übel dieser Welt? Ich wüsste auch gern, was hier geschehen ist, aber die Toten werden es uns wohl nicht erzählen!“ „Das Einhorn kehrte nicht zurück“, erklang plötzlich eine fremde Stimme. Sowohl Ayala als auch Jorcan traten erschrocken einen Schritt zurück und sahen sich nach dem Ursprung der Stimme um, doch konnten sie niemanden entdecken. „Die Mencun versuchten die Tür zu öffnen, doch allein konnten sie es nicht. Alle großen Türen waren geschlossen. Deshalb gingen sie unter.“
„Wer bist du?“, fragte Ayala atemlos. „Ich bin die Erinnerung“, kam die Antwort. Die Stimme klang seltsam jung und doch erschöpft, als hätte sie lange darauf warten müssen wieder zu sprechen. „Was ist mit dem Einhorn geschehen?“ mischte sich Jorcan ein. „Lang ist die Geschichte und voller Schmerz“, ertönte es wieder. „Sie beginnt am Hofe des Königs Arnthio vor vielen Generationen...“ ****
„...am Hofe des Königs Arnthio vor vielen Generationen...“, hörte Tamaril sich sagen. In ihm rangen Erstaunen, Entsetzten und Neugier miteinander. Er wusste nicht, woher er wusste, was er sagte, doch brach nun aus ihm hervor, was er so lange tief in sich verschlossen hatte.
Das Mädchen war ihm so nahe gekommen, dass er ihre Stimme wieder hören konnte und dieses Mal konnte er nicht länger an sich halten. Sie musste es erfahren und er selbst auch.
Er wehrte sich nicht länger und erzählte die Geschichte, die auch seine Geschichte war.
Shakar grinste breit, als er die Figur niedersetzte. „Schachmatt, Cayoun.“ Sein Gegner lehnte sich mit gönnerhaftem Lächeln zurück und fuhr sich mit einer schmalen, weißen Hand durch das rabenschwarze Haar. „Euer Hoheit haben heimlich geübt, nicht wahr?“ Der junge Prinz lächelte nur. „Lass mir meinen Triumph. Es geschieht selten genug.“ „Ich habe Euch oft genug gesagt, dass dies nicht der Fall wäre, wenn Ihr nur bereit wärt, ein wenig mehr zu riskieren. Ihr sträubt Euch, auch nur einen Bauern zu opfern, doch gehört das zu der Taktik, die das Spiel Euch
abverlangt.“ Shakars blaue Augen glitzerten verlegen. „Ich komme mir immer wie ein Verräter vor, wenn ich so etwas tue. Sie gehören zu mir und sollten mir ebenso viel bedeuten wie die Springer, die Dame und mein König.“ Cayoun seufzte und erhob sich. „Habt Ihr schon Euren Bruder getroffen?“, wechselte er das Thema. „Soviel ich gehört habe, ist er heute Vormittag von seiner Rundreise durch das Reich zurückgekehrt.“ Shakar verzog gequält das Gesicht. „Ich habe es vorgezogen zu warten, bis Falam dem gesamten Hof von seinen neuesten Heldentaten unterrichtet hat, bevor ich mich in seine Nähe wage.“ „Dann solltet Ihr Euch wohl bis nächstes Jahr
ein geeignetes Versteck suchen“, schlug Cayoun amüsiert vor. Shakar lächelte schief. Eigentlich sollte er Cayoun für seine Respektlosigkeit dem Kronprinzen gegenüber zurechtweisen, doch da er ihm im Stillen gern recht gab, konnte er dies einfach nicht über sich bringen. Zudem war ihm Cayoun weit mehr als sein persönlicher Kammerdiener. Er war sein Berater und sein engster Freund, der seit beinahe zehn Jahren in seinen Diensten stand. Gedankenverloren spielte er mit einer Strähne blonden Haars und bemühte sich seinen Zwillingsbruder ins rechte Licht zu rücken. „Es ist eben seine Art. Er mag es im Mittelpunkt zu stehen und als zukünftiger König tut er auch gut daran, sich möglichst schnell daran zu
gewöhnen.“ Cayouns graue Augen blieben undeutbar. „Haltet Ihr das für die wichtigste Eigenschaft eines Königs?“, bemerkte er kühl. Der Prinz presste nun doch ein wenig verärgert die Lippen zusammen. Für gewöhnlich konnte Cayoun seine Abneigung gegenüber Falam recht gut verbergen, doch von Zeit zu Zeit bewegte er sich gefährlich nah an der Grenze zur Verachtung. Cayoun, der gegenüber seinen Stimmungen stets recht feinfühlig war, senkte sofort den Kopf. Shakar unterdrückte ein Seufzen und zwang sich zu einem Lächeln als er Cayoun bis auf weiteres fortschickte. Er würde ihn spätestens beim Abendbankett wiedersehen und vielleicht
fiel ihm ja bis dahin eine bessere Erwiderung auf die letzte Frage seines Dieners ein. Beinahe im selben Moment, in dem sich die Tür hinter Cayoun schloss, erscholl vom Schlosshof unter seinem Fenster ein solches Hallo, dass er nicht erst nachsehen musste um zu wissen, dass Falam auf der Bühne erschienen war. Trotzdem trat er nahe an das schmale Fenster heran, aus dem ein kühler Wind heraufzog, und spähte hinunter. Umgeben von einem Dutzend Höflingen ließ sich der Kronprinz gerade über den Schimmel aus, der für seinen Ausritt bereitgestellt war, seinen Bedürfnissen aber anscheinend nicht gerecht wurde. Schließlich entschied er sich für den Fuchs, der ihm eilig gebracht wurde. Der Zug setzte sich in Bewegung und Shakar blickte dem blonden Haarschopf, der über der prächtigen blauen Jacke schimmerte, nach, bis
sich die Speichellecker so sehr um seinen Bruder gedrängt hatten, dass er nicht mehr zu sehen war. Er fragte sich, ob Falam sich unter ihnen wirklich wohl fühlte. Manchmal bewunderte er seinen Zwilling für die grenzenlose Geduld, mit der er in der Aufmerksamkeit seiner Untergebenen badete. Falam schien ein sehr sicheres Gespür dafür zu haben, wie er mit ihnen umzugehen hatte, während es Shakar oft schwer fiel die Distanz zu wahren. Machte ihn nicht zumindest das fähig König zu sein? **** „Von Arquan ritten wir weiter an der Küste entlang und machten kurze Zeit später schon wieder Halt, weil Saskuen nicht mehr konnte. Ich konnte es kaum glauben, als er vorschlug
uns bei den Fischern einzuquartieren. Könnt ihr euch das vorstellen? Ich in einer völlig stinkenden Fischerhütte? Ich machte ihm jedenfalls sehr deutlich klar, dass ich unter gar keinen Umständen so mit mir umspringen lasse. Er schaffte es dann doch noch bis nach Vyrla, wo ich den Burschen zeigte, dass blaues Blut noch der höchste Garant für Erfolg ist. Ich habe eigenhändig einen Gran erlegt. Diese lächerlichen Fischer wagen sich ja allein nicht an die Biester heran, aber wenn man weiß was man tut, steckt man diese Leute ohnehin in die Tasche.“ Kerzen funkelten auf der langen Tafel, ergänzten das eher spärliche Licht der Fackeln an den Wänden der großen Halle und verliehen dem gemeinsamen Abendessen genau die Atmosphäre, auf die Falam nur gewartet hatte. Seine Augen sprühten vor Begeisterung, als er von seinen Reisen
berichtete. König Arnthio bemühte sich seinem Sohn alle Aufmerksamkeit zu schenken, schien jedoch mit den Gedanken oft bei etwas anderem zu sein. Neben ihm hing Königin Lalay an jedem Wort, das über Falams Lippen kam und betrachtete ihn mit unverhohlenem Stolz. Shakar starrte missmutig auf seinen Teller und verkniff sich jeden Kommentar. Seine Augen wanderten zu dem alten Saskuen hinüber, der Falam aufwartete, und versuchte es mit einem aufmunternden Lächeln, als sein älterer Bruder sich erneut über die Unzulänglichkeiten seines Ratgebers ausließ. Saskuen schien ihn nicht zu sehen. Ein schwarzer Haarschopf schob sich in Shakars Sichtfeld. Der Prinz nickte Cayoun leicht zu und der erwiderte mit einem schmalen Lächeln: „Werden Euer Hoheit mich heute noch
brauchen?“ Shakar widerstand dem Drang eine Grimasse zu ziehen. „Was denn? Du willst dich schon zurückziehen und ich muss hier weiter ausharren?“, flüsterte er durch seine Zähne hindurch. „Sagtet Ihr nicht selbst, dass ein Herrscher um so mehr bereit sein muss für sein Volk zu leiden?“, erwiderte Cayoun ebenso leise. „Verschwinde! Aber bleib in der Nähe deiner Gemächer, falls ich heute Abend noch etwas Aufmunterung brauche.“ Cayouns Grinsen wuchs etwas in die Breite. Er wich lautlos von der Tafel zurück und warf Saskuen einen triumphierenden Blick zu, dann verschwand er in den Schatten in Richtung der
Tür. „Nach dem Fest, das sie zu meinen Ehren gegeben haben, haben sich die Vyrlaner dann aber doch ins Zeug gelegt“, fuhr Falam fort. „Nun, sie haben ja auch nicht alle Tage einen Gast meines Ranges.“ Der Kronprinz lehnte sich zurück, bevor er fortfuhr, um sicher zu sein, die volle Aufmerksamkeit aller zu haben. Sein Blick blieb an seinem jüngeren Zwilling hängen. „Langweile ich dich, Shakar?“ Der zweitgeborene Prinz zuckte ertappt zusammen. „Verzeih, ich muss mit den Gedanken gerade bei etwas anderem gewesen sein.“ „Und bei was, wenn ich fragen darf?“ Shakars Gedanken rasten. „Ich habe“, begann er stockend „an die Botschaft gedacht, die Vater
kurz nach deiner Abreise von den Mencun bekam.“ Das war das erstbeste gewesen, was ihm einfiel, doch umso erstaunter war er, als sich König Arnthio plötzlich aufsetzte und zu Wort meldete. „Gut, dass du darauf zu sprechen kommst. Ich wollte ohnehin mit euch beiden darüber reden.“ Falam verzog gelangweilt das Gesicht. „Die Mencun? Dieses Höhlenvolk? Was wollen die denn?“ Arnthio lächelte angestrengt. „Es geht um Grenzstreitigkeiten. Im Grunde nichts so Bedeutendes. Doch hielt ich es für das Beste, wenn ihr beide davon erfahrt. Im Frühjahr diesen Jahres haben einige Familien begonnen das Bergland im Westen zu besiedeln. Die Mencun haben ihnen mit Schwierigkeiten
gedroht, sollten sie sich nicht zurückziehen. Allerdings nutzen die Mencun weder das Weideland, noch die Wälder oder Steinbrüche dieser Region. Alles was sie wollen ist ihre Höhlen vor neugierigen Augen zu schützen. Deshalb habe ich vor, einen von euch zu ihnen zu senden, der den Mencun unsere friedlichen Absichten mitteilt und ihnen per Vertrag zusichert, dass niemand ihren Höhlen zu nahe kommen wird.“ Falam stöhnte. „Vater, ich bin doch gerade zurückgekehrt.“ „Deshalb hatte ich vor, Shakar zu schicken. Die Fakten sind ohnehin geklärt, also kann auch er als Repräsentant der königlichen Familie die Details abstimmen. Allerdings wollte ich ihn nicht hinter deinem Rücken dorthin senden,
Falam.“ Shakar setzte sich auf. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Falam lächelte seinen Bruder an. „Nun, ich habe nichts dagegen, dass Shakar zur Abwechslung auch etwas Bewegung bekommt.“ Shakar wollte etwas erwidern, doch Falam winkte ab. „Sei nicht böse, Shakar, das wird doch für uns beide das Beste sein. Diesen Vertrag auszuhandeln liegt dir bestimmt mehr als mir. Außerdem würde ich mich besser fühlen, wenn du eines Tages als mein Vertreter schon über etwas Erfahrung verfügst.“ Er lehnte sich vor und nickte seinem Bruder versöhnlich zu. Shakar seufzte, doch dann nickte er und
erwiderte das Lächeln. Falam klatschte in die Hände. „Und wieder ein Problem weniger. Nach so vielen glücklichen Ausgängen werde ich heute besonders gut schlafen.“ Der Kronprinz erhob sich und verbeugte sich leicht vor König Arnthio. „Wenn ihr mich entschuldigt, Vater?“ Königin Lalay hielt ihm die Hand hin, ließ sich auf die Beine helfen und am Arm ihres Sohnes aus dem Speisesaal eskortieren. Shakar schüttelte immer noch lächelnd den Kopf und schickte sich an, seinem Bruder zu folgen. Die Hand seines Vaters auf seinem Arm ließ ihn innehalten. „Warte noch einen Moment“, sagte er leise. Der Jüngere der Prinzen sank zurück auf seinen Stuhl und musterte Arnthio ernst. „Es ist nicht
so einfach, nicht wahr?“ Arnthio blickte auf das dunkle Holz des Tisches. „Die Situation ist mehr als angespannt. Keratil, der Fürst der Mencun, ist einem Kompromiss gegenüber nicht sonderlich offen. Sein Volk ist mehr als alles andere darauf bedacht, ihre Geheimnisse zu schützen. Worum es sich dabei handelt und ob es eine Gefahr für unser Volk darstellt, wissen wir nicht. Dennoch könnten offene oder versteckte Versuche, mehr darüber herauszufinden, einen offenen Krieg auslösen. Auf der anderen Seite haben die Siedler sich zu einem Verband zusammengeschlossen und weichen nicht von ihrem angeblichen Recht, das Bergland zu nutzen, ab.“ Shakar biss auf seine Unterlippe. Für einen Moment schwiegen Vater und Sohn, dann flüsterte der junge Prinz: „Warum schickst du
mich?“ Arnthio seufzte. „Falam ist auf seine Art ein guter Mann, doch er hat nicht deine Geduld und Rücksichtnahme. Der Thron ist sein Geburtsrecht, doch wird eines Tages die schwere Verantwortung, ihn in die richtige Richtung zu lenken, auf deinen Schultern ruhen. Er braucht dich, Shakar, auch wenn er es nicht weiß und es wohl nicht zugeben wird. Du musst eines Tages die Macht hinter dem Thron sein.“ „Ich soll ihn manipulieren“, erwiderte Shakar bitter. Es war keine Frage. „Manchmal muss ein König zugunsten seines Volkes sich selbst zurückstellen.“ In der Stille war jedes Geräusch ungewöhnlich laut. Der Stuhl kratzte über den steinernen
Boden, doch als Shakar schließlich sprach, klang seine Stimme kaum besser. „Wann soll ich aufbrechen?“ „So bald wie möglich. Morgen, wenn es irgendwie geht.“ Auf ein Nicken seines Sohnes hin, fuhr der König fort: „Ich werde alles vorbereiten lassen.“ Er stand auf und legte dem jungen Mann eine Hand auf die Schulter. „Du wirst mich nicht enttäuschen. Das hast du nie.“ Shakar wich seinem Blick aus und nickte langsam. Dann wandte er sich ab und floh aus der Halle. **** Cayoun konnte sein Lächeln nicht zurückhalten, kaum dass Arris ihren Bericht
über das Gespräch des Königs mit seinem zweitgeborenen Sohn beendet hatte. So lange schon hatte er auf diese Gelegenheit gewartet. Arris sah ihn fragend an, also legte er der Dienstmagd die Hände auf die Schultern und flüsterte ihr ins Ohr: „Deine Rache wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.“ Als er den Kopf wieder hob, begannen sich auch Arris' Züge zu erhellen. Mit einem Anflug von Bedauern stellte er fest, dass er sich nicht daran erinnern konnte, sie schon einmal so strahlend gesehen zu haben und versuchte nicht darüber nachzudenken, was sie alles durchgemacht hatte, um die Königsfamilie so zu hassen. Zu seiner Überraschung schlang sie in einer plötzlichen Gefühlsaufwallung die Arme um ihn und verbarg ihr Gesicht an seiner Brust.
„Ich danke Euch, Cayoun“, flüsterte sie heiser. „Für alles.“ Er strich leicht über ihr Haar, doch war er auch vorsichtig, nicht zu viel Zuneigung zu zeigen. Ja, er mochte Arris, doch war sie bei weitem nicht das, was er sich von einer guten Partie versprach. Nicht, dass sie wirklich hässlich war, aber schön konnte man sie beim besten Willen auch nicht nennen. Ihre dunklen Augen standen eine Spur zu weit auseinander, die Nase war etwas zu lang und breit und die Lippen zu schmal, als dass man sie richtig schmecken könnte. Dennoch war gerade dies ein Teil ihres großen Talentes. Man nahm sie nicht wahr. Keine Männer drehten sich nach ihr um und keine Frauen sahen sie als Konkurrenz. Sie war einfach nur da, meist still und anscheinend in ihre Arbeit vertieft. Lauerte irgendwo im
Schatten, wo sie alles, was sie hörte, in sich aufsog und in ihrem Gedächtnis verwahrte. Cayoun hatte schon immer ein gutes Auge für versteckte Fähigkeiten gehabt und er bereute keine Sekunde, Arris aus der Gosse geholt und ihr ihren Arbeitsplatz verschafft zu haben. Aber in sein Bett würde er sie niemals einladen. Nach einem Moment löste sie sich von ihm und sah verlegen zu Boden. Zufrieden, dass sie ihren Platz kannte, legte er eine Hand unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht bis sie ihm in die Augen sah. „Was wäre ich denn ohne dich, mein schlauer Schatten? Niemals hätte ich ohne deine Hilfe das Ohr des Kronprinzen so leicht erreicht.“ Die Röte, die über ihre Wangen flog, zeigte ihm deutlich genug, wie sehr er sie in der Hand
hatte. „Ihr werdet ihn begleiten, nicht wahr?“, hauchte sie. „Den Prinzen, meine ich.“ Cayoun seufzte. „Ja, das muss ich wohl. Er war ziemlich aufgelöst, als er mich nach dem Bankett vor seiner Tür stehen gelassen hat, aber er hat es immerhin geschafft mir zu sagen, dass ich mich für eine Reise bereit machen soll.“ Er lächelte schief. „Letztlich wird uns auch das zum Vorteil sein. Du wirst gut auch eine Weile ohne mich auskommen und ich werde sicher unterwegs nicht untätig sein. Doch bevor wir aufbrechen, sollte wohl der Kronprinz vom drohenden Verrat seines Bruders erfahren, denkst du nicht auch?“ Jegliche Freude war von ihrem Gesicht wieder verschwunden. Ernst und düster starrte sie vor sich hin. „Falam misstraut ihm zutiefst, aber er
wird ohne einen konkreten Grund nicht gegen Shakar vorgehen“, überlegte sie halblaut. „Das würde sein Vater nie zulassen.“ „Einen Grund werde ich schon beschaffen“, erklärte Cayoun gelassen. „Sie stehen sich schon feindselig genug gegenüber und es wird nicht mehr viel fehlen, damit sich die Prinzen gegenseitig zerfleischen.“ Arris Kiefer spannten sich an und sie ballte die Fäuste. „Dann löscht sich die Brut des falschen Königs selbst aus. Ich wünschte nur, es gäbe eine Möglichkeit ihnen im letzten Moment zu zeigen, wer ihnen den Untergang bereitet hat.“ „Du wirst deine Genugtuung schon noch bekommen, Arris. Riskiere nicht über Kleinigkeiten deine gesamte Rache.“ Sie nickte widerwillig. „Das werde ich nicht.
Dafür habe ich schon zu lange gewartet.“ „Dann geh jetzt und teile deine Sorgen über ,die bösen Pläne des zweitgeborenen Prinzen' mit dem Narren Saskuen. Dann wird Falam ganz sicher davon erfahren.“ Cayoun grinste. „Ich werde mein Bestes tun, dir möglichst bald wieder eine Nachricht zukommen zu lassen. Und jetzt sollte ich wohl packen.“ **** Die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel, als sich die Reisegesellschaft am nächsten Morgen auf den Weg machte. Die noch kühle Morgenluft strich um die Beine der Pferde und versprach einen so schönen Tag, dass die Tiere ständig gezügelt werden mussten, damit sie ihre Reiter nicht in ihrer
Begeisterung davontrugen. Shakar starrte selbstvergessen auf die Kruppe seines Pferdes und kaute auf seiner Unterlippe. Er wusste, dass Cayoun dicht neben ihm ritt, doch brachte er einfach kein Gespräch zustande. Sie hatten bereits das Schloss und die drei Seen, von denen es umgeben war, weit zurückgelassen, als plötzlich eine Stimme zu ihm herübergetragen wurde. Er blickte überrascht auf und sah, dass Cayoun eine kleine Laute aus dem Gepäck geholt hatte und nun eine fröhliche Melodie anstimmte, in die nach und nach die Soldaten ihrer Eskorte einstimmten. Shakar lachte in sich hinein und schloss sich dem nicht allzu melodischen, doch dafür lauten Chor an. Als das Lied endete, lenkte er sein Pferd dichter an Cayouns heran und grinste. "Wie
schaffst du es nur immer wieder mich abzulenken, wo ich doch eigentlich so viel zu planen habe?" Sein Diener blinzelte unschuldig. "Da Ihr entschieden habt, mich nicht in die Vorgänge einzuweihen, war es mir unmöglich zu wissen, dass ich Euer sorgenschweres Herz mit meinem kleinen Lied stören würde." Shakar schmunzelte. "Du bist ein Schuft, Cayoun. Tu nicht so, als würdest du mich nicht gut genug kennen, um genau zu wissen, wie mir zumute ist." Cayoun lächelte nur. Shakar schlug ihm auf die Schulter und grinste wieder schadenfroh, als der schmale junge Mann zusammenzuckte. "Es ist schön, dass du hier bist." Damit ließ er sich wieder auf seine
Position hinter der Vorhut tragen, doch das entspannte Lächeln blieb auf seinen Lippen. Er sah nicht zu Cayoun zurück und so entging ihm der Blick, den ihm der Andere zuwarf. Ein Blick von Bedauern und Hoffnung, Zweifel und Entschlossenheit. Dann gesellte sich zu dem Rhytmus der stampfenden Hufe wieder Cayouns angenehme Stimme, die von lang vergessenen Zeiten sang, von gefallenen Helden und großen Träumen. Shakar kannte das Lied gut. Cayoun hatte es oft gesungen, als die beiden noch in dem Alter waren, da sie sich aus dem Schloss geschlichen und auf den Klippen des Sees Maran südlich des Schlosses Triannars gesessen hatten. Als sich seine Hände fester um die Zügel schlossen, schien es ihm, als wäre das in einem anderen Leben gewesen. ****
Die Reise verlief ohne große Zwischenfälle. Sie ritten ohne Eile auf den weiten Handelsstraßen, die sich von Triannar aus wie Speichen eines Rades in alle Winkel des Landes erstreckten. In unregelmäßigen Abständen waren Gasthäuser an der Straße zu finden, doch auch sonst waren sie gut genug versorgt, um bei einer Rast nicht in Trübsal zu verfallen. Das Wetter hielt auch in den nächsten Tagen und als die Gruppe schließlich von weitem die Berge erblickte, waren alle guten Mutes ihr Ziel innerhalb von zwei Tagen zu erreichen. Die rauer werdende Landschaft bremste die Pferde allerdings mehr als erwartet, sodass der Trupp erst am Nachmittag drei Tage später durch Landis, die größte der Bergsiedlungen, ritt. Während Shakar und Cayoun in einem
geräumten Haus Quartier bezogen, wo sie sich von dem Schmutz der Reise befreiten und neu einkleideten, lagerten die Soldaten außerhalb und organisierten sich in Wachschichten. Shakar wirkte sehr müde, doch erschien er auf dem Abendbankett, das die Siedler für ihn organisisert hatten, wenn es doch nicht so üppig ausfiel, wie er es gewohnt war. Cayoun begleitete ihn, doch blieb er eher im Hintergrund bis der Anführer der Siedler seinen Prinzen mit allem Respekt begrüßte. Die beiden ließen sich an einem der hinteren Tische nieder und unterhielten sich dort gedämpft, bevor das eigentlich Bankett begann. Cayoun überlegte angestrengt, wie er sich am Besten zu den beiden gesellen konnte ,ohne zu viel Aufmerksamkeit zu erregen und begann zu bedauern, dass er Arris nicht bei sich hatte, als sich die Tür öffnete und eine junge Frau in den Gastraum
trat. Cayouns Augen weiteten sich. Ihr Haar war lebendiges Feuer und ihre Augen glühten wie Jadesteine. Als sie seinen Blick erwiderte und lächelte, begann sein Herz wie wild zu klopfen und er wusste, dass sie perfekt war. Und er wusste, dass sie gerade gut genug für ihn war. Er schenkte ihr sein schönstes Lächeln und trat etwas zur Seite, wo er sich an einem Tisch weit genug von Shakar entfernt niederließ. Mit Genugtuung sah er, dass sie seinen Wink verstand und ihm folgte. Als sie zu ihm trat, breitete sie ihr Kleid in einem perfekten Knicks aus und schlug die Augen nieder. "Euer Hoheit", begrüßte sie ihn. Cayoun konnte sich noch soweit beherrschen nicht zusammenzuzucken und weiter zu lächeln.
"Ich fürchte, da werde ich Euch nicht dienen können. Seine Hoheit hat sich bereits dort drüben niedergelassen", erklärte er geschmeidig. "Mein Name ist Cayoun. Ich bin der persönliche Diener Seiner Hoheit. Vielleicht könnte ich Euch später vorstellen?" Sie lächelte immer noch, auch wenn es ihm schien, als seien ihre Augen merklich kühler geworden. "Ich bin Jilla. Mein Vater, Iareg, führt diese Siedlung. Wie ich jetzt sehe, hat er bereits Bekanntschaft mit Seiner Hoheit geschlossen. Ich denke daher, dass ich Euch keine weitere Mühe bereiten sollte, Cayoun." Damit erhob sie sich und ging quer durch den Gastraum zu ihrem Vater hinüber. Cayoun sah ihr nach und lehnte sich etwas enttäuscht zurück. Dann lächelte er wieder. Welche Freude machte schon ein Leben ohne Herausforderungen? Er dachte darüber nach ihr
zu folgen, doch plötzlich erhob sich draußen ein Tumult und die Tür öffnete sich abermals, dieses Mal mit genug Schwung um verdächtig in den Angeln zu knarren. Herein trat ein Mann mit dunkelbraunem Haar, gehüllt in, für Cayoun, exotische Kleidung und einem Schwert an seiner Seite. Hinter ihm trat ein Junge von etwa sechzehn Jahren, der dem Mann so ähnlich sah, dass Cayoun folgerte, die beiden müssen verwandt sein, in die Stube. Seine Augen wanderten durch den Raum und fanden dann Cayouns. Das plötzliche Schweigen ließ den Moment endlos wirken, dann trat der Mann vor und Shakar erhob sich. "Ich bin Shakar, Prinz von Illian. Mit wem zu reden habe ich die Ehre?" Der Mann maß Shakar mit einem Blick von oben bis unten, dann sagte er mit
eigentümlichen Akzent: "Mein Name ist Karatil. Ich bin Fürst der Mencun, rechtmäßiger Herrscher des Gebiets, in das ihr eingedrungen seid." Er deutete auf den Jungen. "Dies ist mein Sohn, Prinz Tamaril. Wir fordern zu wissen, warum ihr hier seid."
Tamaril wollte noch mehr sagen, doch seine zitternden Lippen brachten kein weiteres Wort hervor. Es war eine echte Erinnerung gewesen! Eine, die ihm selbst gehörte! Er konnte sich an diesen Moment auf einmal so deutlich erinnern, dass ihm sogar Details einfielen, die er in seiner Erzählung zuvor gar nicht erwähnt hatte: Wie seltsam dieser Gastraum gerochen hatte, nach Gewürzen, die ihm nicht vertraut waren und altem Holz. Wie der Staub der Straße am Saum seines Gewandes geklebt hatte und er verlegen daran herumgewischt hatte. Ja, er war wirklich dort gewesen. Er hatte mit seinem Vater den Prinzen von Illian aufgesucht. Damals
bevor... Er zog die Stirn kraus. Noch immer entglitten ihm die Ereignisse, wenn er sie in seinen Gedanken zu fassen suchte. Er schob die Sorgen beiseite und hielt sich an dieser wahren Erinnerung fest. Versuchte, sich den Vater noch einmal genau so in den Sinn zu rufen, wie er an diesem Abend gewesen war. Seinen strengen Blick und die hageren Züge, die ein einziges Lächeln doch so lebendig machen konnten. Tamaril lächelte wehmütig. Er wollte den Moment nicht vergehen lassen und wusste doch, dass es nicht möglich war, die Zeit anzuhalten. Oder doch? Wieder einmal fragte er sich, was dieser seltsame Ort noch für Kräfte hatte. Wieso er
von Geschehnissen erzählen konnte, die unmöglich seine eigenen Erinnerungen waren. Wie es möglich war, dass er auch jetzt noch einfach wusste, was in der Außenwelt vor sich ging, sobald er nur die Feder in die Hand nahm und schrieb. Unsicher öffnete er wieder den Mund, doch dann kam ihm ein anderer Gedanke. Die Falamar hatte nun zum ersten Mal seinen Namen gehört. Er stellte sich vor, wie er wieder zum Tor ging, wie sie ihn bei seinem Namen rief und der Wald ihn frei gab. Wie töricht! Warum sollte der Wald so reagieren? Er schüttelte stumm den Kopf. Nein, es war ihm selbst klar, dass dies nur eine sehnsüchtige Fantasie war. Aber auch wenn er nicht wagte, den Versuch zu machen und wirklich zum Tor zu gehen, der
Gedanke hatte in ihm den Wunsch geweckt, zumindest zu erfahren, wie sie nun reagierte. Zögernd trat er wieder an sein Pult und griff nach der Feder. **** Mitten in der Erzählung verstummte die Stimme. Ayala warf Jorcan einen ratlosen Blick zu. Die beiden warteten noch einen Moment schweigend, dann begann die Falamar zaghaft: „Was geschah dann mit dem Prinzen und d-“ „Glaubst du diese Geschichte etwa?“, fiel ihr Jorcan ins Wort. Er schnaubte und wandte sich ab, doch sie hatte die Nervosität in seinem Blick und seiner Haltung
bemerkt. Auf der einen Seite konnte sie ihn gut verstehen. Die ganze Situation grenzte ans Absurde. Hätte ihr jemand vor ein paar Monaten erzählt, dass sie einmal mit einem Shakariesoldaten in einer verwunschenen unterirdischen Stadt eine abenteuerliche Geschichte über zwei rivalisierende Prinzen hören würde, deren Namen verdächtig wie die ihrer beiden Völker klangen – sie hätte ihn schlicht für verrückt erklärt. Doch dann war da noch die andere Seite. Was, wenn diese Geschichte wahr wäre? Wenn es diese zwei Prinzen wirklich gegeben hätte? Wenn es einmal ein Königreich namens Illian gegeben hätte und keine zwei Völker, die sich bis aufs Letzte bekriegten? Dieser letzte Gedanke ließ sie
schlucken. Jorcan drehte sich zu ihr um und sie konnte ihn nur anstarren. Wie sollte das möglich sein? Wie sollte es Illian geben, wo doch dieser Mann so offensichtlich anders war? Der Boden unter ihren Füßen schien zu schwanken und ihr Magen machte einen unruhigen Hüpfer. Bevor sie sich versah, taumelte sie nach vorn und Jorcan schlang einen Arm um ihre Taille, um sie aufrecht zu halten. Sie schloss die Augen, lehnte den Kopf an seine Schulter und hoffte, dass die Schwindelgefühle gleich wieder nachließen. „Du bist zu lange auf den Beinen“, hörte sie seine Stimme an ihrem Ohr. „Ich bringe dich zurück und du ruhst dich etwas aus.“ Sie wollte protestieren, doch er schnitt ihr das
Wort ab. „Du bist kreidebleich. Wenn du hier zusammenbrichst, kannst du dir jemand anderen suchen, der dich durch die Stadt zurückschleppt. Wir werden jetzt sofort zu unserem Lager zurückkehren und du wirst gefälligst etwas schlafen.“ Ayala musste gegen ihren Willen lächeln. Für Jorcans Verhältnisse war das beinahe fürsorglich gewesen. Der Schwindel ließ langsam nach, doch sie musste zugeben, dass er Recht hatte. Sie fühlte sich entsetzlich müde und dachte kaum darüber nach, als er ihr seinen Arm anbot und sie sich halb an ihn gelehnt auf den Rückweg machten. Erst als sie sich schon auf ihrem Lager niedergelassen hatte, wurde ihr auf einmal etwas klar: Sie hatte keine Angst mehr vor Jorcan. Sie konnte nicht sagen, ob es während
der Zeit ihrer Pflege gewesen war, oder ob die Gedanken, die diese seltsame Geschichte in ihr ausgelöst hatten, die Ursache waren, doch etwas hatte sich verändert. Auch wenn sie noch weit entfernt davon war, in ihm einen Freund zu sehen, konnte sie ihn trotz seines Gesichts nicht mit den Geschichten über die Monster aus dem Norden in Einklang bringen, die man ihr als Kind erzählt hatte. Mit diesem Gedanken schlief sie ein, auf den Lippen ein versonnenes Lächeln. **** In Jorcan rangen Unruhe und eine neue Furcht vor diesem seltsamen Ort miteinander. Schließlich hielt er es nicht mehr neben der
schlafenden Falamar aus und huschte durch die Tür hinaus. Ziellos wanderte er umher und wurde sich mit jedem Schritt bewusster, dass er hier gefangen war. Und keine seiner Überlebensstrategien wollte ihn aus diesem Schlamassel heraus bringen. Er war ruhig geblieben, als er mit der Falamar durch die Höhlen gewandert war, aber hier kam er seit Wochen nicht voran. Zwar würden sie wohl vorerst nicht verhungern, aber hier für den Rest seines Lebens mit nur dem Mädchen als Gesellschaft festzusitzen, ließ ihn beinahe verzweifeln. Nein, nicht nur mit dem Mädchen, erinnerte er sich selbst. Da war auch noch diese Stimme gewesen und die ließ ihn erst recht erschauern. Er hatte nie an Geister geglaubt, sich nie vor Toten gefürchtet oder sich auch nur darüber Gedanken gemacht, ob es etwas jenseits des
Sichtbaren gab. Doch diese Stimme konnte er nicht einordnen und er hasste es, wenn ihm etwas so unvertraut war. Und dann war da die Geschichte, die er gehört hatte. Jorcan blieb stehen und lehnte sich an eine Hauswand. Er fragte sich, wie die Falamar so ruhig hatte bleiben können, denn so leichtgläubig und naiv sie auch war, war selbst ihr bestimmt nicht entgangen, was die beiden Prinzen für Namen hatten und was das bedeuten mochte. Seine Hand wanderte zu seiner Maske, schreckte aber zurück, bevor er sie berührt hatte. Nein, es war unmöglich, dass diese Geschichte der Wahrheit entsprach. Er straffte sich und wandte sich zur Rückkehr. Er würde sich nicht von einem absurden Märchen verunsichern lassen, entschied
er. Er tat sein Bestes, seine Entschlossenheit aufrecht zu erhalten, doch als er sich kurze Zeit später auf seinem eigenen Lager niederließ, war sein Schlaf unruhig und von verstörenden Träumen geplagt. **** Ayala erwachte von einem seltsamen Keuchen und stemmte sich mühsam in die Höhe. Das Licht der blauen Steine war gedämpft, dennoch konnte sie Jorcan ausmachen, der sich im Schlaf hin und her wälzte. Kurzerhand robbte sie zu ihm hinüber und griff nach seiner Schulter. Er erwachte nicht sofort, was das Ganze in ihren Augen noch
ungewöhnlicher machte, doch als er sich schließlich ruckartig aufsetzte, sah er beinahe panisch aus. Dann erkannte er sie und begann etwas ruhiger zu atmen. „Hattet Ihr einen schlimmen Traum?“, fragte sie besorgt. Er schob ihre Hand unwirsch zur Seite. „Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten! Glaubst du denn, du könntest auch nur ansatzweise verstehen, was ihn mir vorgeht, Falamar?“ Sie bemühte sich, seinen Ärger nicht persönlich zu nehmen. „Wenn die Geschichte stimmt, dann sind wir uns vielleicht ähnlicher, als wir gedacht haben. Womöglich kann ich Euch ja doch verstehen, wenn --“ Bevor sie den Satz beenden konnte, schoss
Jorcans Hand vor und packte sie am Kragen. Mit seiner anderen Hand griff er nach oben und zog sich die Maske vom Gesicht. Aus so kurzer Distanz konnte sie die Fratze noch weit besser sehen und Ayala musste ein Würgen unterdrücken. „Wir sind uns nicht ähnlich, Falamar!“, zischte er wütend. „Sieh mich doch an. Wir sehen anders aus als ihr, von Geburt an. Wir verhalten uns anders. Wir denken anders. Was immer diese Stimme erzählt hat, ist nichts als ein dummes Märchen über ein Königreich, das es nie gab.“ Sie schlug die Augen nieder und legte ihre Hand auf die seine, die sie immer noch festhielt. „Ich bin mir nicht sicher, was ich denken soll, aber wir haben auch noch nicht die ganze Geschichte gehört. Vielleicht ist nichts von diesen Dingen wirklich geschehen, aber
vielleicht kann uns die Geschichte trotzdem helfen. Sie hat jedenfalls etwas mit dieser Stadt zu tun und ich wüsste gern, was hier vor sich gegangen ist. Möglicherweise erhalten wir auch noch einen Hinweis darauf, wie wir hier herauskommen.“ Ihre ruhige Antwort schien auch ihn zum Nachdenken gebracht zu haben, denn nach einem Moment ließ er sie los und zog die Maske wieder nach oben. Seine Augen sahen noch eine Weile ins Leere, als kämpfe er mit sich. Schließlich nickte er kaum wahrnehmbar. „Es ist einen Versuch wert, nehme ich an“, sagte er leise. Sie versuchte nicht triumphierend auszusehen, doch innerlich freute sie sich unbändig über ihren Erfolg. Es war doch tatsächlich möglich gewesen, ihn mit Argumenten zu etwas zu
überzeugen. Trotz ihrer Ungeduld nahmen sie sich die Zeit, etwas zu frühstücken – Jorcan mit dem Rücken zu ihr – bevor sie sich auf den Weg in den silbernen Wald machten. Der Shakarie schien es so gar nicht eilig zu haben, doch solange er bereit war, ihr die Türen zu öffnen, nahm sie auch das hin. Dort angekommen war sie es, die sich dort, wo die Bäume eine Barriere bildeten, im Schneidersitz zu Boden ließ und hoffnungsvoll die Stimme bat: „Bitte erzählt mehr von Illian und den Mencun.“ **** Tamaril war ein wenig enttäuscht, dass sie
seinen Namen nicht einmal ausgesprochen hatte, und dass der verfluchte Shakarie auch wieder zur Stelle war. Nun gut, ohne ihn wäre Ayala wohl nicht bis hierher gekommen, auch wenn es ihn rasend machte, dass sich die Tore vor dem Elenden öffneten.
Aber immerhin hatte das Mädchen ihn um die Geschichte gebeten und nicht das Monstrum.
Er schloss die Augen und erlaubte seinen Lippen fortzufahren.
Shakar betrachtete Karatil eingehend. Die dunkelrote Robe, die der Mencun trug, wirkte fremd auf ihn, doch war sie ausgezeichnet gearbeitet und dezent verziert. Dunkle Bänder hielten die Stoffbahnen über den Schultern zusammen und das braune Haar fiel ihm unter einer Kappe her etwas ins Gesicht.
Sein junger Begleiter war ähnlich prächtig gekleidet, doch war sein Kopf unbedeckt. Zwischen den Haarbüscheln fielen Shakar die ungewöhnlichen Ohren auf, die nicht sanft spitz zuliefen wie seine eigenen, sondern sich rundeten als fehle ein Stück. ,Seltsam', dachte er. ,Das erscheint mir fremder als ihre Kleidung und Aufmachung.'
Iareg war weniger zurückhaltend und funkelte den Mencun düster an. „Wie könnt Ihr es
wagen, hier so einzudringen! Was habt Ihr mit den Wachen gemacht?“
Karatil verzog die Mundwinkel zu einem höhnischen Lächeln. „Glaubt Ihr, ich sei allein hier? Meine eigene Eskorte hat für freien Weg gesorgt und eure Männer waren klug genug, mich nicht aufzuhalten. Ihr solltet sie herein rufen und für ihre Tapferkeit loben.“
Iareg sprang wutentbrannt auf, doch Shakar trat ihm in den Weg und schob ihn sanft auf seinen Platz zurück. Dann wandte er sich Karatil zu und verbeugte sich tief. „Ich bin sehr froh, Euch nun zu treffen, Fürst Karatil. Ich bitte um Vergebung, dass ich nicht früher versuchte, mit Euch in Kontakt zu treten, aber vielleicht grollt Ihr mir nicht mehr, wenn ich Euch sage, dass ich selbst erst vor wenigen Stunden hier in Landis eingetroffen bin.“
Der Fürst nickte und trat näher. Shakar wich nicht zurück. „Nun dann, Prinz von Illian, warum seid Ihr hier?“
Shakar lächelte höflich. „Ich überbringe Euch die besten Wünsche meines Vaters, des König Arnthio. Er sandte mich Euch zu versichern, dass er, als er seine Zustimmung gab, das Bergland zu besiedeln, nicht im Geringsten beabsichtigte in das Territorium der Mencun vorzustoßen. Mit Bedauern hörte er von den Problemen, die er euch unbeabsichtigt bereitete und bittet Euch hiermit, dies nicht die guten Beziehungen beeinträchtigen zu lassen, die jeher zwischen unseren Völkern bestanden haben.“
Karatil schnaubte. „Die guten Beziehungen? Es gab nie Beziehungen irgendwelcher Art zwischen uns und ich wünsche, dass es dabei
bleibt.“
Hinter ihm zuckte sein Sohn Tamaril etwas zusammen, blieb jedoch stumm. Shakar bemerkte die Bewegung und lächelte dem Jungen aufmunternd zu. Tamaril lächelte scheu zurück. Karatil, dem der Austausch nicht entgangen war, warf seinem Sohn einen düsteren Blick zu.
Shakar lächelte ruhig weiter. „Vielleicht entstammt eure Ablehnung dem Ruf, den mein Volk sich leider bei euch gemacht hat. Ich bitte euch aber die Zeit aufzubringen, uns etwas kennen zu lernen. Ich bin sicher, dass sich dies zum Vorteil unserer beiden Völker auswirken würde.“
Der Fürst der Mencun verbeugte sich würdevoll. „Auch wenn ich in Euren Worten nichts anderes sehe, als das, wovor mich meine
Väter warnten, will ich doch nicht, dass Ihr glaubt ich wäre Sklave meines Urteils über Euch.“
Shakar atmete kaum merklich auf und wartete, dass der Fürst fortfuhr. „Ich möchte mich für diesen Abend revanchieren und lade Euch für morgen Abend mit Eurer Eskorte zur Pforte des Osget ein. Dort wollen wir die Art der Beziehungen unserer Völker ohne störende Einmischung besprechen.“ Er warf Iareg einen unfreundlichen Blick zu.
Shakar drehte sich zum Anführer der Siedler um und bedauerte fast, das getan zu haben, als er den Hass in Iaregs Augen sah. Er verbeugte sich hastig vor Karatil. „Eure Einladung ehrt mich. Mit großer Freude sehe ich einer Einigung unserer Völker entgegen.“
Karatil nickte knapp und gab Tamaril ein
Zeichen, der geschmeidig zur Tür trat und sie für seinen Vater und Fürsten öffnete. Einen Augenblick später waren die beiden Mencun fort und nach einem kurzen, aber lauten Wortwechsel außerhalb der Gasthalle, stürmte einer von Iaregs Männern, dicht gefolgt von Shian, dem Hauptmann der Eskorte Shakars, herein.
Bevor Iareg, dessen Gesicht vor Zorn dunkelrot angelaufen war, sich auf seine Wache stürzen konnte, trat Shakar auf Shian zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ich danke Euch für Euer überlegtes Verhalten“, sagte er laut. „Es war klug, keinen Konflikt zu provozieren und die Lage für beide Seiten noch angespannter zu machen. Immerhin war es auch ein Grund meiner Reise Karatil zu treffen, und da er mir die Mühe abgenommen hat, den ersten Kontakt herzustellen, wäre es töricht gewesen, sein Kommen zu verhindern.“ Shian lächelte wissend
und salutierte zackig.
Iaregs Soldat betrachtete seinen Herrn unsicher, bis ihn dieser mit einem knurrigen Murmeln und einer Handbewegung wieder nach draußen schickte.
„Ihr habt weise gehandelt, Hoheit“, sagte eine melodische Stimme an Shakars Seite.
Der Prinz wandte sich um und fand sich im Bann der durchdringendsten grünen Augen, die er je gesehen hatte. Binnen eines Herzschlags war Iareg an der Seite des schönen Geschöpfs und legte mit sichtlichem Stolz einen Arm um ihre Schultern. „Dies, mein Prinz, ist meine Tochter, Jilla. Das schönste was Illian zu bieten hat.“
Jilla errötete und lächelte verlegen. „Ein jeder Vater würde wohl so reden“, sagte sie und
knickste elegant. „Hoheit, bitte akzeptiert unsere Entschuldigung für den etwas misslungenen Auftakt Eures Besuchs. Hätten wir nur die Reaktion der Mencun vorhergesehen, hätten wir auch sie hierher eingeladen, so dass Eure Gespräche nicht mit diesem Missklang hätten beginnen müssen.“
Shakar lächelte zurück. „Es ist schwer die Gedanken eines Volkes vorherzusehen, mit dem man noch nie zu tun hatte. Gegenseitige Missverständnisse sind niemandes Schuld, Mylady, ganz besonders nicht die Eure.“
„Eure Großzügigkeit wird nur von Eurer Weisheit übertroffen. Bitte erlaubt mir jedoch, Euch als Wiedergutmachung morgen mit Allem hier vertraut zu machen, sowohl mit den Leuten als auch mit den Geschehnissen bisher. Ich bin sicher, dass Euch das bei Eurem Besuch der Mencun nur von Vorteil sein
kann.“ „Ein wahrlich großzügiges Angebot Eurerseits, Mylady Jilla. Ich freue mich bereits darauf.“
Sie lächelte wieder, knickste und setzte sich auf eine einladende Geste hin an einen Platz gegenüber dem des Prinzen. Shakar winkte Cayoun zu sich, der neben ihm Platz nahm und setzte sich dann selbst. Iareg ließ sich neben seiner Tochter nieder und war sehr bemüht das Gespräch nicht auf die Vorkommnisse des Abends zu lenken, was Shakar zu dem Schluss führte, dass er wohl klug genug war, zu bemerken, dass er keinen allzu guten Eindruck hinterlassen hatte. Schließlich überließ er Jilla ganz das Reden und konzentrierte sich nur noch auf die sonstigen Genüsse des hastig zusammengestellten Banketts. Als sich der Prinz tief in der Nacht verabschiedete, blieb er noch etwas mit seiner Tochter sitzen und unterhielt sich leise mit
ihr.
Cayoun war stumm als er mit Shakar das Zimmer betrat, das man für sie bereit gemacht hatte. Er hatte den ganzen Abend nicht viel geredet, doch seine Augen hatten den Prinzen nie verlassen. Shakar sah müde aus. In dem Licht der Kerzen wirkte er sehr bleich, doch seine Augen brannten.
„So beginnt es also.“ Shakars Stimme war etwas rau, doch fest.
Cayoun legte eine Hand auf Shakars Schulter und lächelte aufmunternd. „Euer Vater war sehr klug, dies Euch zu überlassen.“
Shakar ließ sich seufzend auf einem Stuhl nieder und starrte ins Leere. „Ich werde dich bei dieser Sache mehr als alles andere brauchen, Cayoun. Wenn wir morgen zu diesem Osget aufbrechen, wirst du dabei sein, doch nicht in meiner unmittelbaren Nähe. Versuche Kontakt mit einem Mencun herzustellen, der weniger verstockt ist als dieser Karatil, mit dem ich das zweifelhafte Vergnügen haben werde. Du konntest schon immer gut mit anderen umgehen. Es tut mir Leid, dich bitten zu müssen, dieses Talent so gezielt einzusetzen, doch ich fürchte, ohne einen Mencun auf unserer Seite, werden wir es schwer haben, diesen Konflikt zu lösen.“
Cayoun zuckte die Schultern und lehnte sich an die Wand, ein entspanntes Lächeln auf seinen Zügen. „Es besteht kein Grund mich um Vergebung zu bitten. Zwar habe ich bis jetzt nur
die Bekanntschaft von zwei Mencun gemacht, doch der jüngere, Tamaril scheint mir bereits jetzt von einem sehr anderen Kaliber als sein Vater. Ich denke, mit ihm in Kontakt zu kommen, könnte vielleicht sogar ein echtes Vergnügen sein.“
Er sah wie Shakar ihm einen kurzen Blick zuwarf und antwortete mit einer kleinen Verbeugung. „Wenn Ihr mir diese Feststellung erlaubt, denke ich, wir sollten beide zu etwas Schlaf kommen, damit wir morgen in der Lage sein werden, neue Freundschaften zu knüpfen.“
Shakar nickte langsam. „Hoffen wir, dass es wirklich ein Tag neuer Freundschaften wird.“
Am nächsten Tag schien die Sonne noch etwas strahlender und das gesamte Bergdorf schien geradezu zu erblühen. Kleine Vögel hüpften zwischen den Häusern umher und Kindergesichter leuchteten mit den Blumen um die Wette. Von den Gipfeln der nahen Berge leuchteten weiß die Überreste des Schnees des letzten Winters und die Dorfbewohner schienen durch den Besuch ihres Prinzen in allerbeste Laune versetzt zu sein.
Cayoun hätte sie am liebsten alle verwünscht.
Er bemühte sich sehr, nicht allzu finster drein zu sehen als er Shakar und Jilla nachblickte, die schon viel zu lange durch die Straßen spazierten, sich angeregt unterhielten und von Zeit zu Zeit in fröhliches Gelächter verfielen.
Er war bereits vor Sonnenaufgang aufgestanden, hatte versucht den Tag so zu
planen, dass er auf alle Eventualitäten vorbereitet war. Was Shakar betraf, hätte er sich diese Mühe gar nicht machen müssen. Eine gewisse rothaarige Dame hatte das Kommando über den Prinzen übernommen, kaum dass dieser sich blicken ließ. Ehe Cayoun es sich versah, hatte sich Shakar entschuldigt und ihn in dem strahlendsten aller Morgende stehen gelassen.
Unter anderen Umständen hätte ihm das sogar gefallen. Ehrgeiz war ihm selbst nur zu vertraut und er schätzte ein helles Köpfchen. Auch wenn er nie den gleichen Fehler wie Shakar machen und Jillas zuvorkommende Hilfe für Freundlichkeit halten würde, hatte sie ihn doch noch mehr beeindruckt als schon bei ihrem Auftritt am vorigen Abend. Doch dass sie ihn heute Morgen überrumpelt hatte, ärgerte ihn zutiefst – wenn er auch zugeben musste, dass der Fehler dafür eher bei ihm selbst
lag. Das und natürlich, dass sie nicht an seiner Seite ihre entzückenden, kleinen Pläne spann.
Er schaffte es letztlich doch noch schief zu lächeln, als er dem Prinzen und seiner Dame nachsah. Sie würden ja noch sehen, wer dieses Spiel besser spielte.
Die Sonne hatte den höchsten Punkt bereits überschritten, als er Shakar wiedersah. Der Prinz lächelte beinahe verlegen als er das Zimmer der beiden betrat, um sich für den Abend bereitzumachen. Cayoun zwinkerte ihm zu und erwiderte das Lächeln, bemüht ihm nicht mehr zu zeigen als nötig. Shakar seufzte, doch behielten seine Augen ihr fröhliches Funkeln. Er schien etwas sagen zu wollen, doch dann nickte er Cayoun lediglich zu und ließ sich von seinem Diener in eine angemessene Aufmachung
helfen.
Tamarils Herz klopfte vor Aufregung. Endlich!
Endlich würden sie Kontakt zu dem Volk Illians bekommen. Nicht mehr nur die Siedler, nein richtige Abgesandte, selbst der Prinz des Reichs würde kommen.
Dass sein Vater die Gäste nicht in die Stadt hineinlassen würde und statt dessen vor dem Osget einen Platz herrichten ließ, war ein kleiner Wermutstropfen, doch letztlich konnte auch das Tamarils Enthusiasmus nicht bremsen.
So lange schon war es ihm zuwider, wie die Mencun sich abschotteten. Einst waren sie ein
großes Volk gewesen, hatten über weite Teile des Landes geherrscht, das nun Illian hieß, doch Kriege hatten ihre Zahl schrumpfen lassen bis dieser Stadtstaat die letzte Enklave ihrer Art bildete. So jedenfalls erzählten es die Aufzeichnungen, über die das Einhorn wachte.
Nicht einmal Itaral, die Hüterin des alten Wissens, konnte genau sagen, wie das Einhorn entstanden war und warum es geschaffen wurde. Die Aufzeichnungen sprachen von einem Knotenpunkt im Gefüge von Raum und Zeit, den zu kontrollieren mit dem Einhorn möglich war. Er vermutete, dass einst weit mehr möglich war, als nur sich das Lebensnotwendige herstellen zu lassen, doch er kannte auch die Warnungen, dass der Missbrauch dieser Macht den Fall der Mencun eingeleitet hatte.
Letztlich war es ihm auch nicht so wichtig. In
der Vergangenheit mochte sein Volk groß und mächtig gewesen sein, aber er strebte nicht danach, zu diesen Tagen zurückzukehren. Lediglich das Eingesperrtsein in der Stadt, stets wissend, dass seine Grenzen nicht weit von den steinernen Toren lagen und er niemals die Erlaubnis haben würde, die Welt dort draußen kennenzulernen, hatten ihm das Herz schwer gemacht. Umso enthusiastischer war er nun als er sich einkleidete, seinen Zeremoniendolch anlegte und auf den Platz vor dem Osget hinaustrat.
Die Sonne ließ den hellgrauen Stein beinahe silbern schimmern und er musste gegen die Helligkeit anblinzeln. Er reckte den Hals um vielleicht schon einen Blick von der Delegation Illians zu erhaschen, doch ein strafender Blick seines Vaters ließ ihn eine würdevollere Position einnehmen.
Er hatte noch nicht lange gewartet als Bewegung in die Wachmannschaften kam. Die verabredete Zeit war gekommen und auf dem Pfad zum Vorplatz des Osget tauchten die ersten Reiter auf. Geleitet von zwei Grenzern kamen der Prinz und seine Leibwache und Bediensteten den Hang herauf.
Prinz Shakar sah müde und grau vom Staub der Straßen aus, doch als er das Osget sah, wie es 15 Meter hoch in die Felswand eingelassen war, wischte ehrliches Staunen alle Erschöpfung fort.
Tamaril konnte ein amüsiertes Lächeln kaum unterdrücken. Wie gern hätte er den Prinz mit in die Stadt genommen und ihm gezeigt, wie viel mehr hinter diesen Steinwänden verborgen lag.
Nun, vielleicht würde es eines Tages doch noch dazu kommen. Er musste sein Möglichstes tun, um heute einen guten Eindruck zu hinterlassen und seinen Vater daran zu hindern, die Gespräche vorschnell zu beenden.
Er warf Karatil einen schnellen Blick zu und stellte erleichtert fest, dass dieser zumindest nicht mehr so grimmig erschien wie noch am vorigen Abend. Prinz Shakar verbeugte sich zur Begrüßung und seine Eskorte tat es ihm gleich, was Fürst Karatil wohlwollend erwiderte.
Bedienstete huschten hervor, nahmen die Pferde in Empfang und versorgten sie, während andere die Gäste zu dem Baldachin geleiteten, unter dem man Sitzgelegenheiten für die hohen Herrschaften bereitet hatte.
Auf eine einladende Geste Karatils hin nahm
Shakar Platz.
Cayoun hatte eine Weile auf eine Gelegenheit gewartet sich unter die Mencun zu mischen, doch diese hatten sich nicht wie erhofft in kleinere Grüppchen verteilt, sondern standen schweigend ihrem Fürsten zu Diensten. Auch Tamaril wartete stumm hinter seinem Vater auf den Ausgang der Gespräche. Also hatte sich auch Cayoun näher an Shakar positioniert um möglichst viel von dem, was gesprochen wurde, hören zu können.
Karatil schien verbissen entschlossen, Shakar dazu zu bringen, irgendwelche unlauteren Absichten der Siedler zuzugeben und ignorierte alle gegenteiligen Aussagen. Der Prinz tat sein
Bestes nicht sein höfliches Lächeln zu verlieren, doch schien es ihm von Minute zu Minute schwerer zu fallen seine Frustration zu verbergen.
Daher überraschte es Cayoun um so mehr, dass der Fürst trotz seines Misstrauens ein weiteres Kennenlernen der beiden Völker nicht mehr rundweg ablehnte, wie noch am Abend zuvor. Fürs Erste wurde entschieden, Landis, das Dorf der Siedler, dort zu belassen wo es sich befand, doch durften keine weiteren Häuser gebaut und keine weiteren Siedlungen gegründet werden.
Hinter seinem Vater konnte Cayoun Tamaril sehen, der atemlos auf jedes gesprochene Wort achtete und fühlte sich in seiner Ahnung bestätigt, dass dem jüngeren Mencun diese Verhandlung viel bedeutete.
Die Abendbrise brachte kühlere Luft mit sich
und Cayoun wandte sich um und blickte versonnen in den blutroten Sonnenuntergang. Hinter sich hörte er Shakar zustimmen eine Delegation von Mencun in Schloss Triannar zu empfangen, wo man eine endgültige Entscheidung darüber treffen wolle, ob die Siedler die Berge wieder verlassen mussten oder nicht, und empfand eine seltsame Wehmut bei dem Wissen, dass es niemals zu diesem Treffen kommen würde. Der letzte Streifen Sonne verschwand hinter dem Horizont und das Leuchten, das sie am Abendhimmel hinterließ, vermischte sich mit dem flackernden Licht der Fackeln.
Bewegung kam in die Mencun und Cayoun wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Karatil in die Hände klatschte und auf sein Geheiß Speisen für die Gesandtschaft herausgetragen wurden. Nun begannen auch die Würdenträger der Mencun sich entspannter auf
dem Plateau zu verteilen und Cayoun sah den Moment gekommen sich möglichst zwanglos dem Sohn des Fürsten zu nähern.
Er sah Tamaril vor sich hinlächelnd allein dastehen, wo er in Gedanken versunken auf das verblassende Leuchten im Westen starrte. In der Hand hatte er einen weißen, geschnitzt wirkenden Krug, an dem er sich festhielt.
„Ihr müsst zu den glücklichsten Völkern der Welt gehören, so einen Anblick direkt vor Eurer Haustür zu haben.“
Der Prinz der Mencun fuhr etwas zusammen, dann wandte er sich zu Cayoun und lächelte wieder verlegen. „Es gehört mehr zu Glück als ein schöner Ausblick“, erwiderte er vorsichtig. „Doch von Zeit zu Zeit ist es gut, auch solche Momente nicht zu vergessen.“
Cayoun neigte zustimmend den Kopf. Tamarils Lächeln wurde noch eine Spur unsicherer. „Ich nehme an, Ihr seid herzlichere Empfänge gewohnt als wir Euch geboten haben.“ Er hob eine Hand als Cayoun protestieren wollte. „Nein, ich weiß, dass unser Volk sich sehr schwer damit tut, Außenseitern mit Vertrauen zu begegnen. Ich habe letzte Nacht viel Zeit damit verbracht, meinen Vater um Offenheit zu bitten. Und dennoch scheint es mir als würde jeder Fortschritt nur zögerlich gemacht, als würden wir zu sehr in Furcht vor unserer Vergangenheit leben, als dass wir uns der Zukunft stellen könnten.“ Er legte den Kopf schief und strich sich eine Haarsträhne hinter das runde Ohr. „Verzeiht, ich mache meinen Gefühlen stets zu sehr Luft, dabei sollte ich es besser wissen. Ich kenne nicht einmal Euren Namen, doch als ich Euch gestern in der Siedlung sah, schien mir, als würdet Ihr
all das verstehen können, vielleicht sogar besser als ich selbst.“
„Hoheit, Ihr ehrt mich mit Eurer Offenheit. Lasst mich Euch versichern, dass nichts von dem, was Ihr sagtet, meine hohe Meinung von Euch zunichte machen konnte. Im Gegenteil, ich freue mich zutiefst, über Euer Interesse an Veränderungen zu hören.“ Mit ausladender Geste verbeugte sich der Diener des Prinzen tief. „Mein Name ist Cayoun. Ich stehe seit vielen Jahren dem Prinzen Shakar in allem, was er tut, zur Seite.“ Er lächelte und zwinkerte fröhlich. „Nun kennt Ihr meinen Namen, also soll dies nicht länger zwischen uns stehen.“
„Cayoun“, wiederholte Tamaril „ich freue mich sehr, Euch kennen zu lernen. Ich hoffe, zu der Delegation zu gehören, die mein Vater nach Triannar schicken wird, nun da ich bereits die Bekanntschaft eines seiner Bewohner gemacht
habe.“
„Ich würde mich geehrt fühlen, Euch dort wieder zu begegnen. Ich hoffe, dass auch in der Zwischenzeit ein reger Austausch zwischen unseren Völkern stattfinden wird. Immerhin habt ihr nun eine Siedlung Illians direkt vor Eurer Haustür, die zum Kontakt einlädt.“
Ein Zögern huschte über Tamarils Züge. „Ich bin nicht sicher, ob diese Siedler zu den Repräsentanten gehören, die sich die Bürger Illians wünschen.“
Cayoun hob eine Augenbraue. „Es tut mir Leid, das zu hören. Ich wünschte, ich könnte Euch versichern, dass alle Zusammenstöße mit diesen Leuten sich nie wiederholen werden, doch fürchte ich, dass Misstrauen mit all seinen Auswirkungen in allen Völkern zu finden ist.“
„Das weiß ich nur zu gut.“ Tamaril blickte traurig über die Berghänge. „Mein ganzes Leben lang hat man mich Misstrauen gegenüber anderen gelehrt. Aber so kommen wir nicht voran. Wir können uns doch nicht der ganzen Welt über verschließen.“
Cayoun musste sich sehr anstrengen, sich seine Freude nicht anmerken zu lassen. Der Junge bettelte ihn geradezu an, sich aushorchen zu lassen. Mit einem offenen Lächeln wagte er, die Hand auf Tamarils Arm zu legen, und dirigierte ihn etwas weiter von den anderen weg. „Euer Volk wird eines Tages einen wirklich weisen Herrscher haben, der es in eine große Zukunft führt. Einen Fürsten der Bündnisse. Einen Fürsten des Wissens. Und ich freue mich sehr, an diesem denkwürdigen Tag der erste zu sein, der die Mencun etwas besser kennenlernt. Bitte lasst mich wissen, was Euch
bewegt. Bitte lasst mich helfen, dieses erste Bündnis auf den Weg zu bringen.“
Der Mencun Prinz sah ihn mit großen Augen an, dann wuchs sein Lächeln in die Breite. „Ich kann Euch kaum sagen, wie viel es mir bedeutet, das zu hören. Seit Jahren träume ich von diesem Tag und nun übertrifft die Chance, die unsere Völker erwartet, alles, was ich mir vorgestellt habe.“ Auf seinen Wangen tauchten aufgeregte rote Flecken auf. „Wir werden so viel von einander lernen können! Ich kann es kaum erwarten, das Schloss von Triannar zu sehen und mit den Gelehrten Eures Volkes zusammen zu kommen. Und was sie dann in den Aufzeichnungen des Einhorns finden werden, wenn mein Vater endlich Gesandte in unsere Stadt lässt. So viel Wissen ist in den Jahrhunderten verloren gegangen, doch ich wette, wenn sich die klügsten Köpfe daran setzen würden, könnten wir alle daraus Nutzen
ziehen.“
„Das Einhorn?“ Cayoun lächelte entspannt, als wäre dies nicht die Enthüllung, auf die er gewartet hatte. „Ein Fabelwesen? Das müsst ihr mir näher erklären.“
Es würde nicht mehr lange bis zum Sonnenaufgang dauern, doch Cayoun fühlte noch immer keine Müdigkeit.
Was für ein Abend!
Er hatte noch lange mit dem Prinzen der Mencun geredet und Tamaril hatte ihm sein Herz ausgeschüttet.
Zwei Geschenke hatte er dabei erhalten. Zum einen einen kunstvoll gearbeiteten Dolch, den ihm der Prinz überreicht hatte, als er ausreichend enthusiastisch seine Bewunderung dafür kundtat. Er hatte sein möglichstes getan, dass niemand den Vorgang bemerkte, der ihm in einem ungeeigneten Moment in die Quere kommen könnte.
Das andere war das Mittel um Shakar auf den Weg zu bringen, den er gehen musste. Den Weg in den Krieg.
Er konnte es immer noch kaum fassen, was ihm Tamaril enthüllt hatte, doch glaubte er auch nicht daran, dass der Prinz ihn täuschen wollte. Was für einen Vorteil sollte es ihm bringen eine so seltsame Geschichte zu erzählen, dass die Vorfahren der Mencun ein Einhorn geschaffen hatten, dass auf wundersame Weise all ihre
materiellen Bedürfnisse stillen konnte.
Nun, auch wenn der Prinz übertrieben oder gar gelogen hatte, würde das den Sieg über die Mencun wohl eher leichter machen. Aber wie es auch immer sein mochte, musste Falam natürlich von dieser schrecklichen neuen Bedrohung erfahren.
Cayoun strich noch einmal den Brief glatt, den Arris bald erhalten würde. Ein Teil der Botschaft war für Saskuens Ohren und damit auch für die des Kronprinzen bestimmt, doch hatte er auch detaillierte Anweisungen für seinen treuen Schatten, die das Königreich ebenso erschüttern würden. Seine Augen brannten, doch er hatte nicht länger mit dem nächsten Schritt seines Plans warten können, als sie mitten in der Nacht, begleitet von einer Eskorte der Mencun, wieder in Landis, dem Dorf der Siedler, eintrafen. Und nun hielt er den
Schlüssel zur Zukunft Illians in den Händen.
Er faltete den Brief sorgfältig und versiegelte ihn. Am nächsten Morgen würde er sich sofort zu den Postreitern aufmachen und dafür sorgen, dass alle Spielfiguren auf den Plan gerufen würden.
Shakar richtete sich auf seinem Pferd auf und blickte zurück auf die versammelten Siedler. Jilla stand vor den anderen am Rand von Landis, ihren Vater neben sich, und hob die Hand zum Abschiedsgruß.
Er erwiderte die Geste und zwang sich zu einem Lächeln. Er würde sie bestimmt wiedersehen. Sie hatte versprochen einen Weg
zu finden nach Triannar zu kommen, entweder mit der Delegation der Mencun, die in zwei Wochen aufbrechen sollte, oder auf anderem Wege und bei ihrer Findigkeit hatte er keinen Zweifel, dass ihr das gelingen würde. Er seinerseits hatte versprochen ihr in Erwiderung ihrer Freundlichkeit in der Siedlung das gesamte Schloss zu zeigen.
Die Vorfreude ließ den Abschied beinahe erträglich werden.
Nachdem sie vor drei Tagen von ihrem Besuch bei den Mencun zurückgekommen waren, hatte Shakar sich auf einen baldigen Aufbruch vorbereitet, da er vorhatte, sich so bald wie möglich mit seinem Vater zu beraten und ihrerseits den Empfang der Mencun vorzubereiten. Er hatte bereits gegrübelt wie er Falam am besten in die Gespräche einbinden konnte, ohne dass ein Schaden entstand.
Doch bis genügend Proviant zur Verfügung stand, war noch etwas Zeit vergangen, für die er insgeheim sehr dankbar war.
Es waren die schönsten Tage seines Lebens gewesen. Er hatte fast ein schlechtes Gewissen, in einer solchen Zeit so guter Dinge zu sein, statt sich wie gewohnt um den Ausgang Sorgen zu machen. Aber doch nur fast.
Jilla hatte es völlig verstanden, die Sorgen aus seinen Gedanken zu vertreiben. Sie war so eine angenehme Gesellschaft gewesen und gleichzeitig hatte sie ihn auch aufgebaut. Ihn mit guten Ratschlägen auf den Kontakt mit den Mencun vorbereitet. Ihm Selbstvertrauen gegeben, ohne dass er sich belogen und lediglich geschmeichelt fühlte.
Auch wenn er versuchte es sich selbst nicht
einzugestehen, wusste er doch, dass er verliebt war.
Er hatte sich nie vorgestellt, wie seine zukünftige Frau einmal sein sollte, hatte sich damit abgefunden, dass eine derartige Verbindung wohl von seinen Eltern zum Wohl Illians arrangiert werden würde. Doch nun hatte er jemanden gefunden, der perfekt war.
Er seufzte und lächelte vor sich hin. Er würde zu passender Zeit schon einen Weg finden.
Seine Eskorte drängte sich um ihn, doch seine Gedanken hingen weiter schöneren Dingen nach, als sich um seine Umgebung zu kümmern. Und so bemerkte er auch nicht, dass sich Cayoun nicht unter den anderen Reitern befand.
Iareg legte den Arm um seine Tochter, die immer noch dem Prinzen und seinen Begleitern hinterher sah. Er war zutiefst stolz auf sie. Sie ließ sich durch nichts aus der Bahn werfen, nicht einmal durch den Tod ihrer Mutter vor sechs Jahren. Sie wusste genau was sie wollte und war ehrgeizig genug all das zu bekommen. Und deshalb war es auch genau das, was sie verdiente.
Er selbst hatte sich seinen Weg gegen alle Hindernisse gebahnt, war bereit gewesen seine Heimatstadt hinter sich zu lassen um sich unter den Siedlern nach oben zu arbeiten. Jilla würde es noch höher schaffen. Der Prinz mochte ein cleverer Bursche sein, doch Iareg war nicht entgangen, wie er seine Tochter angesehen
hatte. Schade, dass er nicht der Kronprinz war, doch vielleicht würde sich auch da etwas machen lassen. Sie hatte Shakar schon fast da wo sie ihn haben wollte und er würde seinen Teil dazu beitragen, dass sie so bald wie möglich nach Triannar aufbrach, damit sie ihn vollends für sich gewinnen konnte.
Besser sie ging noch bevor die Mencun eine Gesandtschaft schicken konnten. Er traute dem Höhlenvolk nicht. Fast wäre ihm lieber gewesen, der Prinz hätte sich nicht bei ihnen eingeschmeichelt. Dann hätte der Konflikt endlich ausgetragen werden können und sie wären frei gewesen, diesem arroganten Haufen das zu geben, was sie verdienten.
Um sie herum waren die übrigen Siedler bereits aufgebrochen und ins Dorf zurückgekehrt als nichts mehr vom Prinzen und seinem Gefolge zu sehen war. Nun machte sich auch Jilla auf
den Weg und er folgte ihr. Vor dem Haus, das sie beide bewohnten, verabschiedete sie sich und wanderte gedankenverloren die Straße entlang, während er hinein ging, darauf bedacht sich den Staub der Straße mit einem kühlen Bier aus der Kehle zu spülen.
Er summte fröhlich vor sich hin als er in die Stube wanderte und sich auf einen Stuhl fallen ließ.
„Marna!“ rief er nach dem Hausmädchen, die auch als Köchin und in einem halben Dutzend anderer Funktionen bei ihm angestellt war. Er summte weiter und trommelte etwas mit den Fingern auf den Tisch, doch als auch nach einigen Minuten und wiederholtem Rufen niemand auftauchte, machte er sich grummelnd selbst auf den Weg in die Speisekammer.
Der Raum war angenehm kühl und etwas
dunkler als der Rest des Hauses, so dass seine Augen einen Moment brauchten sich umzugewöhnen. Er fand Marna nach eben diesem Moment.
Im gleichen Augenblick, in dem er gewahr wurde, dass die Flüssigkeit in der sie lag, Blut war und ihre Haltung keine normale Position war, spürte er den Dolch, der ihm von hinten durch die Rippen drang und seine Lunge durchstieß. Er versuchte Luft zu holen, doch dann drang Blut in seine Lunge und sein Schrei wurde zu einem erstickten Gurgeln.
Er sank nach vorn und seine Gedanken waren nicht mehr in der Lage seinen Angreifer zu identifizieren, der neben ihm niederkniete und den Dolch mit kühler Präzision in seinen Hals trieb. Dann wurde alles dunkel und Kareg war bereits tot als Cayoun sich wieder erhob und den Mencun-Dolch zurückließ als er geduckt
aus der Kammer verschwand.
Falam war seinem Diener Saskuen nie sonderlich verbunden gewesen. Es war einer der ersten Gründe gewesen, seinem Vater stets mit Misstrauen zu begegnen, als dieser vor zehn Jahren Saskuen als seinen persönlichen Diener und Begleiter auswählte. Während Shakar jemanden bekam, der nur wenige Jahre älter und weit abenteuerlustiger war, folgte Falam nun ein Mann, der nicht müde wurde ihn an seine Verantwortung zu erinnern.
Sicher, sein Vater hatte behauptet, dass dies nur zu seinem Besten war, dass Saskuen ihn auf den Thron vorbereiten sollte, etwas das bei Shakar nicht nötig war. In Falams Ohren klang
es weniger danach, auf Shakars Position in der Thronfolge hinzuweisen sondern eher, dass sein Vater Shakar für so perfekt hielt, dass er schon jetzt bereit war den Thron zu besteigen.
Und so war seine Jugend geprägt gewesen von Saskuens Hüsteln und seinen ewigen Ermahnungen „nicht vorschnell zu handeln“, „seine Zeit nicht mit Frivolitäten zu vergeuden“ und „sein Temperament zu zügeln“. In der selben Zeit war Shakar mit seinem Diener Cayoun zu Streifzügen zu den Seen rund um Triannar aufgebrochen, hatte sich von ihm vorsingen lassen und hatte das Leben in vollen Zügen genossen. Natürlich ohne das Wohlwollen ihres Vaters zu verlieren.
Doch seit Saskuen ihm vor einigen Monaten die ersten Gerüchte über die verräterischen Pläne seines Bruders zugetragen hatte, war zum ersten Mal so etwas wie Wertschätzung in ihm
gewachsen. Nicht auszudenken, was aus ihm geworden wäre, wenn er nicht wenigstens gewarnt worden wäre. „Er hat sich also mit den Mencun verbündet“, wiederholte er fassungslos.
Saskuen nickte diensteifrig. „Meine Informantin hat Freunde in der Eskorte des Prinzen. Sie sagte mir, dass der Prinz lange mit den Höhlenleuten verhandelt hat und dass sie eine Geheimwaffe haben, mit der er Euch besiegen könnte. Er wird auf seiner Reise wahrscheinlich versuchen, noch mehr Leute um sich zu scharen.“
„Was weiß mein Vater davon?“
Das ließ den Eifer von einem Moment auf den anderen verfliegen. „Ich glaube nicht...“, stammelte Saskuen, „Seine Majestät würde ganz sicher nicht seinen jüngeren Sohn... Er hat
Euch stets als Thronfolger anerkannt. Bestimmt geht dieser Verrat Shakars auch gegen ihn.“
Falam unterdrückte ein verächtliches Schnauben. Nun gut, mochte Saskuen weiter vor dem König kriechen, er selbst würde natürlich die Augen offen halten müssen.
„Ruf die Generäle und Heerobersten zusammen! Alle, die sich in der Umgebung von Triannar befinden, und halte Schreiber bereit, um die zu benachrichtigen, die die Außengebiete schützen.“ Saskuen starrte ihn entgeistert an, doch als Falam einen wütenden Schritt auf ihn zu machte, setzte er sich hastig in Bewegung.
Falam machte sich nicht die Mühe ihm auch nur hinterher zu sehen. Er hatte wichtigeres zu tun. Wenn Shakar einen Krieg wollte, dann sollte er ihn auch
bekommen.
König Arnthio hetzte durch die Korridore Triannars. Er war mehr als ungehalten darüber, dass sein Sohn die Heerführer zusammengerufen hatte, ohne den König selbst einzuladen. Mehr als das, ohne ihn auch nur zu informieren. Wäre nicht der völlig verwirrte und aufgelöste Saskuen zu ihm gekommen und hätte ihn von seiner Jagdgesellschaft weggeholt, wäre dieses Treffen völlig hinter seinem Rücken abgelaufen.
Er erreichte die Doppeltüren des Ratszimmers und schritt an den erschrockenen Dienern vorbei, die ihm hastig die Tür öffneten.
„Ich hatte doch befohlen, niemanden hier hereinzulassen!“ begrüßte sein Sohn ihn, zugegebenermaßen bevor er sich umgedreht hatte. Arnthios Blick ließ ihn in sich zusammenfallen.
„Was geht hier vor?“ grollte der König langsam.
„Vater“, begann Falam zögernd. „Ich hatte gehofft bereits zu einer Entscheidung gekommen zu sein, bevor ich Euch mit dieser furchtbaren Sache belästige.“
Arnthio hob eine Augenbraue. „Wichtige Entscheidungen werden in diesem Land noch immer vom König getroffen, mein Sohn. Was nun ist so furchtbar, dass es einen solchen Aufruhr rechtfertigt, doch nicht meiner Aufmerksamkeit bedarf?“
Falam trat von einem Fuß auf den anderen. „Vater, ich habe von einer Verschwörung erfahren, die so schnell wie möglich gestoppt werden muss. Doch richtet sich dies in der Hauptsache gegen mich selbst, weshalb ich es für Richtig gehalten habe, auch selbst Schritte zu unternehmen.“
„Eine Verschwörung? Von wem? Und woher hast du dieses Wissen?“
Der Kronprinz lächelte triumphierend. „Nun, Vater, von der gleichen Person, die Euch von diesem Treffen unterrichtet hat“, sagte er mit einer ausladenden Geste zu Saskuen hin.
König Arnthio wandte sich zu dem nervösen alten Mann um. Dieser fingerte einen Moment an seinen Knöpfen herum, dann hüstelte er und verbeugte sich steif. „Euer Majestät, mir sind in
der Tat höchst bedenkliche Dinge zu Ohren gekommen“, sagte er und mit jedem Wort schmolz seine Nervosität dahin. „Wie es scheint, gibt sich Euer jüngerer Sohn nicht mit der Position zufrieden, die ihm seine Geburt zugedachte hat. Man hat mir zugetragen, dass er sich bei seinen Verhandlungen mit den Mencun Verbündete in einem Bürgerkrieg gesucht hat.“
Arnthio starrte ihn fassungslos an. „Was redest du da? Zugetragen von wem?“
Ein Hauch Unsicherheit huschte wieder über Saskuens Züge, doch mit einem Blick auf Falam fing er sich. „Ein Dienstmädchen, das sehr engen Kontakt mit Mitgliedern von Shakars Eskorte pflegt, hat mir von ihren Beobachtungen berichtet. Alles was sie mir in der Vergangenheit erzählt hat, habe ich nachprüfen lassen und als wahr erkannt.“
„Ein Dienstmädchen?,“ knurrte Arnthio. Er konnte sich kaum davon zurückhalten, Saskuen am Kragen zu packen und zu schütteln. Mit brodelndem Zorn zischte er: „Ihr wagt es? Ihr wagt es den Prinzen des Hochverrats anzuklagen auf das Wort eines Dienstmädchens hin?!“
Das ließ den alten Mann erschrocken zurückweichen. Falam aber machte eher noch einen Schritt auf seinen Vater zu. „Natürlich, Vater“, sagte er und lächelte humorlos. „Euer wertvollster Sohn ist selbstverständlich über jeden Zweifel erhaben. Wenn auch alle anderen zu Verrätern werden mögen, Shakar bleibt der strahlende Prinz, der große Anführer, den Ihr an meiner Statt auf dem Thron zu sehen stets vorgezogen habt.“ Er schnaubte. „Glaubt Ihr, ich wüsste es nicht? Glaubt Ihr, ich war blind gegenüber Eurer Zuneigung zu meinem
verräterischen Bruder?“ Sein Blick wurde kalt. „Ich frage mich nur welche Rolle Ihr bei diesem kleinen Trauerspiel hattet, Vater.“
Nun war es genug! Arnthio packte den Kronprinzen am Kragen und herrschte ihn an: „Ich verbitte mir diese Anschuldigungen! Wie kannst du es wagen, mir so zu begegnen! Du wirst deine Anmaßungen sofort einstellen und dich in deine Gemächer zurückziehen!“ Er ließ seinen Sohn los und ließ den Blick durch den Raum schweifen. „Diese Sitzung ist geschlossen! Es wird keinen Feldzug geben, der nicht vom König befohlen wird.“
Unter Verbeugungen huschten die Fürsten und Heerführer hinaus. Auch Saskuen hatte längst die Flucht ergriffen. Nur Falam warf seinem Vater noch einen hasserfüllten Blick zu, dann verschwand auch er.
Arnthio zog einen Stuhl heran und sank darin zusammen. Er verbarg das Gesicht in den Händen und blieb noch lange regungslos dort sitzen.
Als Falam am nächsten Morgen in den Spiegel seines Ankleidezimmers blickte, erschrak er fast über die eingefallenen Wangen und die Schatten unter seinen Augen. Zugegeben, es war eine unruhige Nacht gewesen, eine Nacht in der er, auch nachdem Saskuen geflohen war, noch tobend in seinen Gemächern auf und abgewandert war und seinen Vater und Bruder verflucht hatte. In der er in ohnmächtiger Wut gegen die Wände geschlagen hatte, voller hilfloser Angst, was ihm noch bleiben würde,
wenn Shakar sich des Throns bemächtigt hatte. Eine Nacht in der er immer wieder aus dem Schlaf gerissen wurde, als er in seinen Alpträumen seinen Untergang sah.
Ein Geräusch ließ ihn herumfahren.
Saskuen stand in der Tür, das graue Haar zerwühlt, die Hände fahrig über den Türrahmen tastend. Gegen seinen Willen musste Falam lächeln. „Du hattest wohl auch eine raue Nacht.“ Zumindest eine Person litt wirklich mit ihm.
Doch Saskuen erwiderte das Lächeln nicht. „Euer Majestät“, hauchte er. „Es...“ Er suchte nach Worten, bewegte die Lippen ohne einen weiteren Ton hervorzubringen.
Falam runzelte die Stirn. „Was ist es?“ fragte er ungeduldig.
„Euer Vater...“
Die Augen des Kronprinzen wurden schmal. „Was will er denn nun?“ zischte er wütend. „Hat er entschieden mich gleich zu entmachten?“
„Er ist tot.“
Falam blinzelte. „Was?“
„Man hat ihn heute morgen tot in seinen Gemächern aufgefunden.“
Falams Hand wanderte zu seinem Gesicht, glitt über seine Augen. Für einen Moment glaubte er zu träumen, aber dies war zu irreal für einen Traum. Schweigend ging er an Saskuen vorüber und sank im Nebenzimmer auf einen Stuhl.
Sein Diener folgte ihm durch die Tür, blieb dann aber stehen als wage er sich nicht näher.
Der Prinz starrte ins Leere und war überrascht als in seinen Augen unvergossene Tränen brannten.
„Euer Majestät.“
Müde hob er den Kopf.
„Da ist noch etwas.“ Saskuen schien sich beinahe noch mehr zu winden als zuvor. „Euer Vater... Er starb nicht eines natürlichen Todes. Man hat ihn ermordet.“
Binnen einer Sekunde war Falam auf den Beinen und stand vor seinem Diener. „Wer? Wer hat
das getan?“
„Er wurde vergiftet. Die Wachen haben das Dienstmädchen festgenommen, das ihm das Essen brachte. Sie...“ Er stockte. „Ihr Name ist Arris. Ich habe es den Wachen gesagt. Heute Morgen. Ich hätte seiner Majestät ihren Namen gleich gesagt, wenn er mich gefragt hätte. Ich wäre gleich heute zu ihm gegangen und hätte alles gesagt, was ich weiß!“
Falam packte Saskuen an den Schultern und stellte erst jetzt fest wie sehr der alte Mann zitterte. „Saskuen? Sag mir, dass das nicht wahr ist! Es war nicht deine Informantin! Sag es mir!“
Das verzerrte, bleiche Gesicht war Antwort genug. Mit einem wütenden Schrei stieß Falam ihn von sich und ballte die Fäuste.
„Was für eine Schlange hast du mir da angeschleppt, alter Mann? Du hast behauptet, du hättest überprüft, was sie dir erzählt hat! Bist du einfach nur unfähig gewesen?“ Saskuen war zu Boden gegangen und brachte keine Antwort hervor. Das machte Falam nur noch wütender. „Was denn? Sind dir die klugen Ansprachen ausgegangen?“
Der Diener des Prinzen machte noch immer keine Anstalten wieder aufzustehen und begann unbeholfen zu stammeln, doch Falam hörte ihn kaum. Er wusste nicht was er denken sollte. Waren denn all die Dinge, die ihm Saskuen über Shakars Verrat erzählt hatte, gelogen? Nein, das konnte einfach nicht sein. Er hatte sich die Rivalität zu seinem jüngeren Zwilling nicht nur eingebildet! Es wäre Wahnsinn jetzt all seine Verteidigungspläne aufzugeben. Nein, er musste weiter gegen Shakar vorgehen, wenn
er seinen Thron sichern wollte.
„Man hat uns getäuscht, Euer Majestät“, nahm er Saskuens Stimme wahr und in diesem Moment wurde ihm etwas bewusst. Es spielte keine Rolle. Was immer dieses Mädchen für Gründe gehabt hatte, zu Saskuen zu gehen, er selbst wusste was er wollte und nur das zählte jetzt. Er wollte seinen Thron nicht mit Shakar teilen, wollte nicht ständig in Furcht leben, seine Macht an einen beliebteren Kandidaten zu verlieren.
Also musste er jetzt handeln. Es würde keinen besseren Zeitpunkt geben als diesen.
Ohne Saskuen eines Blickes zu würdigen schritt er zur Tür und rief nach den Wachen. Als Hauptmann Irjen mit zweien seiner Männer hereinkam schluckte er alle restlichen Zweifel herunter und stand aufrecht.
„Hauptmann, wo befindet sich die Mörderin meines Vaters?“, fragte er mit fester Stimme.
„Sie ist in den Verliesen sicher angekettet. Meine Männer such noch nach Mitverschwörern...“
„Diese Mühe kann ich Euch abnehmen, Hauptmann“, unterbrach ihn Falam. „Wie sich herausgestellt hat, hat mein eigener Diener Freundschaft mit dieser Schlange geschlossen. Nehmt ihn mit wenn Ihr zu ihr ins Verlies hinabsteigt und mir ihren Kopf bringt.“
Irjen starrte ihn einen Moment mit offenem Mund an, dann winkte er seinen Männern den protestierenden und seine Unschuld beteuernden Saskuen hinauszubringen. Bevor er selbst folgte, wagte er allerdings noch eine zögernde Frage: „Soll die Schuld des Mädchens
nicht noch in einer Verhandlung bestätigt werden?“
Falam schnaubte verächtlich. „Besteht denn ein Zweifel an ihrer Schuld?“
„Nun, wir fanden sie als sie versuchte aus den Gemächern des Königs zu schleichen.“
„Das reicht völlig aus, würde ich sagen. Wozu die Angelegenheit weiter in die Länge ziehen?“
Irjen schien nach Worten zu suchen, doch dann verbeugte er sich lediglich und eilte pflichtbewusst davon.
Als nächstes schickte Falam nach dem Zeremonienmeister und nach seiner Mutter. Er musste schnell handeln, das wusste er. Er würde die Zustimmung der Königin brauchen, doch er war zuversichtlich, dass sie die Lage
schnell erkennen und in seinem Sinne handeln würde. Im Gegensatz zu seinem Vater hatte er an der Zuneigung seiner Mutter nie gezweifelt.
Königin Lalay vom Verrat ihres zweiten Sohnes zu überzeugen, sowie von der Notwendigkeit, das Land in dieser Stunde der Not nicht ohne Führung sein zu lassen, ging so rasch von statten, dass selbst der frühere Kronprinz verblüfft war, als noch am gleichen Abend eine hastig einberufene Krönungszeremonie abgehalten und die schwere Krone auf sein blondes Haupt gesetzt wurde.
Dann richtete sich Falam auf und setzte sich unter den gedämpften Beifallsrufen der anwesenden Würdenträger auf den Thron.
„Lasst die Militärbefehlshaber hereinkommen. Heute Nacht noch soll mit der Musterung
begonnen werden, denn Morgen ziehen wir in den Krieg!“
Dieses Mal war es Ayala, die aufsprang und die Erzählung unterbrach. Für einen Moment stand sie noch mit dem Rücken zu Jorcan in dem silbernen Gang, dann eilte sie mit gesenktem Kopf Richtung Ausgang. Jorcan sah ihr mit offenem Mund nach. Er war gerade so in die Geschichte versunken gewesen, dass er einen Augenblick brauchte um seine Schlüsse zu ziehen, was geschehen sein mochte.
Dann verzog er die missgestalteten Lippen zu einem Grinsen. Es war wegen Falam, das mochte er wetten. Das Mädchen hatte sich stets als Angehörige des besseren Volkes gesehen und nun war es ausgerechnet der Prinz dessen Name so verräterisch nach dem ihrer Leute klang, der ein hässliches Wesen zeigte. Kein Wunder das ihr das nicht schmeckte.
Leider war auch die Stimme verstummt, kaum dass die Falamar davongelaufen war, also erhob sich auch Jorcan resigniert und machte sich gemächlich auf den Weg ihr hinterher. Er hatte keine besondere Eile. Sie würde ohne seine Anwesenheit ohnehin nicht besonders weit kommen.
Wie erwartet hatte sich die Tür in den Versammlungsraum für sie nicht geöffnet, doch sie eilte weiter kaum dass er nahe genug herangekommen war, um den Mechanismus auszulösen. Als das Tor zur Stadt sie abermals aufhielt, blieb sie stehen und wartete dieses Mal bis Jorcan neben ihr stand. Sie hielt den Blick abgewandt, doch floh sie nicht wieder kaum das der Weg frei war, sondern erlaubte ihm stillschweigend zusammen mit ihr durch die verlassenen Straßen zu gehen.
Sie hatten beinahe das Haus am Stadtrand, in dem sie jetzt schon seit Wochen wohnten und das er in Gedanken nur noch "unser Haus" nannte, erreicht, als er sich entschied das Schweigen zu brechen. "Er gibt keinen besonders guten König ab, nicht wahr?"
Noch immer erwiderte sie seinen Blick nicht, doch er konnte sehen wie sich ihre Kiefermuskeln anspannten als beiße sie die Zähne zusammen. Endlich drehte sie sich zu ihm um und starrte ihn mit funkelnden Augen an. „Ich hatte erwartet, dass gerade Ihr jemand so kriegslüsternen als König schätzen würdet.“
Jorcan hatte mit Tränen gerechnet, mit zaghaftem Ausweichen, aber bestimmt nicht mit Wut. Er blinzelte verblüfft und dachte unwillkürlich an seinen Vater. Er wäre wohl ähnlich begierig darauf gewesen in den Krieg zu
ziehen um seine Macht zu erhalten.
„Ich schätze dumme Könige nicht besonders“, gab er schließlich zurück, aber in seinen eigenen Ohren klangen die Worte hohl. Sicher war sein Vater nicht so leicht zu manipulieren, doch letztlich war auch Falam nur in den Krieg gezogen, weil er es selbst wollte.
Die Falamar schnaubte. „Königin Malan ist auch nicht dumm. Egal ob diese Geschichte nun wahr ist oder nicht, was damals geschehen ist, heißt nicht, dass es heute ebenso ist.“
Inzwischen hatte Jorcan sich von seiner Überraschung erholt und fühlte nun ebenfalls wie Frust und Wut in ihm aufstiegen. Warum konnte sie nicht endlich von ihrem hohen Ross herunter kommen? „Dann denkst du dieser Falam ist ein Vorfahr eurer jetzigen Königin? Ich bin mir ja nicht so sicher ob sie nicht doch
etwas von seiner Dummheit geerbt hat. So schutzlos wie sie eure sogenannten Zufluchtsdörfer gelassen hat, hat sie auch nichts anderes verdient als ein paar Untertanen weniger“
Ihre Augen wurden noch etwas schmaler und für einen Moment dachte er, sie würde sich auf ihn stürzen. Doch dann wandte sie sich abrupt ab und sagte mit brüchiger Stimme: „Verzeiht, ich hatte für einen Weile vergessen, mit wem ich es zu tun habe.“ Dann eilte sie ohne auf eine Antwort zu warten zur Tür, schob sie mit der Schulter auf und verschwand im Haus.
Jorcan blieb auf der verlassenen Straße stehen und hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. Er hatte doch eigentlich gehofft, dass sie endlich zugeben würde, dass ihr Volk nicht so unfehlbar richtig in allem lag, wie sie geglaubt hatte. Statt dessen hatte er sie nur an
das erinnert, was seine Leute an Gräueln angerichtet hatten.
Er erstarrte. Gräuel? Hatte er das wirklich gerade so gedacht? Seit wann ging es ihm nahe, was mit den Falamar geschah? Seit er den Auftrag erhalten hatte, gegen Kinder zu kämpfen statt gegen Soldaten? Nein er war zwar alles andere als begeistert gewesen, doch er hatte nie auch nur mit dem Gedanken gespielt, nicht zu gehorchen. Zu was für einer Person machte ihn das? Und zu was für einen König würde es ihn machen, falls er jemals dazu kam die Thronfolge anzutreten?
Ayala fühlte sich entsetzlich müde. Wie Feuer in einem Haufen trockener Blätter war ihr Zorn
einmal aufgelodert und dann wieder erloschen. Statt dessen machte sich ein taubes Gefühl der Enttäuschung in ihr breit.
Sie hatte sich so sehr an Jorcans Anwesenheit gewöhnt, dass sie begonnen hatte die Welt da draußen aus ihren Gedanken zu verbannen. Wenn er ihr half ihre Verbände zu wechseln oder sie mit Essen versorgte, dann dachte sie nicht mehr an ihn als an einen Kindermörder. Dachte nicht an das Dorf und all die Toten. Nicht einmal an Jaras letzte Momente.
Wie sollte sie sonst ertragen, was geschehen war?
Aber dann zeigte er so kaltblütig wie gleichgültig ihm seine Opfer waren und all ihre Barrieren gegen die schrecklichen Erinnerungen brachen zusammen und erinnerten sie daran, dass er noch immer einer von denen war.
Sie sackte auf ihrer Lagerstatt zusammen und starrte ins Leere. So erschöpft sie auch war, sie bezweifelte, dass sie so bald Schlaf finden würde.
Hinter ihr öffnete sich beinahe lautlos die Tür, doch auch wenn sie das leise Wispern, das durch die Bewegung verursacht wurde, nicht gehört hätte, die heller werdenden Lichtsteine verrieten ihr deutlich genug, dass ihr der Shakarie gefolgt war. Sie behielt ihren Blick beharrlich gesenkt. Wollte er sie etwa weiter mit seinen Anspielungen auf diesen König Falam quälen? Sie wusste noch immer nicht recht, was sie von dieser Wendung in der Geschichte halten sollte, doch Jorcan war der letzte, mit dem sie über ihre Zweifel reden wollte. Warum konnte er nicht wenigstens so gnädig sein, sie einen Moment allein zu lassen?
„Es tut mir leid“, erkannte sie sie seine Stimme und im ersten Moment war sie sich sicher, sich verhört zu haben. Sie wagte nicht, Hoffnung zu schöpfen, denn daraus konnte nur weitere Enttäuschung erwachsen. Doch konnte sie sich nicht gegen ihr klopfendes Herz wehren als Jorcan sich eine Armeslänge von ihr entfernt hinkniete.
Seiner Stimme war ein Zögern anzumerken, dass das Unbehagen in ihr selbst widerspiegelte. „Ich weiß nicht, ob es einen Unterschied für dich macht, aber der Angriff auf euer Dorf...“ Wieder stockte er kurz. „Ich war nicht dabei. Nicht, dass ich nicht teilgenommen hätte, wenn ich gemusst hätte, aber... ich bin sozusagen mit einer Nachhut gekommen. Und als wir das Dorf erreichten, war der Angriff schon vorbei.“
Sie schluckte. Was er da sagte, änderte nichts
und fühlte sich doch an, als ändere es alles.
Er hatte Jara nicht getötet. Und auch die Kinder nicht.
Vielleicht war er trotzdem dazu bereit gewesen, aber diese Bereitschaft war nicht auf die Probe gestellt worden. Und so konnte sie sich an dem Gedanken festhalten, dass er im Ernstfall vielleicht nicht zugeschlagen hätte. Dass er eine mitfühlende Regung verspürt hätte, die ihn von dieser Entsetzlichkeit abhielt.
Sie war sich nicht bewusst gewesen, dass sie weinte, aber als sie zu ihm aufsah, bemerkte sie wie ihre Tränen in ihren Kragen rannen. Dabei war sie doch so entschlossen gewesen, keine Schwäche mehr zu zeigen.
„Ich danke Euch“, flüsterte sie.
Die grauen Augen des Shakarie schimmerten blau im Licht der Leuchtsteine. „Wofür?“, fragte er und seine Stimme klang ehrlich verwirrt.
Ayala strich sich verlegen die Haare hinter ein Ohr. Sie wusste nicht, wie sie ihm erklären sollte, was in ihr vorging und was ihr sein Geständnis bedeutete. „Wegen...“, begann sie zögernd, „äh, weil... Weil es wirklich einen Unterschied macht und...“ Sie holte tief Luft und dann brachen die Worte nur so aus ihr hervor. „Es tut mir leid, dass ich sofort das Schlimmste über Euch angenommen habe. Ich weiß einfach nicht mehr was ich über Euch und Euer Volk denken soll. Früher war es für mich selbstverständlich, dass Ihr alle Monster seid. Aber nachdem wir eine Zeit lang zusammen gereist sind und Ihr Euch hier um mich gekümmert habt, war ich mir sicher, dass das
falsch ist. Dann habt Ihr da draußen so kaltherzig geredet und ich dachte, ich hätte mich doch in Euch getäuscht. Aber jetzt ist es schon wieder anders.“
Ihre Augen wanderten wieder zu Boden als sie etwas leiser fortfuhr: „Und dann ist da noch die Sache mit meinem eigenen Volk. Ich war mir immer so sicher, dass dieser Krieg nicht unsere Schuld ist. Auch wenn Ihr mir von schrecklichen Dingen erzählt, die falamische Soldaten getan haben sollen, sind das doch nur Einzelfälle, dachte ich. Aber jetzt ist da diese Geschichte und...“ Sie rang einen Moment nach Worten. „Was wenn es in Wirklichkeit meine Leute sind, die den Krieg angefangen und so viel Leid über die Welt gebracht haben? Ich...“ Sie schluckte gegen ihre Tränen an, doch noch bevor sie ihre Stimme wiederfand, ließ ein anderes Geräusch sie verstummen.
Jorcan lachte.
Ayala spürte wie ihre Wangen heiß wurden. Was ihr noch vor einem Moment so wichtig und tiefsinnig vorgekommen war, klang nun da sie noch einmal darüber nachdachte, was sie gesagt hatte, in ihren eigenen Ohren wie das Geschwätz einer Närrin. Warum nur hatte sie sich dazu hinreißen lassen ihm ihr Herz auszuschütten?
Sie versuchte verzweifelt den Tumult in ihren Gedanken wieder unter Kontrolle zu bringen, als Jorcan mit amüsierter Stimme antwortete: „Das Verwirrende kann ich sehr gut nachvollziehen. Du sagst auch mit einer gewissen Regelmäßigkeit das Gegenteil von dem, was ich erwartet hatte.“
Sie blinzelte verblüfft. „Was hattet Ihr denn
erwartet?“
Er schnaubte. „Ich hatte auf dem Rückweg mit so einem Geständnis gerechnet, aber da hast du mit Wut reagiert. Ich hatte gedacht, du würdest dich vielleicht noch darin bestätigt fühlen, wenn ich dir sage, dass ich bei dem Angriff mitgekämpft hätte, wenn ich rechtzeitig dagewesen wäre.“
„Warum habt Ihr es dann überhaupt gesagt?“
Er schwieg so lange, dass sie schon fürchtete, er würde überhaupt nicht mehr antworten. Schließlich begann er langsam: „Ich hatte nie eine hohe Meinung von deinem Volk, aber... für den Moment stecken wir hier zusammen fest. Wenn wir nicht wenigstens versuchen miteinander auszukommen, werden wir es uns nur noch schwerer machen. Ich hielt es für keine gute Idee, dich in der Stimmung, in der du
warst allein zu lassen. Ich dachte, auf die eine oder andere Weise mussten wir die Sache bereinigen. Entweder indem wir uns ordentlich streiten oder... Naja, ich hatte offen gesagt, mit einem ordentlichen Streit gerechnet.“
Sie musste gegen ihren Willen lächeln. „Dann ist unser Verhältnis vielleicht nicht ganz so schlecht wie wir beide dachten.“
„Vielleicht.“ Er betrachtete sie aufmerksam. „Aber was wirst du nun tun? Wirst du dich von deinen Zweifeln davon abhalten lassen, die Geschichte bis zum Ende anzuhören?“
Ihr Blick wich zu dem leuchtenden Blau der Steine aus. „Wart nicht Ihr es, der mit der Geschichte ohnehin nichts mehr zu tun haben wollte?“
Er schnaubte wieder. „Ich will Antworten. Nach
allem, was wir gehört haben, halte ich es für wahrscheinlich, dass dieser seltsame Ort mit den Mencun zu tun hat. Ob ich nun darauf vertraue, dass die wissen, was vor langer Zeit in der Außenwelt geschehen ist, oder nicht, ich hoffe immer noch dass uns die Geschichte einen Weg nach draußen zeigt. Oder zumindest eine Hilfe mit den Mechanismen dieser Stadt zurecht zu kommen.“ Er lehnte sich vor und griff nach ihrer Hand. „Wenn wir nicht beide in dem weißen Wald sind, redet die Stimme nicht weiter.“
Die unausgesprochene Forderung ließ sie unsicher auf ihre Finger zwischen den seinen hinuntersehen. Dann nickte sie zaghaft. „Ich werde mit Euch kommen.“
Tamaril schnaubte vor Wut. Wie konnte es dieses Monster wagen! Er bildete sich wohl tatsächlich ein, dass es seine Anwesenheit war, die Tamaril dazu brachte, mitzuteilen, was der Wald ihm eingab.
Er hätte am liebsten das Buch vom Pult gefegt und nie mehr ein Wort von sich gegeben, nur um zu zeigen, was er von dem schrecklichen Verräter hielt. Er erinnerte sich nur zu gut daran, wie er auf dem Platz vor dem Osget mit dem grauäugigen, jungen Mann geredet hatte, wie er ihm sein Herz ausgeschüttet hatte. Doch mit was für einem schrecklichen Vertrauensbruch er belohnt worden war!
Moment.
Tamaril runzelte die Stirn. Das Gespräch mit Cayoun vor dem Osget - wann war das gewesen?
Es kam ihm vor als wäre es gerade erst gewesen. Oder geschah es in diesem Moment? Nein, es musste Jahre her sein.
Er zitterte als er gewahr wurde, dass sein Denken mehr und mehr von den verschiedenen Zeitströmen, die er in sich aufgenommen hatte verwirrt wurde. Das Einhorn hütet einen Knotenpunkt in Raum und Zeit hatte seine Lehrerin gesagt. Oder würde sie es noch sagen? Wann?
Er verbarg das Gesicht in seinen Händen und versuchte seinen unruhigen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. Er hätte bei der Gegenwart bleiben sollen! Er hätte nicht versuchen dürfen auf Informationen der Vergangenheit zuzugreifen!
Aber jetzt war er doch bereits mitten drin. Was würde sein, wenn er einfach aufhörte? Würden
seine Gedanken sich wieder auf die Gegenwart konzentrieren können oder würden sie sich im Chaos der Zeiten auflösen?
Wenn nur das Einhorn noch da wäre! Das Einhorn hatte nie die Kontrolle verloren. Es hatte die gewaltige Macht des Knotenpunkts fokussiert und alles geschaffen, was die Mencun benötigten. Warum war es nur nicht mehr da?
Er würde es nie herausfinden, wenn er sich nicht vorwärts bewegte. Wenn er die Geschichte nicht erneut durch sich fließen ließ.
Tamaril schluckte und versuchte sich zu konzentrieren. Der grauäugige Mann. War er der selbe wie jener Cayoun? Seine Finger massierten seine Schläfen und ein wenig ließ das Durcheinander in seinem Kopf nach. Nein, Cayoun musste schon Jahrhunderte tot sein. Der
Mann in seiner Stadt war ein Shakarie. Jorcan, der Kronprinz.
Er atmete tief durch. Es half alles nichts. Er musste es wagen, musste die Kraft aufbringen, das zu leisten, was sonst nur das Einhorn geschafft hatte und die Zeitenströme zähmen. Oder zumindest ihnen soweit widerstehen, dass er nicht von ihnen fortgerissen wurde.
Mit unsicheren Fingern setzte er die Feder wieder auf, schrieb davon wie der Shakarie und das Falamar Mädchen in die Versammlungshalle zurückkehrten. Wie sie das Tor öffneten und den langen Gang bis zum Eingang zu seinem Gefängnis zurücklegten.
Wie sie ihn baten weiter zu erzählen und die Geschichte zuende zu bringen.
Und Tamaril begann wieder zu reden.
schreiber2015 Mir gefällt der Anfang sehr gut und ich werde es definitiv weiterlesen denn soweit ich das mitbekommen habe ist das genau die Art von Geschichten die ich liebe. mach weiter so LG schreiber2015 |
Fia__Sophia Hallöchzen :) Alsooo ich bin heute dann auch endlich Mal dazu gekommen Nebelaugen zu lesen und gebe dir dann jetzt die versprochene Rückmeldung :) Fangen wir mal mit dem Cover an: Das Bild finde ich sehr gelungen, auch wenn ich mir die Masken der Shakarie (ich gehe doch mal davon aus, dass das Jorcan sein soll) ein wenig anders vorgestellt hätte. Die Schrift passt auch ganz gut dazu und dafür dass sie abgeschnitten wurden, kannst du ja nichts (wäre aber eventuell mal einer Änderung würdig). Joaaa das mit den Sätzen als "Klappentext" finde ich immer schwer und bewerte ich gewöhnlich nicht. Hier aber schon, da ich fast schon finde, dass er zu viel verrät. Der Prolog hat bisher noch nicht so viel Sinn gemacht. Vielleicht kommt der Soldat noch vor, das kann ich ja nicht sagen, dann würde er passen aber genrell finde ich, dass nicht jedes Buch einen Prolog haben muss. Es ist durchaus legitim keinen zu schreiben. Deinen Schreibstil fand ich sehr angenehm zu lesen und an dem habe ich absolut nichts auszusetzen,der war super und zum Buch passend. Aber ich habe da eine Idee. Da Tamaril ja die Geschichte von Jocran und Ayala aufschreibt, fände ich es schön ,wenn der Schreibstil in den Passagen, die sich um seine Gefühle beim schreiben dreht anders geschrieben wäre. Deine Charaktere mag ich auch. Ayala, Jocran und auch Tamaril wirken echt und lebendig. Es gab allerdings ein paar Dinge dich irgendwie unfertig wirtken. Vor allem an den Nebencharakteren, die hatten irgendwie ziemliche Stimmungsschwankungen, die nicht immer sinnvoll gewirkt haben. Auch das mit dem Mädchen (ich hab den Namen leider vergessen), dass Jorcan erwähnt, fand ich kam etwas plötzlich daher und war dann genauso schnell wieder weg. Da ich aber das Gefühl hatte, dass sie zumindest für ihn eine ziemlich wichtige Rolle spielt und ihr Tod auch für den Verlauf der Handlung wichtig sein könnte, fände ich es gut, wenn er auch in seinen Übrigen Gedanken, schon öfter an sie gedacht hätte oder ähnliches, damit das nicht ganz so plumb wirkt, wenn er dann von ihr erzählt. Generell denke ich, könntest du so etwas vermeiden, indem du deinen Charakteren ganz viele Geschichten gibst und diese beim schreiben einfach Stück für Stück mit einfließemn lässt. Dadurch wirken sie bestimmt auch noch ein Stück lebendiger. So und dann noch die Handlung und Idee. Also generell, ist die Idee nichts wirklich neues, soweit ich das beurteilen kann. Verfeindete Völker gibt es viele und in der Fantasy auch oft, Und dasss man dann mal jemanden anderen kennenlernt aus eben diesem Volk ist auch nicht soo wahnsinnig neu. Dennoch fine ich, gibst du der Geschichte deinen eigenen Touch und die ganze Sache mit Tamaril scheint spannend und die ganze Handlung genrell ziemlich verwebt und wie du das nun nach und nach aufdeckst, finde ich gut. Das die Grundidee eher typisch ist, ist auch der Grund, warum ich an deine Stelle einen anderen Teaser nehmen würde, da man sich nach dem schon sehr gut ausmalen kann, was passieren wird und auch Vermututngen auf das Ende sofort da sind. Da ich das nooch nicht kenne, kann ich jedoch auch nciht sagen, ob das dann auch passt. Sooo ich hoffe das konnte weiterhelfen und meine Gedanken waren nicht allzu verwirrend. Allgemein habe ich Nebelaugen jedoch sehr gerne gelesen und ich werde es auf jeden Fall weiter verfolgen. LG Sophia |
ZMistress Zuallererst mal vielen, lieben Dank für den langen Kommentar und die vielen Vorschläge. Ich brauche auch immer viel zu lange zum Kommis und Antworten schreiben, also bin ich die Letzte, die sich über so etwas beklagen würde. Ich schätze es viel zu sehr, wenn sich jemand die Mühe macht, so detaillierte Reviews zu schreiben. Aber zu deinen Kritikpunkten: Dass die Masken eher aus Stoff und mehr Richtung Schleier gehen, habe ich beim Schreiben wirklich nicht richtig umgesetzt. Darauf werde ich in Zukunft mehr achten. Ich wollte irgendwann auch mal die Platzierung des Titels korrigieren und vielleicht auch die Schriftart noch mal ändern, aber bis jetzt habe ich das immer wieder vor mit her geschoben. Aber es steht auf meiner To-do-Liste. Dass der Klappentext eigentlich schon ziemlich viel verrät ist mir schon klar, aber ich dachte, dass dann eher Leute, die diese Art Geschichten mögen (wie ich selbst), sie finden können. Was würdest du denn eher als Klappentext schreiben? Wie ich schon in einer anderen Antwort geschrieben habe, ist der Prolog ein wenig an die Geschichte dran getackert, da ich darin hauptsächlich den Konflikt zwischen Falamar und Shakarie vorstellen wollte. Ich habe aber vor, das besser zu lösen, wenn ich den Anfang noch mal überarbeite, was aber dauern wird, da ich erst möglichst die Geschichte zu Ende bringen möchte, bevor ich mit weiteren Revisionen anfange. Die Idee, Tamarils Passagen in einem anderen Schreibstil zu verfassen hatte ich auch schon, aber ich habe Angst dem nicht gerecht zu werden, so dass es dann albern klingt, wenn ich zum Beispiel versuche, altertümlicher zu klingen. Es liegt also eher an mangelnden Fähigkeiten als an mangelnden Ideen. Ishas (das Mädchen, von dem Jorcan spricht) Einführung war ursprünglich noch abrupter. In meiner letzten Überarbeitung habe ich dann noch mal eine Szene eingefügt, in der Jorcan an sie denkt, bevor er gleich mit ihrer Geschichte beginnt. Aber da geht natürlich noch mehr. Ich merke mir das auch mal mental für die nächste Revision vor. Und ja, ich erfinde mit der Handlung nicht das Rad neu. Ich bemühe mich ein paar interessante Charaktere und Wendungen einzubauen, aber letztlich bin ich halt doch nur ein Hobbyschreiberling. Aber ich tu mein Bestes. Insgesamt auch noch mal ein großes Dankeschön für das Lob – es beruhigt mich ja, dass nicht alles schlecht war – und natürlich für die Arbeit, die du dir mit dieser Review gemacht hast. Und hilfreiche Anregungen waren auch mehrere darunter, was ich wirklich sehr schätze. |
Terazuma Also, mit diesem Werk bin ich jetzt durch. Ich kann dazu nur sagen, dass es immer spannender und komplexer wird. Jetzt kommt natürlich auch heraus was der Schreiber, Tamaril, mit allem zu tun hat. Am Anfang kam das ja nicht so heraus, man konnte nur vermuten, dass mehr dahintersteckte. Doch jetzt hat sich alles offenbart und ich habe mit jedem Kapitel mehr und mehr mitgefiebert. Ich muss ehrlich zugeben, deine Geschichte hat mich total gefesselt. Was ich als Hinweis noch beitragen kann ist, dass ich das Gefühl habe, nach allem, was ich bereits gelesen habe, dass jetzt der Prolog beinahe nicht mehr dazu zu passen scheint, denn von dem Soldaten der darin vorkam, hat man überhaupt nichts mehr zu lesen bekommen. Dagegen hat sich eben Tamaril als ganz wesentlicher Bestandteil herauskristallisiert, obwohl er es anfangs war, der nicht so recht zu passen schien. ^^ Wie gesagt, eine wirklich packende, gut geschriebene Fantasy-Story, die ich jederzeit weiterempfehlen würde! LG Tera |
ZMistress Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich über deine Reviews gefreut habe. Ja, das mit dem Prolog finde ich auch nicht mehr so optimal und will es wie gesagt noch mal überarbeiten. Mein Problem ist, dass ich für alles so tierisch lange brauche. Aber ich arbeite daran, schneller zu werden. Noch mal vielen Dank!! |
Terazuma Du hast mich mit der weiteren Story jetzt schier geplättet! Dass du deine Protagonistin eine Hand (oder den ganzen Arm?) verlieren lässt ist ausgesprochen mutig und hat mich wirklich begeistert. Nicht weil ich so grausam bin, sondern weil das eine ungeheure Dynamik und ernste Auseinandersetzung nach sich zieht. Da kommt eine enorme Tiefe auf. Genauso wie du das Gesicht des Shakarie beschrieben hast, das ja alles andere als 'hübsch' ist. Kein Wunder, dass alle Masken tragen. Auch dazu gehört Mut und hat mir ausgesprochen Imponiert, dass du aus ihm eben keinen Schönling gemacht hast. Ich bin wirklich beeindruckt. LG Tera |
Terazuma Wie du bereits gelesen hast, bin ich ja auch nicht gerade zimperlich mit meinen Charakteren. Und es wird sogar noch ärger... ^^ Ich finde deinen Mut diesbezüglich wirklich toll und auch wenn es etwas länger dauern wird, so hoffe ich doch, dass du diese ansprechende Story auch beenden wirst. Sie hat wirklich enormes Potential! Und das mit dem Prolog ist nur eine winzige Kleinigkeit. Das wirst du schon noch super lösen! ^^ LG Tera |
EagleWriter Ach was, eine gute Story braucht eben auch Tiefen, also für die Protagonisten :-). Bisher jedenfalls ( Sorry, wollte mich längst nochmal melden) kann ich mich Terazuma größtenteils anschließen. Du spielst mit dem, was man teilweise am wenigsten oder zumindest eher nicht erwartet, das macht es spannend^^ lg E:W |