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CHRONIKEN EINER GEGENWART, DIE NIE SEIN WÜRDE... - Die Chroniken Sun Citys - Dossier alpha (Prolog)

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"CHRONIKEN EINER GEGENWART, DIE NIE SEIN WÜRDE... - Die Chroniken Sun Citys - Dossier alpha (Prolog) "
Veröffentlicht am 26. November 2013, 102 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
© Umschlag Bildmaterial: Gunnar Assmy - Fotolia.com
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Über den Autor:

Eigentlich ist es so wie es ein Landsmann von mir treffend beschrieb: 'Mit den Riesen habe ich keine Probleme; nur die Windmühlen machen mir echt zu schaffen!'
CHRONIKEN EINER GEGENWART, DIE NIE SEIN WÜRDE... - Die Chroniken Sun Citys - Dossier alpha (Prolog)

CHRONIKEN EINER GEGENWART, DIE NIE SEIN WÜRDE... - Die Chroniken Sun Citys - Dossier alpha (Prolog)

Dossier - alphA

CHRONIKEN EINER GEGENWART,
DIE NIE SEIN WÜRDE...

PROLOG

"Bist du eine Elfe?", fragte der Junge im Greyhound nach Sun City über die Kopfstütze seines violettblauen Sitzes hinweg den weiblichen Fahrgast hinter sich. Dieser sah von seinem erdbeerroten Tablet-PC auf und schüttelte mit einem entwaffnenden Lächeln den Kopf. Die junge Frau hatte ein porzellanenes,

ovales Gesicht mit leicht asiatischen Zügen, bernsteinfarbene, strahlende Augen und rubinrotes Haar. Gekleidet war sie mit dunklen IRO Jeans, einer kurzärmligen Bluse aus Baumwolle und darüber einer IRO Laya Lederjacke. Obwohl sie übernächtigt wirkte, strahlte sie dennoch eine gewisse Eleganz und Autorität aus. Der blonde Junge mit dem Vollmondgesicht reagierte enttäuscht. „Aber du bist so hübsch wie Arwen… und… und die Ohren?“ „Eine Laune der Natur!“, meinte die Frau mit einem Schulterzucken. Als der Junge aber weiterhin auf ihre spitz endenden Ohren starrte, tippte sie

ihm mit dem Finger auf die Nasenspitze. „Aber du junger Mann… bist du nicht zu klein für solche Filme? Solche gewalttätigen Sachen sind nicht gut für deine unreife Psyche und deine zukünftige Entwicklung!“ Der Junge reagierte trotzig auf den belehrenden Ton in ihrer Stimme. „Ich gucke was ich will... und auch wann ich will! Du bist nicht... meine Mama…“ Ihre Gelassenheit beunruhigte ihn, deswegen hackte er vorsichtig nach: „Bist du... ein Polizist?“ „Vielleicht…“, lächelte sie geheimnisvoll. Gerade als der Junge etwas erwidern wollte, packte ihn jemand von der Seite

her und beförderte ihn wieder an seinen Platz. „Hör endlich auf, die anderen Fahrgäste zu belästigen!“, ermahnte ihn eine genervte Frauenstimme, die wohl seiner Mutter gehörte. "Aber Mama, da hockt ein Bulle Elronds!" "Papperlapapp!", murmelte der Rotschopf und lehnte sich mit einem müden Lächeln zurück. Dabei streckte sie sich ausgiebig. Es wurde wirklich langsam Zeit, dass diese Odyssee endete, jetzt, da der Greyhound endlich vom Freeway runter war. Sie ließ ihren Blick wandern. Der violettblaue Linienbus war an der

Westküste Kaliforniens unterwegs, und sie konnte sich kaum von der Sicht aus dem Wagenfenster losreißen. In unregelmäßigen Abständen wechselten sich hochgeschossene Zitterpappeln, Kiefern und mächtige Eukalyptusbäume ab, und dann waren da noch diese großen Büsche mit feinnervigen grünen Blättern, die wunderschöne, handflächengroße Blüten in hellen Lavendeltönen besaßen. Inzwischen war sie sich auch ziemlich sicher, dass die leuchtend rot gefärbten Blumen, die sie hier entdeckt hatte, Akeleien waren. Auch wenn ihr diese Färbung bisher unbekannt gewesen war. Sie glaubte sogar eine

Regenbogen-Schwertlilie gesehen zu haben, obwohl sie nie vermutet hätte, dass deren Sträucher so üppig werden konnten. Ihre Blüten besaßen weiße Einschlüsse, die wirkten, als glühten die Blumen von innen heraus. Vielleicht hatte sie aber auch nur zu viel Atelier Ayesha auf ihrer PS Vita gezockt... Der Effekt mit dem Leuchten kam sicherlich von den augenblicklichen Lichtverhältnissen, denn die Sonne stand bereits tief über dem Pazifik, warf immer längere Schatten und verlieh all den Häusern und Bauten, an denen der Bus vorbeikam, eine faszinierende, wenngleich ziemlich unheimliche Note. Sie seufzte

schwer. Irgendwie vermisste sie trotzdem die natürliche Schlichtheit der Atlantikküste. Gerade fuhren sie an einer imposanten Plakatwand vorbei, auf der ihnen in goldenen Lettern der Ausspruch ‚WELCOME TO SUN CITY - Where Dreams come true!‘ entgegen strahlte. Die Tatsache, dass dieser Willkommensgruß durch unzählige Graffitis verunziert war, verstärkte ihr Heimweh nach New York noch mehr. Es fiel nicht einmal richtig auf, dass man das Wort ‚SUN‘ in großen, schwarzen Buchstaben mit einem ‚NIGHT‘ übersprayt hatte. Eher, dass

die hiesigen Sprayer wohl einen ziemlich abgefahrenen Sinn für Lyrik hatten. Wie anders war wohl der Spruch Don’t send us angels - send us nightmares! zu verstehen, der über dem Gruß prangte? Der Greyhound fuhr nun an einer weitläufigen Militärbasis vorbei und erklomm mit einem leichten Anstieg der Motorleistung die höchste Stelle des letzten Hügels vor der Innenstadt, die vom Pazifik umspült wurde. Das allgemeine Gemurmel wurde in dem Verhältnis leiser, wie die Fahrgäste angespannt nach vorne blickten. Dann erhoben sich zuerst die Türme der Corporate Plaza - des Herzens Sun Citys - wie Monolithen in die

Abenddämmerung. Das waren wahrlich Wolkenkratzer… allem voran der NG Tower mit seinen 131 Stockwerken. Mehr als einen halben Kilometer war diese Festung hoch, die aus zwei miteinander verbundenen Bauten bestand, welche zusammen einen einzigen gewaltigen Komplex bildeten. Gut sichtbar prangte am Hauptturm eine stilisierte Engelsfigur mit Krone über dem leuchtenden Schriftzug ‚Neo GenX‘. Nun folgten ein gutes Stück tiefer die restlichen Hochhäuser der Plaza, die das Stadtzentrum ausmachten. Einige der Riesen waren ringförmig um vier andere angeordnet, die wohl die Wohn- und Geschäftshäuser

darstellten. In der Art, wie sich jetzt gerade das Sonnenlicht in den gigantischen Säulen aus Glas und Stahl brach, wirkten sie irgendwie archaisch… eine Art modernes Stonehenge, das sich provokativ gen Himmel erhob. „Babel…“ murmelte sie. Schließlich folgten eine gefühlte Ewigkeit später die restlichen Gebäude Sun Citys, hinunter bis zum heruntergekommenen, alten Stadtgebiet El Coronado, dem abgewirtschafteten alten Hafen davor und dem ultramodernen New Harbor Einkaufs- und Wohnkomplex, sowie dem beeindruckenden McCartney Stadium mit

seinen knapp 75.000 Sitzplätzen. Vielleicht würde sie sich mal ein NFL-Spiel der hiesigen 'Archangels' antun. Auf einer kleinen Halbinsel gelegen und von der Coronado- und Entronizado-Bucht umschlossen, war hier in den letzten Jahrzehnten ein städtebauliches Juwel entstanden, das so gar nicht zu seinen Geschwistern wie San Francisco, Santa Barbara oder Los Angeles passen wollte. Vielleicht mit Ausnahme des Herzstücks der Stadt - das El Coronado, aus dem praktisch das jetzige Sun City erwachsen war. Doch das ging leider inzwischen immer mehr vor die Hunde. Aber das momentan auffälligste war eine beeindruckende, mehrspurige

Hängebrücke, die in direkter Linie nach Marina führte - dem nördlichsten Bezirk der Innenstadt - und dabei wie die revidierte und entschlackte 2014er Version der Golden Gate Bridge wirkte. Die Fahrt führte an einer riesigen Plakatwand vorbei, die für Neo Genetics Inc. Werbung machte. Unübersehbar prangte darauf deren Leitspruch ‚Giving you the future you dream about!‘ über dem überzeichneten Abbild einer strahlenden und überglücklichen, typisch amerikanischen Vorzeigefamilie. Bei diesem Anblick rief sie sich in Erinnerung, was sie bisher in Erfahrung hatte bringen können: Nämlich dass Neo Genetics Inc. - oder

Neo GenX, wie es auch genannt wurde - der größte und einflussreichste Arbeitgeber der Stadt war. Ihm alleine war ihr heutiger Wohlstand und Reichtum zu verdanken. Deswegen konnte man auch den Multimilliardär und CEO von Neo Genetics Inc., Armant Cyphre, praktisch den uneingeschränkter Herrscher Sun Citys nennen. Nichts passierte ohne seine Einwilligung oder Wohlwollen, und kaum ein lokales Blatt oder ein Rundfunksender wagte auch nur ein kritisches Wort über ihn verlauten zu lassen. Es hieß sogar, dass ohne seinen Segen kein Bürgermeister länger als drei Tage im Amt blieb. Seltsamerweise hatte sie aber sogar im

Internet nichts Brauchbares über diesen misanthropen, alten Einsiedler gefunden, der sich scheinbar in der Spitze seines Firmenhauptquartiers verbunkert hatte. Dafür umso mehr über seinen unsympathischen und extrem egozentrischen Sohn Louis, der wohl kein Fettnäpfchen ausließ. Aufgefallen war ihr in diesem Zusammenhang auch, dass dessen Mutter vor einigen Jahren Selbstmord begangen haben sollte, indem sie von der Spitze des Firmenhauptquartiers sprang. Der Konzern selber mischte schon seit einiger Zeit den pharmazeutischen und biotechnologischen Weltmarkt mit seinen Patenten neuartiger Medikamente auf -

und er befand sich damit auf einem derartigen ökonomischen Höhenflug, dass man bei der hiesigen Wirtschaft nicht bloß von einem Erblühen, sondern schon von einem explosionsartigen Wachstum sprechen musste. Was leider auch für die hiesige Kriminalität galt. Die auch der Grund für ihre Reise hierher war. Auf dem großen Werbeplakat von Neo Genetics Inc. hatten sich die Sprayer von vorhin ebenfalls verewigt. Und auch hier brillierten sie mit einem eigenwilligen Sinn für Lyrik: In dreams, we are immortal… In dreams, we are

invincible… In dreams, we are BACK! Kurz dachte sie über diese Worte nach, wandte sich aber kopfschüttelnd wieder ihrem Nokia-Tablet zu. Dann fiel ihr das Gekritzel auf der Rückenlehne vor ihr auf. Die Worte stammten scheinbar von den gleichen Chaoten, die hier die Plakate verunzierten... wieso war es ihr nicht schon vorher aufgefallen? Weil sie bisher nicht so sehr auf diese dämlichen Sprüche geachtet hatte? Sie kniff müde die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. Sobald sie endlich in der ihr zugewiesenen Wohnung abstürzen durfte,

würde sie sich ein langes und ausgiebiges Bad gönnen... und nach einer hoffentlich geruhsamen Nacht, würde sich dann schon zeigen, was es mit ihrer zukünftigen Arbeitsstelle auf sich hatte. Ihr saß das ganze wohl noch immer tief in den Knochen. Sie hatte vor allem immer noch das Bild ihrer Mutter vor Augen, als diese ihr erwartungsvoll das verhängnisvolle Schreiben gebracht hatte. „Ich gehe NICHT nach New York City!“, war ihr Resümee nach dem Durchlesen gewesen. „Gut! Oder… ist das schlecht?“ „Sondern als Trainee…“ „Klingt nicht gut!“, hatte ihre Mutter

langsam gesagt. „für den Posten eines Vollziehungsbeamten… eines zukünftigen Marschalls!“ „Oh… das ist dann aber verdammt gut!“ "Mam!" "Tschuldigung Liebes..." „In Sun City…“ „Son... was? Wo zur Hölle liegt das denn?“ „In Kalifornien, am Meer!“ „Muss wohl so ein vorsintflutliches Provinzkaff mit knapp einer Handvoll Einwohner sein.“ „Fast 5 Millionen…“ Was hätte sie in diesem Augenblick dafür gegeben, den Gesichtsausdruck

ihrer Mutter auf einen Datenträger verewigen zu können. Sie hatte die Nachricht immer noch nicht richtig verdaut. Langsam öffnete sie wieder die Augen. Tja, wenn das kein Beweis dafür war - ein solches Detail wie dieses Gekritzel einfach so zu übersehen, konnte in ihrem Job tödlich sein. Obwohl… sie hätte wirklich schwören können, dass es zuvor nicht da gewesen war. Nachdenklich fuhr sie über die Schrift. Da war wer mit einem Kugelschreiber am Werk gewesen. Aber schon vor einiger Zeit, denn vereinzelte Buchstaben wirkten bereits

abgegriffen. Es war ihr ein Rätsel, wie sie diese Inschrift hatte übersehen können… Wer auch immer für das Gekritzelte verantwortlich war, dieses Mal hatte er es komplett verbockt. Es hieß nie und nimmer: Divided we already fell… United we will stand! Das hatte sie anders in Erinnerung. Das brabbelnde, unregelmäßige Röhren einer Harley lenkte sie ab. Als sie zur Straße hinunter blickte, überholte gerade ein Chopper den Greyhound. Der Fahrer, der eine dunkle Lederjacke mit gesteppten Schulter- und Ärmelpartien sowie schwarze Lederhosen

und auffällige Bikerstiefel trug, blickte kurz hoch. Auch mit seiner dunklen Sonnenbrille hatte er mit seinem silberblonden Haar und den markanten aber attraktiven Gesichtszügen etwas Faszinierendes an sich. Es schien sogar, als habe er ebenfalls spitz endende Ohren… Dann schickte der Mann noch einen Gruß in Richtung der Passagiere und beschleunigte die Maschine. Augenblicklich war die klassische Harley Davidson verschwunden. Sie seufzte schwer. Kurz lief ihre Fantasie Amok bei der Vorstellung dessen, was gewesen wäre, wenn sie genau diesen Mann vor dem

Besteigen des Busses kennen gelernt hätte. Hätte sie sich getraut… sich auf ein Abenteuer ein- und alle Verpflichtungen hinter sich zu lassen? Sie gab sich kurz dem Gedankenspiel hin. Wie gerne würde sie tauschen… ein hundertprozentig sorgenfreies Leben. Das war für sie wirkliche Freiheit - zu tun und zu lassen, was man wollte. Ein Lächeln verirrte sich schließlich auf ihre Lippen. Und beim ersten Gedanken an ihre Mutter - wäre sie wohl in ihr geordnetes Leben zurück geflüchtet. Lustlos fuhr sie mit dem Finger über ihr

Lumia 2520 und erweckte das Tablet zum Leben. Wieso bloß hatte man sie aus New York hierher ans andere Ende der Welt beordert? Zwar sollte wohl das Wetter an der Westküste angenehmer und milder sein… Aber was war mit den Sturmfluten und den Waldbränden... und erst mit den Erdbeben? Und wieso musste es so weit weg von ihren Eltern sein? Dazu kam noch, dass sie absolut niemanden hier kannte, in dieser seltsamen Stadt, von der kaum einer wirklich etwas Brauchbares zu erzählen wusste. Selbst das Internet war nicht

gerade auskunftsfreudig gewesen. Und GOOGLE hatte Sun City anfänglich sogar mit dem Pantheon der ägyptischen Götter verwechselt… Aber auch das wenige, das sie in Erfahrung hatte bringen können, war nicht gerade beruhigend: Vor einigen Jahren war in Sun City - wegen nicht näher ergründbaren, außergewöhnlichen Zwischenfällen - eine spezielle Abteilung zur Unterstützung der normalen Polizei gegründet worden, die man damals ADP taufte - die ADVANCED DEFENSE POLICE. Augenscheinlich baute sich diese eine wirklich ansehnliche Reputation auf und gewann nicht nur das Vertrauen der

Bürger, sondern half auch das allgemeine Sicherheitsempfinden nachhaltig zu verbessern. Bis vor knapp einem Jahr, bei gewalttätigen, mehrtägigen Bürgerunruhen - deren Ursache sie einfach nicht hatte herausfinden können - die ADP fast vollständig aufgerieben wurde. Während diesem Ereignis, das man heutzutage euphemistisch die ‚Night of War‘ nannte, gab es über fünfzig Tote - darunter hauptsächlich Zivilisten, aber auch das komplette Ermittlungsteam der ADP. Interessanterweise wurde bei der Aufarbeitung der Ursachen dieser

‚Kriegsnacht‘ die reguläre Polizei wegen eines Korruptionsskandales bisher nicht nachvollziehbaren Ausmaßes aufgelöst. Infolgedessen erlebte das Department of Public Safety Sun Citys eine komplette und totale Neustrukturierung. Hierbei wurde die ADP erneut ins Leben gerufen, aber als Behörde des Justizministeriums und ausgestattet mit weitreichenderen Vollmachten. Dieses Mal fahndeten nicht mehr simple Polizisten für diese Spezialabteilung, sondern ausgewiesene Marschalls. Nur der Name ADP blieb unverändert, da er sich nicht nur etabliert hatte, sondern nach der ‚Night of War‘ für die Bevölkerung Sun Citys sogar an Ansehen

gewonnen hatte. Unzählige Augenzeugen berichteten unabhängig voneinander, dass sich damals die ADP opferte, um einige Unschuldige zu beschützen - nachdem sich die reguläre Polizei, die Wunden leckend, zurückgezogen hatte… So war es gekommen, dass sich heutzutage in dieser heimeligen Stadt die NCP und die ADP unabhängig voneinander die polizeilichen Dienste teilten, wobei NCP für 'New City Police' stand, obwohl die meisten Bewohner NCP mit 'Night City Police' oder dem auf der Straße gebräuchlicherem 'No Class People' übersetzen… Die erstmals komplett unabhängige Advanced Defense Police wurde dafür im

neu errichteten ADP-Gebäude (allgemein in den Straßen als ‚Wartower‘ bekannt) an der 5th Avenue einquartiert und teilte sich in eine Alpha- und Omega-Abteilung auf. Erstere bestand aus einer eigenen Einheit für Spurensicherung und Forensik sowie den ‚Deputy Marshals‘ - und war für die Untersuchung und Aufklärung außergewöhnlicher, möglicherweise sogar paranormaler Ereignisse zuständig. "Papperlapapp!" murmelte sie. Es war schon ziemlich klar, weswegen das Wort ‘paranormal‘ kursiv geschrieben worden war. Ein ‚unerklärlich‘ oder ‚unaufgeklärt‘ machte sich nun mal sehr schlecht in

einem öffentliche Text über das Justizministerium. Die Omega-Abteilung umfasste dafür die Fahrbereitschaft, welche auch zur Unterstützung der anderen Dienststellen ausrücken konnte, jedoch jeweils nur mit Genehmigung des ‚Chief Deputy Marshals‘ der ADP - eines gewissen Moses Falk. Und genau dieser Moses Falk hatte es fertig gebracht, dass eine ehrgeizige, zukünftige Staatsdienerin – welche sich eigentlich auf ihren Dienst beim NYPD gefreut hatte - schnurstracks der Alpha-Abteilung von Sun City zugeordnet worden

war. … Wieso musste es gerade sie sein? Es leuchtete ihr zwar ein, dass man nach den bisherigen Ereignisse niemanden aus Kalifornien selbst rekrutieren konnte. Aber so wie sie das System kannte, hatte dieser Moses, um sie zu kriegen, in Washington wohl einiges an Porzellan zerdeppern müssen - wenn man ihm dermaßen entgegen gekommen war. Vielleicht aus Schuldbewusstsein gegenüber der ADP? Oder war er wirklich so einflussreich? Wer war der Kerl überhaupt? Nachdenklich betrachtete sie das Portrait eines braunhaarigen, unrasierten Mannes,

der eine Augenklappe über dem linken Auge trug. Er hatte den stechenden Blick eines Falken… und eine eiserne Entschlossenheit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Irgendwie traute sie es ihm blind zu, ohne ersichtlichen Grund eine Getränkedose zerkauen und möglicherweise sogar schlucken zu können. Als Vorgesetzter musste er wohl eine echte Landplage sein. Aber trotz der Vitalität und Dynamik, die der Mann ausstrahlte, wirkten seine auffällig weißen Schläfen für sie ziemlich abschreckend. Der Kerl ging wohl so gegen die fünfzig. Und damit war er eindeutig zu alt für

sie… Tja, so interessant er auch wirken mochte - er hatte für sie persönlich höchstens den Charme einer imponierenden Vaterfigur. Was ja auch nicht gerade schlecht war, da er ja ihr zukünftiger Chef sein würde… Plus eins für den Job, minus hundert für mein privates, soziales und sexuelles Leben, notierte sie sich in Gedanken. Wobei sie sofort die Überlegung verwarf, dass er vielleicht ihr leiblicher Vater sein könnte, da ihre biologischen Erzeuger immer noch unbekannt waren. Wie mochte eigentlich das restliche Team der Alpha-Abteilung

ausfallen? Zwischen den Zeilen hatte es so geklungen, dass es sich bei den Marschalls ausschließlich um Männer handeln musste - hoffentlich waren sie jünger als ihr Chef. Irgendwie hoffte sie insgeheim, dass ihre Mutter Recht behalten würde, als sie ihr mit einem Augenzwinkern zugesichert hatte, dass sie hier wohl den Mann ihrer Träume finden würde. Dann hätte sie für ihre Zukunft ausgesorgt - und es waren nicht einmal simple Bullen, wie Papa immer befürchtet hatte, sondern alles waschechte Deputy Marshals. Technisch gesehen, würde sie das wohl

auch einmal sein... Hatte sie denn wirklich so brillant abgeschlossen? Na ja, ihr war schon immer bewusst gewesen, dass sie alle Ausbilder früher oder später um den Finger gewickelt hatte. Manchmal war es schon fast unheimlich, wie sehr die Leute nur nach Äußerlichkeiten urteilten und in ihr bloß eine leichte Beute sahen, die man für ein paar Gefälligkeiten spielend in die Horizontale kriegte. Aber sie hatte auch verdammt hart dafür gebüffelt, denn nicht umsonst war sie in den sieben Prüfungen im FLETC nie unter 95% gewesen, drei Mal sogar über

99%. Sie musste schmunzeln. Eigentlich verdankte sie den Erfolg einer gewissen Mirax Terrik, als sie für den Abschluss ihrer Ausbildung ins Federal Law Enforcement Training Center - das FLETC, wie man es offiziell nannte - nach Glynco im Glynn County, Georgia gekommen war. Mirax war zwar auf Wunsch ihrer Familie nach Glynco gegangen, hatte aber gegen deren ausdrücklichen Willen nicht eine militärische Ausbildung eingeschlagen, sondern war zur ‚Polizei‘ gewechselt. Wie sie immer betonte, weil sie sich zum ‚schützen‘ berufen fühlte… und nicht zum ‚zerstören‘. An dieser

dunkelhäutigen, durchgeknallten Halbitakerin war dennoch eine wahrhaftige Kriegerin verloren gegangen. In den knapp fünf Monaten, die sie als anfängliche Zimmergenossinnen zusammen verbrachten, hatten sie als Duo Infernale das Trainingscamp wirklich aufgemischt. Sie seufzte schwer. Wie sehr vermisste sie diese Zeit. Obwohl es eigentlich nur im Nachhinein eine angenehme Erinnerung war; allein die 1,5 Meilen in unter 10 Minuten zu schaffen hatte ihr damals ein Seitenstechen eingebracht, das sie fast eine Woche lang nicht mehr los wurde.

Und die Folgen der knapp über 50 Liegestütze und Rumpfbeugen glaubte sie sogar heute noch ansatzweise zu spüren… Mirax allerdings hatte damals sagenhafte 95 Liegestütze hingelegt und damit sogar die männlichen Teilnehmer beschämt. Wie hieß es doch bei ihr immer: „Io sarò solo una donna… ma voi siete bambini!“ Was wohl aus ihr geworden war? … Es schien, dass es sich doch ausgezahlt hatte, zu den Besten zu gehören. Symbolisch streckte sie den Daumen hoch. Mirax - dachte sie sich dabei – und erneut hattest du Recht. Auch

diesmal schulde ich dir eine... Der Greyhound bremste stark ab. Als sie aufsah, befand sich der Bus gerade auf der Hängebrücke über der Coronado Bay. Auch auf den anderen Fahrbahnen verlangsamten die Fahrzeuge ihre Fahrt. Dann kamen sie endgültig zum Stehen. Schien so, als gebe es auch hier einen allabendlichen Verkehrsstau… so ganz anders war Sun City wohl auch nicht. Schließlich erstarb der Motor des Greyhounds. Unschlüssig blickte sie den Gang hinunter nach vorne. Oder doch? Während die Fahrzeugkolonne nach

hinten immer weiter wuchs, war jetzt von vorne vereinzeltes Gehupe zu hören. Und auch Sirenengeheul. Ein Unfall? Sie schüttelte den Kopf. Das musste ja wohl so kommen. Irgendwie gehörte es sich in ihrem Leben, dass alle größeren Unternehmungen mit einem Fiasko begannen… Augenblicklich spürte sie ihre körperliche Erschöpfung extrem. Obwohl sie durchgehend komfortabel gereist war, war es ein verdammt langer Weg hierher gewesen. Und das hatte nur schon damit begonnen, dass einfach kein Flugticket mehr für den Sun City

Metropolitan Flughafen aufzutreiben gewesen war. Der nächste freie Flug wäre erst in einer Woche gewesen. Hoffentlich kam sie wenigstens noch heute ins Bett. Obwohl, wenn sie ihr Glück in solchen Sachen bedachte… Während sich inzwischen der Busfahrer über Lautsprecher für den unerwarteten Zwischenstopp entschuldigte, fuhr gut hörbar die vordere Wagentür auf und jemand stieg ein. Mal sehen, was hier die Stadtbetriebe für Entschuldigungen bereit hatten - wenn es nicht sogar hieß, dass sie einige Stunden im Fahrzeug zuwarten müssten. Aber vielleicht erfuhr sie mehr über den

Unfall. Eine imposante Männerstimme erklang. „Trainee Mirax Maria Terrik!“ Weiter vorne sprang eine dunkel-, fast schwarzhäutige Person auf und salutierte. Mirax war hier? Jetzt war sie baff. Sie hätte vielleicht doch besser auf die anderen Passagiere achten müssen - auch auf jene, die nach ihr in den Greyhound gestiegen waren. Aber sie war so in Gedanken versunken gewesen - machte sich nicht gerade gut für einen zukünftigen Marshall... Aber was suchte diese Halbitakerin hier in Sun

City? Nicht, dass sie gerade unglücklich darüber gewesen wäre. Das war jetzt zumindest ein Glücksfall - dachte sie, als sie ihren erdbeerroten Tablet-PC ausschaltete und in ihrem Rucksack verstaute. Mal sehen, ob sie irgendwie Mirax auf sich aufmerksam machen konnte. Die Stimme erklang ein zweites Mal. „Trainee Tabitha Shania Llewellyn!“ Sie erstarrte in der Bewegung. Doch erst als es ihr eiskalt den Rücken hinab lief, realisierte sie endlich, wer überhaupt gemeint war. Instinktiv schoss sie hoch. „Anwesend,

Sir!“ Verunsichert starrte sie den Ursprung der imposanten Männerstimme an. Das war er? Das Haar, die Schläfen, wie auch die Augenklappe stimmten zwar perfekt… ebenso der durchdringende Raubvogelblick. Aber dennoch hatte sie sich Moses Falk irgendwie... einiges... größer vorgestellt. Der Mann wirkte zwar wuchtig und hatte eine beeindruckende, wenn nicht sogar schon einschüchternde Erscheinung - aber er war trotzdem höchstens eins sechzig groß. Sie würde auf ihren Chef runterblicken

müssen? Während sich jetzt völlig verwundert Mirax mit einem breiten Grinsen zu ihr umdrehte, verließ Moses bereits den Greyhound. „Mitkommen!“, befahl er beiden, "das Gepäck bleibt hier!" Rasch folgten sie. "Siehst du, Mama, ich hatte recht," hörte Tabitha leise den Jungen mit dem Vollmondgesicht sagen, "er hat einen von Gimlis Brüdern geschickt, um sie zu holen!" Als sie am Sitzplatz ihrer ehemaligen Kollegin vorbei kam, erblickte sie auch hier das Zitat auf der Rückenlehne vor dem leeren

Sitz: Divided we already fell… United we will stand! So einzigartig waren diese Kritzeleien wohl doch nicht. Zwar fühlte sie sich darüber kurz erleichtert, aber das Gefühl verflüchtigte sich rasch, als sie im Hinausgehen den Blick über die anderen Rückenlehnen gleiten ließ. Denn seltsamerweise fand sie es an keinem anderen Sitzplatz sonst… Es fröstelte sie, als eine frische Meeresbrise den salzigen Gruß eines unruhigen Pazifiks heran trug. Kurz glaubte sie, unterschwellig einen bizarren süßlich- metallischen Geruch

nach überreifen Bananen wahrzunehmen. War das nicht Verwesungsgeruch? Dann vermischte sich das Ganze mit den Abgasen der Fahrzeuge auf der Brücke und den tausendundeinen Gerüchen Sun Citys und wirkte plötzlich nicht mehr so fremd - irgendwie sogar vertraut und nicht viel anders als in New York. Plötzlich spürte Tabitha ein unangenehmes Prickeln auf der Haut und einen Herzschlag lang erfüllte sie das überwältigende und einzigartige Gefühl, endlich ihre wahre Heimat gefunden zu haben. Es fühlte sich absolut falsch an. „Papperlapapp!“ murmelte sie unwirsch und sah sich nachdenklich

um. Mirax starrte sie entgeistert an. „Hast du das auch gespürt?" Die schwarzhaarige Halbitalienerin mit den dunklen, fast schon schwarzen Augen, die einen modischen, dunkelblauen Hosenanzug mit dazugehörigem Blazer trug, nickte. "Warst du schon mal hier?" Mirax schüttelte entschieden den Kopf. "Auch wenn mein Bauchgefühl gerade etwas anderes behauptet!" "Bei mir auch...", nickte Tabitha langsam. Erst jetzt bemerkten die beiden einen Uniformierten, der lauthals rufend zwischen den Fahrzeugen zu ihnen her

gerannt kam. Er schrie dabei irgendetwas von ‚extrem gefährlich‘ und das man unbedingt im Wagen bleiben sollte, wenn man nicht leichtsinnig sein Leben aufs Spiel setzen wollte. Der genaue Wortlaut ging zwar im allgemeinen Verkehrslärm und dem nun zunehmenden Gehupe unter, aber er schien es ziemlich ernst zu meinen. Doch noch bevor jemand reagieren konnte, stellte sich ihm Moses Falk in den Weg. „Das sind Mitglieder der ADP! Meine Leute!“ Der Polizist nickte nur und verschwand ohne ein weiteres Wort. Dann drehte sich Moses zu seinen zukünftigen Mitarbeiterinnen herum und

übergab ihnen jeweils ein kleines Bündel. Mirax und Tabitha nahmen eine Glock 19 im Sicherheitsholster und die Dienstmarke der ADP wie auch einen dazugehörigen Polizeistern entgegen, der einem klassischen Sheriffstern aus der Wildwest-Ära zum Verwechseln ähnlich war. Tabitha fixierte letzteren an ihrer Lederjacke, schnallte sich dann den Oberschenkelholster um und überprüfte kurz die mattschwarze, knapp ein Kilo schwere Dienstpistole. Erfreulicherweise besaß diese Kompensatorschlitze auf der Verschlussoberseite… und ein volles 15-Schuss-Magazin. „Tut mir wirklich leid,“ begann Moses,

„dass wir uns unter diesen Umständen treffen… und die ‚offizielle‘ Begrüßung so kläglich ausfällt. Aber das werden wir dann schon gebührlich im Wartower nachholen.“ Ihr fiel auf, dass ihr zukünftiger Chef scheinbar auch im Dienst Schmuck trug. Zumindest entdeckte sie einen schlichten, mattgrauen Ankh-Anhänger um seinen Hals - möglicherweise aus Titan. „Aber im Moment brauche ich euch wirklich!“, fuhr Moses fort, „denn keiner vom restlichen Alpha-Team kann es noch rechtzeitig hierher schaffen. Und die NCP ist wie immer komplett

überfordert!“ „Sir…“ meldete sich Mirax zu Wort, „sind wir überhaupt qualifiziert für einen solchen Einsatz?“ Entgegen aller Erwartungen grinste der Mann mit der Augenklappe von einem Ohr zum anderen. „Wenn nicht ihr, wer dann?“ Ratlos sahen ihn Tabitha und Mirax an. „Ich brauche jemand, der nicht wie die NCP sofort das Feuer auf jeden Verdächtigen eröffnet, der ihm schräg ins Blickfeld torkelt. Ist das verständlicher?“ Beide nickten. „Es handelt sich nur um eine simple Festnahme. Standardprozedur

sozusagen!“ Moses zögerte. „Doch wenn's nicht anders geht… haltet ihn einfach in Schach... oder zumindest unter Beobachtung, bis ich mit brauchbarer Verstärkung da bin!“ Dann räusperte er sich. „Der Verdächtige ist unschuldig, steht aber momentan unter massivem Medikamenteneinfluss und wird sich deswegen seiner Handlungen nicht wirklich bewusst sein. Wie ihr euch sicherlich denken könnt, ist er mehr oder weniger für das momentane Verkehrschaos auf der Coronado-Brücke verantwortlich; der Krankenwagen der ihn transportierte, hatte einen Unfall.

Hauptsächlich, weil die meisten Leute hier in Sun City inzwischen panisch auf, nun ja, Menschen wie ihn reagieren. Obwohl eine solche Reaktion realistisch gesehen komplett unbegründet ist.“ Er fixierte sie mit seinem gesunden Auge derart, dass sie sich einen Augenblicklich lang wie hilflose Beute vorkamen. „Ich brauche deswegen jemanden, der mit klarem Verstand an die Sache geht und nicht gleich die Panik kriegt, wenn wer ein wenig auffällig aussieht… oder diesen zu Klump schießt, falls er bedrohlich grunzt…“ „Ist er bewaffnet?“ hakte Tabitha

nach. „Negativ!“ „Gefährlich?“ „Negativ… aber er kann dennoch ziemlich irrational reagieren, wenn man ihn in die Enge treibt oder bedroht. Versucht mit ihm ruhig und logisch zu argumentieren. Soweit ich weiß, sollten die Auswirkungen nur physisch sein, nicht psychisch. Dann sollte es euch problemlos gelingen, ihn dazu zu bringen, sich zu stellen - bevor er noch von einem dieser schießwütigen NCP’s massakriert wird! Denkt an eure Ausbildung. Der Kerl ist mehr verängstigt als bedrohlich und will sehr wahrscheinlich einfach nur von hier weg.

Verstanden?“ Beide nickten, trotz ihrer Zweifel. Denn instinktiv ahnten sie, dass hier etwas nicht stimmte und vermuteten, dass ihr zukünftiger Chef ihnen nicht alles gesagt hatte… Aber dies war nun einmal ihr Job, und vor allem war es ihr zukünftiger Vorgesetzter, der jetzt zu ihnen sprach - und der ihnen scheinbar blind eher vertraute als der hiesigen Polizei. Tabitha machte sich eine geistige Notiz, dass sie in Sun City die NCP wohl wirklich nur dann rufen sollte, wenn alle anderen Alternativen ausgeschöpft wären… also praktisch nie. Des weiteren hatte Moses Falk - im

Gegensatz zu jeder Person der sie jemals zuvor begegnet war, eine Ausstrahlung, in der etwas Undefinierbares, Furchteinflößendes mitschwang. Als müsste man um seine Seele bangen, sollte man ihn verärgern… Keine von Beiden wagte auch nur den Hauch eines Widerwortes. Überraschenderweise klang er jedoch trotzdem nicht wie der erwartete, knallharte Chef. Eher schon fast väterlich, besorgt - und man nahm ihm dabei die Verlegenheit voll ab, auf Trainees zurückgreifen zu müssen. Vielleicht war er aber auch nur ein verdammt guter Schauspieler. „Wie erkennen wir ihn?“, meldete sich

Mirax erneut zu Wort. Moses setzte jetzt ein Grinsen auf, das beiden eine Gänsehaut verursachte. „Glaubt mir, sobald ihr ihn seht, werdet ihr wissen, dass er es ist! Es hieß von den behandelnden Ärzte, dass er an einer abnormalen, subdermalen Deformation leide, die eine unerklärliche, aber extrem rapide Anlagerung von Kalzium und verschiedenen Mineralien zur Folge habe.Soll einen extrem seltene Form des Münchmeyer-Syndroms sein oder so..." Er zuckte verloren mit den Schultern. "Kurz… es soll scheinbar so aussehen, als versteinere sich seine Haut! Fragt mich bitte nicht, wie das möglich sein soll. Ich weiß nur, dass wenn in Sun

City die hochgelobte Ärzteschaft wieder einmal pfuscht, für die ADP Überstunden angesagt sind!" "Sollte man in solchen Fällen nicht die betreffenden Ärzte einbuchten können?" fragte Tabitha. "Nun, leider...", wandte sich ihr zukünftiger Chef ihr zu. „Die Gesetzgebung…“ Mirax griff sich nachdenklich ans Kinn. "Sir, hat sich die ADP schon mal überlegt, für solche Fälle den mittelalterlichen Pranger für diese Ärzte einzuführen?", meinte sie staubtrocken. Einen Moment lang starrte Moses Falk sie einfach nur sprachlos an. Dann stahl sich ein charismatisches

Lächeln auf seine Lippen und er kicherte leise. "Das ist... ist... der allererste juristisch vernünftige Vorschlag, den ich seit Ewigkeiten höre..." Seine Miene erhellte sich sichtlich, und etwas von der vorherigen Verbissenheit verschwand aus seinem Gesicht. "Und wisst ihr was... je länger ich darüber nachdenke, desto mehr begeistert mich diese Idee!" Er lachte laut auf - und allen war klar, dass nun endgültig das Eis gebrochen war. "Danke! das habe ich jetzt wirklich gebraucht... aber jetzt los. Wir haben trotz allem wirklich keine Zeit mehr! Nach dem letzten Funkspruch der NCP

ist er zuletzt bei dem Tanklastwagen dort vorne gesehen worden!“ Er warf einen Blick auf die Blancpain an seinem Handgelenk. „Ich informiere unterdessen die NCP offiziell über euch und folge so schnell wie möglich mit Verstärkung!“ Als sich Tabitha in die gezeigte Richtung umdrehte, sah Mirax sie schräg von der Seite an. „Na, Spitzohr… wie ist es dir eigentlich ergangen?“ „Das fragst gerade du, du Halbblut?“ Grinsend strahlten sie sich an. Dann folgte eine kurze, aber heftige Begrüßung, in der sie sich zuerst in den Armen lagen, um sich dann ausgiebig gegenseitig zu mustern. Die Gefühle

waren überwältigend. Und es tat augenblicklich so unendlich gut, an diesem seltsamen und fremden Ort mit einer derart vertrauten Seele zusammen zu sein. Für einige Herzschläge war ihnen, als stünde die Zeit still – als wären sie seit ihrer Zeit im Trainingscamp nie wirklich getrennt gewesen. Dabei hatte Tabitha so viel zu erzählen… und war völlig gespannt auf Neuigkeiten von Mirax und ihren faszinierenden Brüder. Doch noch bevor eine von ihnen etwas sagen konnte, räusperte sich Moses laut. „Es ist wirklich erfreulich, dass ihr euch bereits so gut kennt… aber wie wäre

es…“ Beide Frauen brachen sofort in Richtung des besagten Lkw’s auf. „Passt bitte auf euch auf!“ rief ihnen Moses noch nach, „es waren leider keine Panzerwesten mehr für euch übrig!“ Tabitha warf ihm dafür einen bösen Blick zu, als ihr aus den Augenwinkeln auffiel, dass Mirax etwas Merkwürdiges am oder um den Kopf herum besaß. Etwas, das ziemlich präzise wie Hörner aussah… wie die imposanten Hörner von Mufflons. Instinktiv fuhr Tabitha zu ihrer ehemaligen Zimmergenossin herum, doch da war nichts - schien auch nie gewesen zu sein. Keine Hörner, nichts

Unnatürliches… vielleicht mit Ausnahme der extrem dunklen Haut- und Augenfarbe. Aber das war nun mal Mirax Terrik. Außer, dass sie sie zum ersten Mal dezent geschminkt erlebte. „Was ist?“ „Ich…“ Tabitha fuchtelte neben ihren Ohren am Kopf herum, „du weißt schon… ist schon wieder passiert…“ Ihre Begleiterin grinste bloß und tauschte mit ihr ihren althergebrachten, komplexen Freundschaftsgruß aus, den sie sich im Laufe ihrer Zeit im FLETC erarbeitet hatten. „Siehst immer noch Dinge, die es nicht gibt… eh? Wie in den guten, alten Zeiten!“ „Ja, ist immer noch irritierend. Aber im

Moment tut es wenigstens irgendwie gut…“ Schüsse erklangen aus der Richtung des Tanklastwagens. Augenblicklich war alles Private vergessen – jetzt zählte nur noch der Moment. Ohne zu zögern, mit lange antrainierter Professionalität, hetzten sie in Richtung der Schüsse los - um nach etwa hundert Metern am Ort des Geschehens einen völlig aufgelösten, jungen Polizisten vorzufinden, der zuerst erschrocken vor ihnen zurückwich, sich aber schließlich seiner Aufgabe besann und sie erschöpft aufforderte, den Ort zu verlassen. Beide hielten ihm ihren Stern

entgegen. „Gott sei Dank…“ Erleichtert atmete der Mann auf, als er gegen einen grasgrünen Ford Explorer zurück stolperte und zitternd seine Dienstwaffe einsteckte. „Was ist passiert?“ fragte Tabitha. „E-es tauchte vor mir aus dem Boden hervor… i-ich habe… das Ding lebt! Und Kugeln machen ihm nichts… e- es…“ Tabitha legte dem verängstigten Polizisten beruhigend die Hände auf den zitternden Arm, als Mirax entschlossen vortrat. „In welcher Richtung ist es gegangen?“ „Es floh… tauchte unter dem Lkw in

Richtung der Zugmaschine weg!“ "Klingt nicht nach versteinern...", meinte Tabitha. "Vielleicht ist er ein Mutant?" "Senator noch dazu und heißt Kelly? Echt?" Sie sah ihre Begleiterin ernst an. "Cosa ora?, wie du immer zu sagen pflegst." "Mein Stichwort wohl…" Mirax zuckte mit den Schultern. „Teilen wir uns auf!“ „Hältst du das wirklich für eine gute Idee?“ „Ich sorge schon dafür, dass dir die bösen Buben nichts tun…“, die knapp 1,75 Meter große Frau zwinkerte ihr zu. „I cattivi per me! Erinnerst du dich noch an die Übungen mit den Squatter? Ich

gehe links um den Truck herum und du rechts. Vorne nehme wir ihn dann in die Zange!“ Sie überprüfte nochmals ihre Waffe. „Kontrollier dabei auch die Unterseite des Fahrzeugs auf deiner Seite. Vielleicht ist er doch nicht so schnell im Kriechen… wenn Moses Recht hatte, kann es sein, dass er eine einzelne Person nicht direkt als Bedrohung empfindet. Nicht vergessen, er ist nur krank!" "Was glaubst du, ist es ansteckend?" Mirax warf Tabitha einen bösen Blick zu, ging aber auf den Kommentar nicht ein. "Wer also als Zweite kommt, hält sich im

Hintergrund!“ Tabitha nickte zustimmend. „Und ich?“, wollte der angeschlagene Polizist wissen. „Gehen Sie zu Ihren Kollegen bei dem Greyhound da hinten. Dort sind Sie auch in Sicherheit!“ „Danke!“ murmelte er und verschwand. Als sich Tabitha umdrehte, war auch Mirax schon verschwunden. Wie in den guten alten Zeiten… Vorsichtig machte sie sich nun daran, den Anhänger des Lastkraftwagens zu umrunden. Nachdem sie die Straße darunter gecheckt hatte, warf sie einen prüfenden Blick auf den metallischen Ladetank.

Obwohl der Inhalt nicht als Gefahrgut deklariert war, schien es sich dabei aber trotzdem um Chemikalien zu handeln. Irgendwie überraschte es sie nicht, dass es sich um einen von Neo GenXs Transportern handelte. Scheinbar galten für diese in Sun City besondere Ausnahmen, allerdings war es auch möglich, dass der Lkw nur bis in den alten Hafen hinein fuhr. Irgendwo hatte sie gelesen, dass dieser vor kurzem vom Konzern aufgekauft worden war und nun stückchenweise saniert wurde. Hauptsächlich, um neuen Lagerplatz zu schaffen. Ein Blick auf die Kennzeichnungsplakette brachte ihr auch

nicht viel. (R)-2-[(Diphenylmethyl)sulfinyl]acetamid stand da, was ihre Chemiekenntnisse vollkommen überstieg - und dabei handelte es sich um eines der kürzesten der angegebenen Inhaltsstoffe. Alles andere war noch viel verwurstelter und ließ sich nicht einmal mehr richtig lesen. Ihr behagte es nicht wirklich, hier neben diesem Fahrzeug eine bewaffnete Festnahme durchführen zu müssen. „Hey Nena! Que haces ahi?“ Der Ausspruch stammte von dem Fahrer eines auf der Nachbarspur stehenden, metallic-goldenen Buick Regals, der sich gerade weit aus dem Seitenfenster heraus lehnte. Unschlüssig fuhr sie zu dem

Latino herum, der bei ihrem Anblick zuerst riesige Augen machte und dann breit grinste. Dabei formulierten seine Lippen wahrscheinlich einige stumme Obszönitäten. Als er kurz zu seiner gelangweilten Begleiterin hinüber schielte, ging Tabitha rasch ihre spanischen Sprachkenntnisse durch. Als sich darauf der schwarzhaarige Bandanaträger ihr erneut zuwandte, legte sie bloß ihre Hand auf den Griff ihrer Glock und zeigte ihm ihren ADP-Stern. Der muskulöse Mann erbleichte sichtlich, nickte nur eingeschüchtert und versteckte sich im Wagen, während er rasch das Wagenfenster hochfahren ließ. Ein wenig erstaunt wandte sich Tabitha

von ihm in Richtung des Lkw-Fahrerhauses ab. Noch nie war es so einfach gewesen, einen dieser lästigen Machos abzuwimmeln... langsam fand sie Gefallen an diesem Stern. Und plötzlich stand sie ihm gegenüber. „Was zum…“ Der Mann war praktisch nackt, ihm hingen nur noch die Fetzen eines Pflegenachthemdes von einem unförmigen Hals, der entfernt an einen mittelalterlichen Stuartkragen erinnerte und er atmete mit einem knackenden, scheußlichen Geräusch. Sein ganzer Körper war von einer bizarren, erstarrten Kruste überzogen, die

splitterte und aufbrach, als wäre es die Rinde einer Birke - und sein linkes Bein wie auch seine rechte Hand waren übermäßig angeschwollen, sahen wie die Gliedmaßen eines Steingolems aus, wie sie üblicherweise in diesen langweiligen MMORPGs dargestellt wurden. Es war offensichtlich, dass diesem erbarmungswürdigen Geschöpf das Laufen Mühe machte und es von starken Schmerzen gepeinigt wurde. Ein Wunder, dass es sich überhaupt noch bewegen konnte. Verunsichert fragte sich Tabitha, wie man vor so etwas Angst haben konnte. Konnte man es denn überhaupt noch menschlich

nennen? War das vielleicht der Grund, weswegen man so wenig von dieser Stadt hörte? Wie kam es, dass man diese Dinge bisher hatten geheim halten können? Kurz schielte sie zwischen Fahrerhaus und Ladetank zum alles überragenden NG Tower mit seiner leuchtenden Engelsfigur hoch. Vielleicht hatte der blonde Junge im Greyhound doch irgendwie recht… nur dass sich hier das Auge als Engel tarnte… „Es ist alles in Ordnung, wir sind hier um Ihnen zu helfen!“, begann sie mit einer Stimme, die etwas faszinierend Beruhigendes an sich hatte. Doch gerade als sie auf den Mann

zugehen wollte, registrierte sie eine heftige Reaktion in seinem Gesicht, setzte ein überraschendes Mienenspiel ein - er freute sich. In seinen schon fast erloschenen Augen erwachte ein unheimliches Licht. „Ihr seid gekommen!“, donnerte ihr eine Stimme entgegen, die kaum verständlich war und wie das Bersten von Schiefer klang. „M-meinetwegen?“ Ein heftiger Ruck ging durch seinen Körper und splitterten an den Gelenken fingergroße Trümmer ab, als er hoffnungsvoll die Arme hob. „Erlöst mich… helft mir!“ Er sprach wie in Ekstase, wobei ihr war, als klangen seine Worte immer

verständlicher. Das kam sehr wahrscheinlich von den unförmigen Auswüchsen an seinem Hals. Je mehr er sich bemühte, umso mehr gelang es ihm wohl, den Druck abzubauen und normal sprechen zu können. Ein Wunder, dass er überhaupt noch am Leben war, überhaupt noch atmen konnte. „Beendet mein Leiden… befiehlt mir…“ Tabitha nahm die Hand nicht vom Griff ihrer Waffe, als die Stimme plötzlich menschlich klang. „Verlangt meine Knechtschaft! Nehmt mir den Schwur ab!“ Sie stolperte verwirrt einen Schritt zurück. Ihr brach der Schweiß aus. Wie ein Echo hallte der Satz der Kreatur

durch ihren Kopf. Das hatte sie doch schon mal gehört… erlebt… Während Tabitha mit einer absoluten Gewissheit - die praktisch übermenschlich war - wusste, dass sie weder diesem Geschöpf jemals in ihrem Leben begegnet war, noch eine Ahnung hatte, was das alles zu bedeuten hatte, hallte sein letzter Satz in ihren Erinnerungen nach. Als gehöre er zu einem dieser Momente, die sich unlöschbar in das Bewusstsein brannten. Ihm hatte der allererste Eid gegolten… „Bitte… nehmt mir den Schwur ab!“, wiederholte jetzt die Kreatur, während sie bedrohlich näher kam, das

geschwollene Bein mühsam nachziehend. Der Fuß tauchte kurz durch den Asphalt der Straße, als wäre dieser eine Flüssigkeit. Doch Tabitha bemerkte es gar nicht. Sie stand bloß wie gelähmt dort und war verwirrt. Das war wirklich das heftigste Déjà-vu, das sie jemals in ihrem Leben erlebt hatte. Obwohl… auch das allererste überhaupt… Wieso machte es ihr so sehr zu schaffen? Sie hatte schon vom ersten Augenblick an ein schlechtes Gefühl gehabt - schon damals, als ihr ihre Mutter das Schreiben aushändigte. Aber sie konnte sich doch an fast jeden

Augenblick ihres Lebens erinnern. Seit jenem verheerenden Hurrikan, in dem ihre Eltern sie als Baby aus den Fluten gerettet hatten. Absolut niemals hatte sie jemandem einen Schwur abgenommen. Sogar in der Schule hatte sie sich davor gehütet… Damit machte man keine Scherze. Wieso erinnerte sie sich jetzt plötzlich doch an einen, konnte ihn aber keinem Ereignis in ihrem Leben zuordnen? Ihrem jetzigen Leben… Es war in etwa so seltsam, wie das Gefühl, als sie aus dem Bus gestiegen war. Heftig kämpfte sie gegen die Verwirrung

an. Sie hatte doch einen Job und eine Verpflichtung, schon fast eine Berufung. Sollte sie das alles vergessen, nur weil sie zum ersten Mal in ihrem Leben ihren Erinnerungen nicht trauen konnte? "Papperlapapp!" Die Kreatur war schon bedrohlich nahe heran gekommen, als Tabitha entschlossen aufsah. „Hey Hässlicher, hier spielt die Musik!“ Mirax Terrik stand mit gezückter Waffe hinter dem Geschöpf. Mit einem furchterregenden Geräusch, das wie das Zermahlen von Knochen klang, fuhr die Kreatur abrupt herum und änderte die Richtung, ging jetzt

zielstrebig auf den Neuankömmling zu. „Ihr seid wirklich gekommen! Oooh… mein Herz frohlockt… ihr seid wahrhaftig hier!“ Auf Mirax fragenden Blick zuckte Tabitha bloß mit den Schultern, während sie vorsichtig der Kreatur folgte. Dann setzte diese wieder zu ihrem kryptischen Singsang an. „Helft mir… befiehlt mir… verlangt meine Knechtschaft!“ Sie flehte förmlich danach. „Nehmt mir den Schwur ab!“ Tabithas Nackenhaare stellten sich auf, und es schauderte sie, als sie jetzt in Mirax Gesichtsausdruck erkennen konnte, dass diese scheinbar auch ein Déjà-vu

erlebte. Es lag also nicht nur an ihr… Konnte es sein, dass unter all dem Material, das von dem Kranken vor ihr wie steinerne Fragmente abgesondert wurde, sich auch psychotrope Substanzen befanden, die über die Luft wirkten? Es handelte sich ziemlich sicher um die Medikamente, die zu seinem Zustand geführt hatten. Das ergab viel mehr Sinn als das Gefühl, sich an ein früheres Leben erinnern zu können… In dem Fall war er allerdings gefährlicher als angenommen. Und irgendwie konnte sie jetzt die Angst der NCP auch teilweise nachvollziehen. Sehr

wahrscheinlich hatte der junge Polizist von vorhin eine volle Ladung davon abbekommen. In dem Fall würde das mit dem Festnehmen ein Problem werden - aber vielleicht konnten sie ihn lange genug in Schach halten, bis Moses kam. Mirax schüttelte heftig den Kopf, als wolle sie etwas abstreifen, und streckte entschlossen die offene Handfläche vor. „Sofort stehenbleiben!“ Ihr Tonfall duldete keine Widerrede. Ehrfurchtsvoll erstarrte die Kreatur. Tabitha warf ihr einen schon fast beleidigten ‚Das-hätte-ich-auch-gekonnt‘ Blick zu. Dann sackte der Mann plötzlich in die

Knie. Ein Großteil seiner Haut prasselte zu Boden und zerbrach in kleinere Fragmente. „Herrin… meine Zeit läuft ab…“, sprach er nun, während er sich unter Qualen krümmte. In seinen Augen brannte tiefste Verzweiflung. „Ich bitte… befehlt es… seid nachsichtig… erlöst mich!“, flehte er mit schmerzerfüllter Miene. Seine Stimme klang wie die eines Sterbenden… „Was… was soll ich befehlen?“ Mirax blickte entgeistert zu Tabitha hinüber. „Oh…“, es schien, als lächle er nun, „ihr wollt mich prüfen! Ihr seid wahrlich meine Meisterin… doch dieses Mal

werde ich euch nicht enttäuschen… hört: Es soll mein Schicksal und meine Pflicht sein, dass ich euch bis zum Ende aller Zeiten diene!“ Seine Stimme wurde immer unverständlicher, war am Schluss nur noch ein Röcheln, als an einigen Stellen seines Körpers die bizarre, erstarrte Kruste scheinbar unkoordiniert zu wuchern begann und immer kompakter wurde. Er versteinerte vor ihren Augen. Das musste ein schrecklicher Tod sein. Für die Dauer eines langen Herzschlages sahen sich Tabitha und Mirax ratlos an. Dann begann diese instinktiv. „Stirb nicht… ich befehle es dir! Du willst mir dienen? Dann tue dies bis zum Ende aller

Zeiten! Es ist dein Schicksal und deine Pflicht!“ Die letzten Worte schrie sie förmlich. Dann erstarb das Wuchern der Haut. Der Mann vor ihnen erinnerte nun mehr an eine unförmige, absonderliche Statue als an ein ehemals lebendiges Wesen. Und seltsamerweise war ihnen, als herrsche trotz des Großstadtlärms um sie eine erschreckende Stille, dort, wo sie gerade standen. Unschlüssig kratzte sich Tabitha am Hinterkopf. Das war jetzt wirklich eine verschissene Art, einen neuen Job zu beginnen. Ein unnatürliches Knistern erklang von der knienden, versteinerten

Figur. Dann bröckelte ihre Fratze stückweise ab, bis darunter ein unerwartet menschliches Männergesicht zum Vorschein kam. In seiner Stimme klang eine unbeschreibliche Freude mit. „So sei es, meine Herrin! Auf das mein Schwur ewig und bindend sei!“ Die ganze Oberfläche seines versteinerten Körpers bekam Risse. Und während Tabitha und Mirax erschrocken zurückwichen, bröckelte alles von ihm herunter, kam darunter sein normaler, menschlicher Körper zum Vorschein. Als er schließlich in sich zusammen sackte, sprach er seine letzten Worte mit

großer Erleichterung. „Danke… ihr seid endlich gekommen… das Warten ist vorbei… ich werde immer euer treuer Diener sein…“ Dann blieb er bewusstlos zwischen den Trümmern liegen, die kurz zuvor noch seine Haut gewesen waren. Mirax stieß einige der Steintrümmer mit ihren schwarzen High Heels beiseite. „Das war jetzt das Kränkste, das ich in meinem bisherigen Leben erlebt habe… und ich hab schon einiges gesehen!“ Vorsichtig ging Tabitha vor dem nackten Mann in die Hocke und überprüfte seinen Puls. Er lebte noch, der Kreislauf schien stabil zu sein. Sie sah zu ihrer Kollegin hoch. „Aber

zumindest verstehe ich jetzt, weswegen man hier solche Angst vor diesen Dinger hat. Ich bin mir ziemlich sicher, dass hier einige psychoaktive Substanzen im Spiel waren. Sehr wahrscheinlich werden sie über dieses Zeug freigesetzt, das seine Haut bildete…“ „Du meinst, wir hätten uns das meiste davon nur eingebildet?“ „Was gäbe es für eine andere Erklärung?“ Bevor Mirax darauf antworten konnte, war Moses Falk endlich da. Er kämpfte sich gerade zwischen den Fahrzeugen durch, begleitet von einem Trupp Außerirdischer. Oder zumindest wirkte das SWAT-Team

in Chemieschutzanzügen so, das ihm folgte. Nur Moses trug keinen. Als Tabitha sich erhob und ihrer Begleiterin beim Anblick der SWAT-Einheit leicht den Ellbogen in die Seite stieß, schritt ihr zukünftiger Vorgesetzter zufrieden auf sie zu und streckte ihnen beide Daumen in die Höhe. „Das war wirklich hervorragend!“ Dann trat er zwischen beide und legte ihnen die Arme um die Taillen, grinste förmlich in Richtung des SWAT-Teams. Dessen Anführer zog irritiert die Schutzhaube ab. Moses Stimme troff vor Hohn. „Hier ist Ihr ausgebrochenes, schreckliches

Monster… der in Wirklichkeit bloß ein harmloser Buchhalter namens Samuel Jason Mason ist. Sieht mir ja verdammt bedrohlich aus…“ Er seufzte resigniert. „Kommt jetzt bitte endlich euren Pflichten nach und verhaftet ihn! Aber vor allem, überzeugt euch bitte selber. Denn ich glaube wirklich nicht, dass er in unsere Belange fällt…“ Er zwinkerte ihnen zu und drehte sich mit den beiden Trainees weg. „Ich hab jetzt wirklich besseres zu tun…“ Während Moses Tabitha und Mirax zurück zum Greyhound begleitete, sah er mit einem zufriedenen Lächeln hoch. „Wie ich schon sagte… verdammt gute

Arbeit! Und falls ich es anfänglich vergessen haben sollte… herzlichst willkommen in Sun City!“ Er seufzte schwer. „Wir holen jetzt euer Zeug und ich bringe euch zumindest mal in eure zukünftige Wohnung. Morgen können wir uns dann in aller Ruhe um alle nötigen Formalitäten und das Lob des restlichen Teams kümmern. Ich glaube, ihr habt euch jetzt eine Pause wirklich verdient!“ „Und eine Dusche…“, murmelte Tabitha. "Eine Frage hätte ich noch...", meinte Mirax. "Hatte dieser Samuel J. Mason eine masochistische Ader?" "Und wie! Er wurde einmal sogar deswegen aktenkundig

erpresst." "Das würde einiges erklären..." „Ist es hier immer so schräg?“, fragte anschließend Tabitha, während sie den Kopf schüttelte, um ihn mit Hilfe der frischen Meeresbrise endlich klar zu bekommen. Moses Falk schüttelte entschieden den Kopf. „Nein…“ Tabitha atmete erleichtert auf. "Die Fälle der ADP sind selten so harmlos und

unauffällig!" ---------------------------------------------- Langsam rollte die Harley Davidson 1990 Heritage Softail aus. Als der Motor endgültig erstarb, klappte der Fahrer, der eine dunkle Lederjacke, schwarze Lederhosen und auffällige Bikerstiefel trug, ihren Ständer aus und ließ sie darauf kippen. Er blieb jedoch auf der Maschine hocken. Nachdenklich sah sich Connor Rhys Maxwell um, als er seine Brille abnahm und

einsteckte. Sun Citys El Coronado hatte wahrlich bessere Zeiten erlebt. Es kam ihm vor, als hätte der Rest der Stadt dieses Viertel bereits vor Jahrzehnte aufgegeben oder inzwischen sogar schon vergessen. Es stank - was auf eine ineffektive, sehr wahrscheinlich kaum vorhandene Müllabfuhr schließen ließ, denn überall stapelte sich der Abfall. Die meisten Häuser waren in einem besorgniserregenden, desolaten Zustand. Kein Gebäude, an dem nicht Risse zu sehen waren, die Fassade nicht herunter bröckelte oder sogar schon Löcher im Gemäuer klafften. Und alles war von

einem Meer schrill bunter Graffiti überzogen, die an einigen Stellen sogar bis zu den unansehnlichen Fußgängerwegen hinunter reichten. Bei einigen der Häuser war sich Connor nicht sicher, was diese noch zusammen hielt... das Gemäuer oder die unzähligen Schichten Graffitis. Manche von ihnen würden mit Sicherheit die nächsten Winterstürme nicht überstehen. So düster im Moment die Gebäude auch wirkten, so hell und schon fast blendend erhob sich dahinter die futuristische, imposante Silhouette der Corporate Plaza Hochhäuser in den Himmel - als würden sie höhnisch auf dieses sterbende

Quartier herunter blicken. Auch die Straßen schienen in einem ziemlich verwahrlosten Zustand zu sein und waren von Schlaglöchern übersät, wobei die meisten Verkehrszeichen fehlten oder übersprayt worden waren. Weiter vorne stand am Straßenrand sogar die komplett ausgebrannte Karkasse eines Autos. Schwer auszumachen, was es einmal für eine Marke gewesen war. Connor fand es ein wenig seltsam, dass schon zu solch früher Abendzeit so wenige Leute auf der Straße zu sehen waren, es überraschte ihn aber nicht. Dafür gingen jetzt in den meisten Häusern die Lichter

an. Schien hier normal zu sein. Er fuhr sich nachdenklich durch das silberblonde Haar. Wie es wohl für ein typisches Arbeiterquartier sein musste. Connor zog die Luft durch die Nase. Ganz schwach konnte er die faszinierenden Gerüche allerlei exotischer Gewürze und internationaler Speisen ausmachen, die im Moment zubereitet wurden. Und es handelte sich nicht nur um Paprika, Chili und Knoblauch, wie er erwartet hatte, sondern auch um Ingwer und Senföl. Irgendwo in der Nähe kam gerade am Kochherd Tandoori Masala zum Einsatz,

während er auch die für die Küche Ost- und Südostasiens typischen Fischsaucen wahrnehmen konnte. Dass alles passte perfekt in die Szenerie die sich ihm gerade bot. Es ließ sie noch eine Zeit lang auf sich einwirken, dann überprüfte er die Zeit und kramte unter seiner Jacke ein robustes Runbo X5 Handy hervor. Als er die Kontaktliste abrief, ging er direkt auf Falk, Moses. Mal sehen, wie es jetzt weiter gehen sollte… Plötzlich spürte Connor ein unangenehmes Kribbeln im Nacken. Unschlüssig sah er sich um, bis er ein wenig verunsichert an der Hausfassade

entlang hoch blickte, vor der er geparkt hatte. Seltsam, dieses Graffiti war ihm zuvor nicht aufgefallen - obwohl es riesig war. Aber irgendwie ergab es keinen Sinn ... In großen, schwarzen Lettern prangte hier: Here be dragons!

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Lobezno
Eigentlich ist es so wie es ein Landsmann von mir treffend beschrieb:

'Mit den Riesen habe ich keine Probleme; nur die Windmühlen machen mir echt zu schaffen!'

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EagleWriter Ich sag jetzt einfach mal . WOW. Das ist von Schreibstil, Rs und allem vielleicht eines der professionellsten Bücher, die mir hier auf MyStorys bisher untergekommen sind. Ziemlich viele Begriffe udn Abkürzungen, aber das passt richtig in die Geschichte rein. Wirklich einfach nur... gut, was soll ich da mehr zu sagen ^^
Hast du jemanden,der das ganze für dich Korrektur ließt und gegebenenfalls lektoriert oder ist das wirklich ,, frei Hand" ?

lg
E:W
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Lobezno Wow!
Herzlichsten Dank!
Bin froh, dass es gefällt.
Was das "frei Hand" betrifft, ich hab jemanden, der in der Freizeit die Texte mal wegen der Rechstschreibung durchgeht.

Danke nochmals für den aufbauenden Kommentar!
lg
Lobezno
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