Romane & Erzählungen
Ausbruch

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"Ausbruch"
Veröffentlicht am 28. November 2013, 24 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Ausbruch

Ausbruch

Musik

Durch das schmale Fenster fiel Licht in das ordentliche Zimmer. Es beleuchtete einen sauberen Paketboden, strich über ein gemachtes Bett und einen weißen Kleiderschrank. Es brachte alphabetisch sortierte Bücher in dem hohen Regal zum Glänzen und wurde von der staubfreien Lampe zurückgeworfen. Nur eine Ecke fand das Licht nicht. In dieser Ecke stand ein großer Schreibtisch. Stifte und Hefte lagen ordentlich darauf und davor saß ein junges Mädchen. Die Haare hatte sie hochgesteckt, am Leib trug sie Jogginghose und Hoodie.

Sie wirkte weder konzentriert noch anwesend. Leer glitten ihre Augen über die Seiten eines Schulbuches und ihre Hand schrieb lieblos nieder, was ihre Augen lasen. Seit drei Stunden saß sie nun schon an dem selben Ort und sie würde weiter dort sitzen, bis man sie entließ. Dann und wann öffnete sich die Tür und eine schnell gealterte Frau streckte ihren Kopf herein. Ihre Haare waren schon grau meliert und die Haut begann Falten zu werfen. Eine schmale Brille, saß auf ihrer langen Nase und ihre Kleidung hatte die selbe graue Färbung ihrer Haare. Stehts warf sie einen Blick auf das

Mädchen und auf die Papiere die vor ihr lagen, nahm sie in die Hand, las darin und schüttelte schlussendlich den Kopf. Sie schüttelte den Kopf, wenn ihr die Schrift zu hässlich war, schüttelte den Kopf, wenn die Informationen ihr nicht gut genug waren, schüttelte den Kopf, wenn die Lösung einer Aufgabe nicht lang genug war. Das Mädchen nahm das hin, nickte stumm und begann von vorne. Sie war das schon gewohnt, sie kannte das, seitdem sie schreiben konnte und sie konnte schreiben seitdem sie drei Jahre alt war. Sie wusste, dass dies nie aufhören würde, bestimmt nicht vor ihrem

Schulabschluss und wahrscheinlich auch danach nicht. Schon vor langer Zeit hatte sie aufgehört den Druck zu spüren, oder die Wut. Wie eine programmierte Maschine tat sie was die Frau von ihr verlangte und wehrte sich nicht. Erst als das Licht nicht mehr durch das schmale Fenster fiel und das Zimmer in ein dämmriges Licht tauchte nickte die Frau schließlich. Erschöpft ließ sich das Mädchen auf ihr Bett fallen. Sie schlief ein noch während sie die Augen schloss. „Komm doch heute Abend mit, komm schon, nur einmal!“ Liz sah sie mit

großen Augen über dem Mathebuch an und Hanna schüttelte den Kopf. „Ich muss lernen“, hielt sie dagegen und hob die schmalen Schultern. „Du musst immer lernen!“, schnaufte Liz. Ihre blassen Wangen färbten sich rosa und nahmen so die selbe Farbe ihrer Haare an. Liz war ein pummeliges Mädchen mit gefärbten Haaren und und einem Piercing in ihrer Nase. Hannas Mutter kannte sie nicht, aber Hanna wusste, wenn sie Liz kennen würde, würde sie ihr verbieten mit ihr zu reden. „Meine Mutter wird mich umbringen, wenn ich heute Abend irgendwo hingehe.“ Leicht schüttelte sie den Kopf und wandte ihren Blick zurück in ihr

Heft. „Dann sag halt wir machen ein Projekt für die Schule.“ „Sie wird es sehen wollen.“ „Hanna! Du kannst nicht den ganzen Tag in deinem Zimmer sitzen und lernen. Du musst mal raus!“ Liz schrie fast und Frau Schulz warf ihr einen warnenden Blick zu. „Es geht ja nicht lange, du musst es nicht mal bezahlen. Ich kenne die Band wir stehen auf der Gästeliste.“ „Und was willst du ihr sagen was das für ein Projekt sein soll? Das wird nicht funktionieren, okay?“ Hanna schüttelte den Kopf und wehrte alle anderen Versuche ihrer Freundin ab, sie zu dieser

absurden Handlung zwingen zu wollen. Hanna hatte noch nie bei einer Freundin übernachtet. Sie hatte noch nie einen Geburtstag gefeiert und auch noch nie einen besucht. Sie war abends noch nie weg gewesen und natürlich hatte sie noch nie viele Freunde gehabt, geschweige denn, dass sie je verliebt gewesen wäre. Sie wusste, dass das nicht die Art war, auf die es normaler Weise laufen sollte. Aber sie kannte es nicht anders, sie war es gewohnt. Sie war es gewohnt nach der Schule nach Hause zu kommen, Mittag zu essen, ihrer Mutter zu erzählen was sie gelernt hatte und dann Hausaufgaben zu machen, so lange bis

ihre perfektionistische Mutter zufrieden war. Liz sprach das Thema nicht wieder an und als der Schultag nach der Mathestunde endlich beendet war sprang Hanna in den nächsten Bus und fuhr nach Hause. Sie setzte sich an den Esstisch, erzählte ihrer Mutter von ihrem Schultag und setzte sich dann an ihren Schreibtisch. Es dauerte nicht lange bis sie fertig war und als ihre Mutter mit den ergrauten Haaren herein kam. „Was bist du nur für eine dumme Gans?“, schnaubte sie laut und knallte die Blätter zurück auf den Tisch. „Bist du tatsächlich so dumm wie du tust?“,

schrie sie weiter und Hanna zog den Kopf ein. „Warum? Was ist falsch?“, fragte sie erschrocken und warf einen Blick auf die Zettel. „Die Frage ist was ist nicht falsch!“ Als ihre Mutter weg war starrte Hanna mit leerem Blick auf das Papier. Die Buchstaben tanzten vor ihren Augen und erschrocken stellte sie fest, dass sie weinte. Das letzte Mal, das sie geweint hatte, lag Jahre zurück. Es fühlte sich an, als würde eine dicke Eisschicht in ihr brechen. Vielleicht so als hätte ein dummes Kind mit seinen scharfen Schlittschuhkufen immer und immer wieder auf ein und dieselbe Stelle

eingeschlagen und jetzt war die ganze Decke gebrochen und gesprungen und Wasser quoll aus den tiefen Rissen. Wütend warf sie ein schweres Buch auf den Boden und trat es über den sauberen Boden. Es war zehn als sie ihr Fenster aufschob. Sie wusste, dass ihre Mutter um neun schlafen ging und sie war lieber auf Nummer sicher gegangen. Genau konnte sie nicht sagen wo sie hin musste, aber das war ihr egal, sie wollte es versuchen, einmal ausbrechen, nur dieses eine Mal. Kühle Luft wehte ihr entgegen, als sie ihren Kopf hinausstreckte und sie schluckte einen

Kloß hinunter, der breit in ihrer Kehle saß. Die Hölle würde sie erwarten, wenn ihre Mutter jemals hiervon erfahren würde, das wusste sie. Ihr Fahrrad stand in der Garage und es da raus zu holen wäre laut, also hatte sie sich ein Taxi gerufen und es aufgefordert an der Straßenecke zu warten. Bezahlen würde sie es von dem Taschengeld, das sie sonst nie ausgab. Im Taxi lief arabische Musik im Hintergrund und der Fahrer erschien ihr wenig vertrauensvoll. Nervös krallte sie sich in den Stoff ihrer Jeans und ließ die braunen Haare wie einen Vorhang vor ihr Gesicht fallen.

Der Wagen hielt in einer beleuchteten Straße, vor einem schmutzigen Laden. Neonlicht flackerte über einer Tür und aus dem Gebäude dröhnten Bässe. Angst sammelte sich wie ein Klumpen in ihrem Magen und drohte sie zu ersticken. Gerade wollte sie dem Fahrer den Befehl geben doch wieder umzudrehen, als ein rosaner Haarschopf die Straße überquerte und Hanna in dem Taxi sitzen sah. Begeistert riss Liz die Tür auf und Hanna drückte den Fahrer ihr Geld in die Hand. „Du bist gekommen!“, rief Liz überrascht, als sie gemeinsam vor der Tür standen. „Du hast es dir also anders

überlegt.“ Hanna nickte zögerlich und wusste nicht was sie dazu sagen sollte. Sie war sich nicht wirklich sicher woher ihr Stimmungswandel gekommen ist und sie konnte sich auch nicht entscheiden ob er guter oder schlechter Natur war. Ihr Herz raste, während sie auf die Tür zugingen. Vielleicht hätte sie nicht kommen sollen. Sie hätte wirklich zu Hause bleiben sollen. Was würde nur passieren, wenn ihre Mutter all das erführe? Hinter der Tür wartete ein dunkler, stickiger Flur. Es roch nach Rauch und abgestandener Luft. Ein Mann stand an einem kleinen Tresen und sah ihnen auffordernd entgegen. Angstschweiß

brach ihr aus und sie blickte hilfesuchend zu Liz. „Wir stehen auf der Liste“, flötete ihre Freundin fröhlich. Der Mann verlangte ihre Namen, nickte, rammte unsanft einen Stempel auf ihre Hände und sie konnten weiter gehen. Der Flur öffnete sich in einen großen Raum. Zwei Türen führten zu den Toiletten und an einer schmalen Bar wurden überteuerte Getränke verkauft. Menschen tummelten sich in dem Raum, saßen auf Stühlen und standen in Grüppchen. Und hinter all dem führte eine doppelflüglige Metalltür in einen großem Saal aus dem das Dröhnen von Musik und das Gewirr zahlreicher

Stimmen drang. „Komm.“ Liz packte Hannas Arm und zerrte sie in Richtung der Bar. „Die Runde geht auf mich“, flötete sie weiter und Hanna sah sie mit großen Augen an. Auch Alkohol hatte bis zu diesem Zeitpunkt nie zu ihrem Leben gehört. Aber sie war eh schon hier und am Ende, wenn raus kam was sie tat, dann könnte sie es auch noch weiter auf die Spitze treiben. Mit einer Flasche Bier in der Hand begaben sie sich schließlich in die Richtung des großen Saals. Menschen häuften sich hier, Körper drängten sich eng an eng und eine beinahe greifbare Hitze lag in der Luft.

Hanna wollte stehen bleiben, aber Liz zog sie weiter mit sich. „Nach vorne!“, brüllte sie ihr entgegen und sie schlängelten sich durch die Menschenmasse, bis sie direkt vor der Bühne standen. Der Lärm hier war ohrenbetäubend und die Leute bewegten sich wie eine wilde Masse in verschiedene Richtungen. Auf der Bühne standen fünf junge Männer in schwarzer Kleidung. Ihre Musik war laut, aggressiv und der Gesang ähnelte Geschrei an vielen Stellen. Sie bewegten sich frei, teilweise obszön und ihre sorglose Stimmung schien auf das Publikum überzugehen.

Hanna mochte das. Sie spürte wie ein Lächeln sich auf ihre Lippen schlich. Das Bier prickelte in ihrem Mund, als sie einen Schluck davon nahm und sie fühlte sich zum ersten Mal seit Jahren wie ein lebendiger Mensch. Viel zu schnell ging das alles vorbei. Schwitzend und grinsend stand sie zwischen den Leuten. Ihr Herz raste, aber es war ein gutes Rasen und Begeisterung glänzte in ihren Augen, als sie zu Liz hinüber blickte. „Danke“, grinste Hanna begeistert und Liz nahm ihre Hand. „Wir sind noch verabredet“, erklärte ihre Freundin und sie verließen gemeinsam

den Saal. Sie warteten an der Bar, Liz zahlte noch eine Runde und diesmal nahm Hanna die Flasche ohne zu zögern. Sie fühlte sich leicht, wie auf Wolken und sie genoss es. „Da!“ Liz riss ihren Arm hoch und winkte energisch. Durch die Menschen kamen zwei Jungen auf sie zu. Hanna brauchte zwei Sekunden um zu begreifen, dass die beiden Jungs zu den Kerlen gehörten, die auf der Bühne gespielt hatten. Lange Haare klebten ihnen an der Stirn. Der Größere von Beiden hatte braune Haare, wie sie. Er trug ein schwarzes T-shirt zu einer schwarzen Jeans und eine Lederjacke.

Als er Liz entdeckte Lächelte er und zeigte gerade, weiße Zähne. Der Andere war etwas kleiner. Seine Haare waren schwarz und seine Haut kalkweiß. Er sah aus wie ein Geist in schwarzer Kleidung und doch machte er Hanna keine Angst. Als er Liz entdeckte zog er sie ein sich und drückte ihr einen langen Kuss auf die Lippen. Beschämt und mit geröteten Wangen wandte Hanna sich ab. „Das ist mein Freund Till und sein Kumpel Dan.“ „Hi, Hanna“, murmelte sie schüchtern und hob eine Hand. Sie war es auch nicht gewohnt Aufmerksamkeit von anderen Leuten zu bekommen, vor allem

nicht von Jungs, schon gar nicht von Jungs, die sie attraktiv fand. „Also bereit loszuziehen?“, fragte Dan und in seiner Stimme lag ein Lächeln. „Sicher!“, rief Liz und zerrte Till Richtung Ausgang. Hanna nickte verlegen und folgte den Beiden hinaus. Die Luft war erheblich kälter geworden und Sterne leuchteten schon am Himmel. Schemenhafte, von Straßenlaternen beleuchtete Personen gingen die Straße hinunter oder schlossen dunkle Autos auf. Till und Liz gingen die Straße hinauf, also folgte sie ihnen, Dan an ihrer Seite. Beide sprachen sie kein Wort, das war okay für Hanna, sie hätte nicht gewusst,

was sie sagen sollte. Am Ende ihres Weges saßen sie in einer kleinen Kneipe. Die Luft war verhangen von Rauch, laute Musik knallte aus Lautsprechern und die Leute auf den ausgesessenen Sofas und kippligen Hockern unterhielten sich mit lauten, dröhnenden Stimmen. Die erste Runde ging auf Dan. Diesmal waren es keine Flaschen, sondern bunte, nach Alkohol stinkende Flüssigkeiten in kleinen Gläsern. Hanna hustete erschrocken auf, als die Flüssigkeit in ihrer Kehle brannte und sorgte für leises Gelächter unter ihren Begleitern. Wieder wurde sie rot und Hanna senkte

ihren Blick.

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FetteEule

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