,, Wissen ist Macht. Macht ist allerdings nicht zwangsweise Wissen.“ Carius VIII ,, Gedanken zur Herrschaft.“ Jaret folgte dem Zauberer die Stufen hinab. Erst bestanden diese noch aus dem gleichen Sandstein wie die über ihnen liegenden Palasträume. Bald wurde dieser aber durch einfachen behauenen Fels abgelöst, der hier und da von Fackeln beleuchtet
wurde. Scheinbar endlos führte der Weg abwärts in die tiefe. Der Palast selbst befand sich zwar auf einem Hügel ein gutes Stück über der restlichen Stadt gelegen, trotzdem mussten sie mittlerweile wohl schon weitaus tiefer hinab gestiegen sein als nur bis zur Stadtebene. Die Treppe mündete schließlich in einen hohen, relativ breiten Gang so dass man bequem stehen und sich bewegen konnte. Am Ende des kurzen Ganges befand sich eine schwere Tür aus dunklem Eichenholz, die locker in den grob in Form gemeißelten Stein eingelassen war. Einige Fackeln erhellten
alles. ,, Meine Quartiere befinden sich zwar oben im Palast, aber meine gesamte Forschung führe ich hier unten durch“ , erklärte Darelto während er die Tür aufzog und gleichzeitig das magische Licht in seiner Hand löschte. ,, Das ist meist.. sicherer so.“ Dahinter lag alles im Dunkeln. Der Zauberer trat, gefolgt von Jaret in den Raum und auf eine Handbewegung flammten ein halbes Dutzend Fackeln in Wandhalterungen auf, die Licht spendeten. Die Kammer selbst bestand unter anderem aus einem Bücherregal mit verstaubten Wälzern. Ein, soweit Jaret
das beurteilen konnte, gut ausgestattetes Alchemielabor nahm eine gesamte Seitenwand den Regal gegenüber ein. Glasflaschen in verschiedenen Farben reihten sich aneinander, teilwiese leer, teilweise mit ihm unbekannten Inhalt. Ein Destillierkolben dampfte über einer kleinen Kerzenflamme, die Ruben wohl ebenfalls entzündet hatte. Jaret wusste es nicht genau zu sagen, aber die langsam darin vor sich hin köchelnde Substanz erinnerte ihn zu sehr an Blut. In der Mitte des Raumes stand ein einfacher Steintisch. Darauf wiederum lag ein einziges Buch, das Jarets Blick sofort auf sich zog.
Der Einband war von tiefem schwarz und die Ecken mit abgenutzt wirkenden Goldplättchen beschlagen. ,, Setzt dich ruhig.“ Ruben deutete auf einen Stuhl der an der Wand lehnte. Jaret holte den Stuhl ohne zu zögern. Immer noch fasziniert und gleichzeitig ehrfürchtig sah er sich in der Kammer um. Dann setzte er sich langsam an den Tisch. Eingetrocknete Flecken und mit Wachs und Farbe gemalte Symbole bedeckten die uralt wirkende Oberfläche. Denn was er vormals für Stein gehalten hatte wirkte bei näherer Betrachtung wie Holz… nur dass es durch unzählige Jahre
langsam aber sicher zu etwas geworden war, das einem Felsen zum Verwechseln ähnlich sah. Ruben ließ sich ihm gegenüber nieder. Da waren sie nun also. Der alte , mächtige Zauberer und der von Visionen geplagte Junge ohne Geschichte. Ruben schwieg eine Weile. ,, Nun , Jaret.... beantworte mir doch bitte zunächst ein paar Fragen. Nichts Schwieriges. Ja ?“ , begann er schließlich. Seine Stimme war freundlich aber angespannt. ,, Von mir aus, aber ich...“ ,, ..Weiß nicht mehr viel über meine Vergangenheit?“ , beendete Darelto den
Satz für ihn, ,, Ja das habe ich mir gedacht. Die Vision kann Erinnerungen in manchen Fällen ändern… oder zerstören.“ Den letzten Satz murmelte er so leise, das Jaret ihn kaum Verstand. Aber die Art wie er es sagte machte ihm Angst. ,, Was soll das heißen ?“ ,, Nichts. Oder noch nichts. Erst muss ich sicher sein, vielleicht ist das alles hier nur Zufall.“ Er zuckte mit den Schultern, ,,Aber wenn nicht… dann erklärt das einiges.“ Jaret war sich nicht sicher ob er wirklich Verstand wovon der Zauberer sprach. Vielleicht wollte er das auch gar
nicht. ,, Nun, wie lange hast du diese Visionen schon ?“ , wollte Ruben wissen, während er das auf dem Tisch liegende Buch nahm und in Richtung des Regals ging. Jaret überlegte einen Moment. ,, Eigentlich schon immer, aber ich glaube vor ein, zwei Jahren hat es dann angefangen ... schlimmer zu werden. Manchmal kommen sie jetzt auch wenn ich wach bin.“ Der Magier stand einen Augenblick unschlüssig vor dem Bücherregal. Das Buch mit dem schwarzen Umschlag war wieder an seinem Platz. ,, Ich frage mich ob..... “, er zog ein
anderes Buch mit grauem Einband heraus. Dessen Seiten so schien es, waren so brüchig und vergilbt, das sie ihm zwischen den Händen zerbröseln konnten. Ruben murmelte kurz etwas und das vergilbte Papier straffte sich sichtlich. Es war nach wie vor nicht neu, aber schein doch um einige Jahre verjüngt zu sein. Mit dem magisch restauriertem Buch in der Hand trat er an den Tisch und legte es Jaret vor die Nase. ,, Kannst du überhaupt lesen ?“ , fragte er hastig, als wäre ihm erst jetzt die Idee
gekommen. ,, Ja“ , antwortete Jaret langsam. Langsam war er sich nicht mehr sicher, ob es eine so gute Idee gewesen war hierher zu kommen. Aber Ruben nickte ihm nur freundlich zu, während er das Buch kurz wieder an sich nahm ,, Es wäre auch nicht schlimm wenn nicht. Nun dann“ , er blätterte das alte Papier durch als Suche er etwas bestimmtes. ,, Kannst du mir sagen was hier steht ?“ Ruben hatte offenbar gefunden was er gesucht hatte. Er legte das Buch wieder vor Jaret hin und deutete mit einem Finger auf die aufgeschlagene
Seite. Jaret sah genau hin, aber auf der Seite selbst stand nichts. Zumindest keine Buchstaben. Nur ein einziges Symbol war darauf gezeichnet worden. Ein strahlenumkränzter Stern , der offenbar mit Blattsilber auf dem Bogen aufgetragen worden war. Die Strahlen selbst schienen stilisierte Schwerter darzustellen. Irgendetwas an der Zeichnung ließ ihn nicht mehr los… Bevor er richtig wusste, was geschah riss ihn ein erneuter Sturm unzusammenhängender Bilder mit sich. Erneut sah er eine ältere Version von
sich selbst. Die Gestalt, die gleichzeitig er war stand am Ufer eines Sees. Die Sonne verschwand grade dort wo das Wasser wieder in Land überging. Das Wasser wirkte im späten Licht wie Blut. Der Mann, der ihm selbst so ähnlich sah blickte in die Ferne, ein Schwert in der Hand. Die andere baumelte nutzlos neben dem Körper. Die Haut schien sich dunkel verfärbt zu haben. Dort am Horizont erhob sich die Silhouette einer Stadt. Eine große Staubwolke stieg in den Himmel und kam langsam auf ihn zu. Ein Vogel trug einen Schrei über das
Wasser. Mindestens ein Dutzend schwer gepanzerter Reiter tauchten aus der Wolke auf und hielten weiter ohne langsamer zu werden auf die einsame Gestalt am Wasser zu. Jaret wurde schlecht vor Angst… das war sein Tot… das konnte nicht sein… Seltsamerweise lächelte sein Visions-ich nur. Und genau in diesem Augenblick zerfiel das Schreckensbild. Langsam sah er vor sich wieder die Kammer unter dem Palast von Seminium. Und Rubens neugierige Augen, die ihn über den Tisch hinweg musterten. ,, Und ? “ Der Zauberer hatte sich zu ihm vorgebeugt und starrte ihm jetzt
direkt in die Augen. Du hast etwas gesehen?“ , fragte er als würde er die Antwort schon kennen. ,, Etwas ja “, es hatte keinen Sinn zu lügen. Auch wenn ihm etwas dazu riet. Das war nicht normal… es war gefährlich. ,, Ich weiß nicht was genau.“ ,, Faszinierend. Junge, du hast eine wirklich seltene Gabe, es sind mir eigentlich nur wenige aufgezeichnete weiterer Fälle in den letzten Tausend Jahren bekannt und davon waren die meisten wohl nur Trickser.“ Jaret war sich nach wie vor nicht sicher, ob er wirklich verstehen wollte wovon der Zauberer redete. Seine Träume, seine Visionen besser gesagt, waren
vielleicht ungewöhnlich und erschreckend, aber waren sie für einen Zauberer so wertvoll? Und vor allem… Was waren sie? Ruben sprach in der Zwischenzeit weiter: ,, Ich mache dir jetzt einen Vorschlag und ich bitte dich gut darüber Nachzudenken: Du erzählst mir alles was du siehst und ich meine damit wirklich alles, dafür dürftest du hier im Palast wohnen. Ich stelle dir Geld, Kleidung, Essen, alles zur Verfügung und alles was du tun musst ist mir erzählen was du siehst, außerdem werde ich dir Beibringen es besser zu kontrollieren. Was meinst du?“ Jaret zögerte. Ein paar seltsame Träume,
mehr war es für ihn bisher nicht gewesen. Und manchmal waren sie doch durchaus nützlich geworden. Aber wenn sich ein Wesen wie Ruben Darelto dafür interessierte.. Jaret wusste nicht ob er Angst haben oder sich glücklich schätzen sollte. Trotzdem brauchte er nicht lange überlegen. Ein Leben auf der Straße eingetauscht gegen eines an diesem Ort, wenn auch sicherlich nur in den Quartieren der Diener? Und alles was er zu tun hätte, wäre von seinen Visionen zu Berichten? Es war keine Entscheidung. ,, Einverstanden “ , sagte Jaret
laut. ,, Gut, dann sei Morgen wieder hier, dann Zeige ich dir alles.“ Ruben schien zufrieden zu sein ,, Ach.... bevor ich’s vergesse , hier.“ Er zog einen schweren Beutel aus seinem Gewand und warf ihn Jaret zu. ,, Das dürfte genug Geld sein, damit du dir was zu Essen und heute Abend ein Zimmer bezahlen kannst. Wenn noch etwas übrig ist empfehle ich dir übrigens etwas neue Kleidung zu kaufen.“ Jaret sah ihn fragend an. Er würde doch kein Geld für Kleider verschwenden, die noch so gut wie neu waren… Ruben schein seine Gedanken wieder lesen zu können oder vielleicht erriet er
sie auch nur, denn er sagte: ,, Wir werden wenn alles gut geht Morgen mit dem König sprechen und so,“, der Zauberer deutete auf Jaret , ,,Erweckst du vielleicht den Falschen Eindruck ,du verstehst ?“ Jaret konnte einen kurzen Augenblick nicht antworten. Welche Überraschung erwartete ihn als nächstes? Es schein fast als hätte es sich Ruben zur Aufgabe gemacht sein ganzes Leben über den Haufen zu werfen. Nicht das Jaret etwas dagegen sagen würde, wenn es damit endete, das er von nun an immer einen trockenen Ort zum Schlafen und etwas zu essen hätte. ,, Ja, aber…“ , er hielt kurz inne. Wollte
er wirklich noch mehr antworten? Schließlich gab Jaret sich einen Ruck. Es konnte kaum noch mehr Enthüllungen geben. ,, Eines noch. Etwas das ich nicht verstehe Woher kommen diese Visionen überhaupt? Was bedeutet das alles?“ ,, Du weißt wirklich nicht was du bist oder ?“ Ruben wirkte amüsiert und grinste breit. ,, Hast du es noch nicht erraten ?“ Er schlug das graue Buch zu, so dass Jaret den Titel lesen konnte Das Buch der Seher und darüber in goldenen Lettern geprägt der Name des Verfassers. Garret Giller. ,, Du bist ein Seher , Kind.“
Und Jaret hatte kurz Gedacht, das ihn jetzt nichts mehr überraschen könnte. Einen Namen dafür zu haben machte es nicht wirklich besser… Schließlich brachte der Hofzauberer ihn zurück bis zum Zugang des Palastbezirks. Bevor er sich verabschiedete sagte er noch: ,, Ich hoffe du hast nicht vor, mit dem Gold das ich dir gegeben habe einfach zu verschwinden.“ Jaret schüttelte nur den Kopf. Auch wenn die Idee ihren Reiz hatte. ,, Das wäre... ungesund.“ sagte Ruben in bedrohlichem Ton und dann als hätte
er ersteres nie erwähnt in völlig normalen freundlichem Tonfall: , Wir sehen uns also Morgen.“ Jaret machte sich langsam auf den Rückweg in die Gassen und Straßen der Stadt. Es dauerte eine Weile bis ihm wirklich bewusst wurde, was der Zauberer ihm alles offenbart hatte. Ein Seher. Das sollte er also sein? Nach Dareltos Aussage, hatte es neben ihm nur einige weitere Seher gegeben und der letzte sichere davon vor über tausend Jahren gelebt. Und trotzdem beschäftigten sich offensichtlich immer noch Magier mit dem Thema. Wie dieser Giller. Was für seltsame Zufälle. Sein Leben
lang, oder zumindest den Teil an den er sich erinnern konnte, hatte er damit zugebracht genau an dem Brunnen Wasser zu holen, der den Mann darstellte. Jaret fragte sich ob er wohl noch am Leben und ob er tatsächlich der Mann aus seiner Vision gewesen war. Es waren so viele neue Fragen, das er sie sich am liebsten alle aufgeschrieben hätte. Jaret entschied schließlich, dass er Ruben ja Morgen zumindest nach dem Zauberer fragen könnte. Bis dahin hatte er aber noch etwas zu erledigen. Er warf einen Blick in den Beutel den der Hofmagier ihm gegeben hatte und fand
tatsächlich Gold darin… Die Münzen waren so groß wie seine geschlossene Faust, als er eine aus dem Beutel zog. Bisher hatte er bestenfalls vergoldetes Silber oder Kupfer gesehen oder Goldstückchen so klein wie ein Knopf. Allein das Geldstück in seiner Hand war ein Vermögen. Schnell ließ Jaret es wieder verschwinden und suchte einige kleinere Münzen aus dem Beutel bevor er seine Schritte in Richtung eines der Marktplätze der Stadt lenkte. Auf den Märkten konnte man fast alles bekommen, angefangen von einfachen Gebrauchsgegenständen über
Goldschmuck und Gewürze bis zu Fellen und Waffen aus so entfernten Ländern wie dem eisigen Raven. Die Marktplätze Seminiums waren einfache öffentliche Plätze, die den Händlern gegen eine Gebühr zur Verfügung gestellt wurden und keine Extra für den Handel eingeplanten Orte. Jaret selbst hielt sich gerne hier auf. Nicht nur weil er hier leichtes Spiel hatte. Es fiel nicht wirklich auf wenn bei den ganzen Ständen und überladenen Karren mal eine Kleinigkeit verschwand. Er genoss auch das bunte Treiben generell. Trickspieler, Geschichtenerzähler und oftmals auch einfache Reisende aus den entferntesten
Winkeln des Kontinents fanden sich hier ein. Der Platz den Jaret nun aufsuchte war eine kreisrunde freie Fläche zwischen den ansonsten dicht an dicht stehenden Häuserzeilen Seminiums. Die Buden der Händler bildeten eine Art Spirale bis zum Zentrum des Platzes wo sich die Wache einen kleinen Posten eingerichtet hatte um die Übersicht zu behalten. Dieser Organisierte Aufbau war allerdings keine Idee der Händler sondern eine von der Stadt auferlegte Verpflichtung. Zu schnell ging sonst alles im Chaos unter und viel wichtiger, niemand konnte mehr überprüfen wer
von den Anwesenden Händlern wirklich eine Lizenz besaß. In der Mitte des Platzes stand eine Statue des Gottes Nundinor des Gottes des Handels und des Handwerks allerdings auch der Schutzherr der Diebe. Eine ironische Entwicklung wenn man bedachte, dass es meist die Händler waren, die am ehesten unter den kleineren Diebstählen zu leiden hatten. Auf dem Markt angekommen, suchte Jaret einen Stand der Kleidung verkaufte. Es gab hier dutzende davon. Einige verkauften teure gefärbte Stoffe und Seiden aus Hama, der Stadt der Seen, manche wiederum einfaches Leinen, das
sie größtenteils an die Schneider Seminiums weiterverkauften. Jaret selbst ging an den Ständen der Seidenhändler vorüber. Er wollte nichts zu teures. Nein, dachte er. Das stimmte nicht ganz. Er war es nur nicht gewohnt, sich überhaupt etwas neues zuzulegen. Jaret wich einigen mürrisch aussehenden Wachposten aus während er weiterhin einen passenden Stand suchte. Er fand bald einen Händler, der einfache, aber solide Kleidung aus Leinen und Lederwaren anbot. Ein älterer Mann, der mit einigen Münzen herumspielte führte das Geschäft. ,, Was darfs denn sein ?“ , fragte er mit einem Blick auf die abgerissene Gestalt
Jarets. Allerdings nicht abwertend, sondern mit einer Spur Mitleid. Umso überraschter war er wohl, das Jaret nicht bloß ein Streuner war, von denen es in der Stadt mehr als genug gab, sondern tatsächlich ein Kunde. Er sah sich kurz um, entscheid sich dann für ein grob gewebtes aber sauberes Leinenhemd, ein paar, offenbar bereits mehrfach geflickte, Schuhe aus Leder, einen Gürtel und vor allem einen neuen Rucksack. So ungern sich Jaret auch von dem Alten trennte, der geflickte Sack aus Leder und Stoffstreifen war kaum mehr zu gebrauchen. Der Händler legte ihm die Sachen sorgfältig
heraus. ,, Ich hoffe du kannst wenigstens mit etwas bezahlen.“ , meinte er. ,, Ich erlass dir die Schuhe wenn…“ ,, Vielen Dank , aber… ich glaube ich komme klar.“ , meinte Jaret und reichte dem Mann einige kleinere Goldmünzen. Dieser besah sich die Geldstücke einen Moment. ,, Die sehen echt aus.“ ,, Die sind echt.“ , erklärte Jaret. Er könnte wirklich in Schwierigkeiten bekommen, wenn der Mann die Wachen rief. Auch wenn eine Überprüfung das Geld als echt erweisen würde, war es doch sehr ungewöhnlich mit einer solchen Summe herumzulaufen. Besonders für
ihn. Der Mann sah sich kurz nach den Wachen um. Jaret seufzte. Schließlich schien der Händler einen Entschluss zu fassen. ,, Ich will gar nicht wissen woher jemand wie du die hat.“ Offenbar war er damit zufrieden bezahlt zu werden. Jaret packte die Sachen rasch in den neuen Rucksack. Anziehen würde er sie erst Morgen. Jetzt jedoch wollte er sich noch etwas zu Essen besorgen. Es war ein gutes Stück nach Mittag und es schein eine Ewigkeit her zu sein, das er sich mal mehr als eine ordentliche Mahlzeit am Tag hatte erlauben
können. Er fand bald einen Stand am Rande des Überlaufenden Marktes der Suppe verkaufte. Eine einfache Brühe aus vermutlich schon mehrfach ausgekochten Knochen, aber immerhin warm. Nach einem Teller Suppe begann er unschlüssig über den Platz zu laufen. Den Rest des Tages über blieb ihm nicht viel zu tun. Es war erst Mittag, um eine Herberge würde er sich erst heute Abend kümmern müssen. Er hatte keine wirklichen Freunde von denen er sich verabschieden könnte. Eine der Fischerinnen am Fluss vor der Stadt
vielleicht. Zumindest hatte ihm die Frau immer mal wieder etwas zu Essen zugesteckt. Er entschied noch einmal zum Stadtbrunnen zu gehen. Der Ort war mittags ein Punkt an dem sich die Städter trafen um zu tratschen und Neuigkeiten auszutauschen. Gegen Mittag wurde es im Sommer entsetzlich warm und es war eine Wohltat am Rand des Brunnens in dem feinen Sprühnebel der Fontänen zu sitzen und sich so zumindest etwas abzukühlen, den Geschichten der Reisenden und der Wanderhändler, der Soldaten und Adeligen zu lauschen … es waren grade die Abenteuerlustigsten Gestalten, die
sich dort versammelten. Jaret hörte gerne den Reisenden zu, die berichteten, wie sie sich in den bergen mit Räubern oder in den Wäldern mit Wölfen und schlimmeren rumschlagen mussten. Er lauschte den Erzählungen der Soldaten die von der Grenze zurückkehrten und hörte sich ihre Berichte über gefährliche Einsätze an , so behauptete einer von ihnen mit einer ganzen Kompanie einen Bettelmaigier verfolgt zu haben, von der letzten Endes nur er und eine Hand voll Leute übrig blieb um den Zauberer zu richten. Der Rest verwehte nun als Asche im Wind. Bettelmagier war der allgemein übliche Name für Zauberer die als Räuber oder
Einsiedler lebten, entweder aus freier Entscheidung zur Einsamkeit oder weil sie keine andere Wahl hatten. Sie waren oft schlecht ausgebildet und die mächtigen Zauberer des Reiches von Arbitrium lachten über diese Wald und Wiesen Magier, aber für einen normalen Menschen stellten sie wohl trotzdem einem furchterregenden Gegner da. Aber auch unter ihnen gab es einige, vor allem jene die als Einsiedler lebten, welche durchaus mit den Magiern des Reiches mithalten konnten, wenn sie diese nicht sogar in Manchen Disziplinen wie beispielsweise der Heilkunst übertrafen. Denn Reichsmagier wurden von den Akademien
vor allem für den Kriegseinsatz ausgebildet. Nichts wirkte abschreckender auf Feinde als eine durch Zauberer unterstützte Armee, waren doch Magier alleine schon eine tödliche Bedrohung und konnten selbst im Alleingang schnell ganze Schlachtordnungen auseinander treiben. Er lauschte all diesen Gesprächen mit der einfachen Begeisterung eines Kindes. Träumend von den fernen Orten von denen diese weitgereisten Männer und Frauen berichteten. Und dabei kam ihm nun der Gedanke, dass er es nun vielleicht einmal selbst hier raus schaffen würde. Zumindest aus
der Stadt und vielleicht sogar bis an die Grenze nach Egarium. Die Zeit verging wie im Flug und so überraschte es ihn, als er sich plötzlich umsah und feststellte, dass bereits der Abend dämmerte. Der Platz um den Brunnen wurde von der langsam hinter der Stadtmauer versinkenden Sonne in oranges Licht getaucht und die meisten Reisenden waren bereits verschwunden. Vermutlich befanden diese sich bereits in den Gasthäusern Seminiums, wo die Geschichten, beflügelt durch reichlich Bier, wohl noch einmal ein Stück farbiger Ausgemalt werden würden. Jaret
hatte trotzdem keine Eile selbst eine Herberge zu finden. Notfalls würde er eben eine letzte Nacht im Freien verbringen müssen. Beinahe hätte er sich auch am liebsten dafür entschiede. Das Geld würde doch nur erneut zu Fragen führen. Langsam ging er die Hauptstraße hinab in Richtung der weniger reichen Stadteile. Die Herbergen hier in der Nähe des Palastes waren unbezahlbar, selbst mit dem Gold das er noch übrig hatte und er wollte nicht mehr davon ausgeben als für den Augenblick nötig. Schließlich fand er was er gesucht hatte, eine Seitenstraße die ihn in eines der
Handwerkerviertel der Stadt bringen würde. Schmiede, Schuster, Möbelmacher und Schneider, aber auch eben Gastwirtschaften, all diese Berufe und Geschäfte ließen sich hier finden. Diese Bezirke hatten, ähnlich den Armenvierteln, ihre eigenen ungeschriebenen Regeln. Hier waren weder der Adel noch die Armen gerne gesehen. Erstere waren allerdings die häufigsten Kunden, so dass sie so gut wie nichts von den Beschwerden der Handwerker und Händler über Steuerlasten und Kriege mitbekamen. Letztere hingegen, die Bettler und Diebe wurden so schnell es geht vertrieben. Jaret hoffte nur das er
damit keine Bekanntschaft machen musste denn noch trug er seine alten Kleider die ihn hier schnell in Schwierigkeiten bringen könnten. Die Selbstbewussten Bewohner dieses Bezirks achteten aufeinander und miteinander über ihre Geschäfte. Jaret ging die gepflasterte Straße hinab und hielt die Augen nach einer Herberge offen. Die Häuser in diesem Viertel waren aus Holz aber oftmals mit kunstvollem Fachwerk verziert. Meistens handelte es sich dabei um Darstellungen aus dem alltäglichen Leben der Bewohner. Die Darstellung eines Mannes der an einem Amboss arbeitete beispielsweise wies auf einen Schmied
hin und das in den Putz gekratzte Bild einer Schere wiederum auf einen Schneider. Andernorts fanden sich auch in den Putz gekratzte Symbole. Stilisierte Blumen, Tiere aus der Wildnis… Es war umso vieles schöner als die verfallenen Hütten, die Jaret gewohnt war und hatte seinen eigenen Charme. Wenn man ihn vor die Wahl zwischen Palast und einem dieser kleinen aber soliden Hütten gestellt hätte, er hätte wohl die Fachwerkbauten genommen. Langsam ging er weiter Gasthäuser hörte man in Seminium meist bevor man sie sah. Da diese meist
auch als Schenke dienten, war das lachen und lallen der Betrunkenen, besonders wenn es schon später wurde, unverkennbar. Jaret meinte etwas weiter die Straße entlang ein solches Haus zu sehen und vor allem eben zu hören. Er machte sich wenig Gedanken über die Betrunkenen. So viel er im besten Fall weniger auf. Jaret ging die Straße hinab bis er das Gasthaus erreichte. Bevor er jedoch hineingehen konnte, sprach ihn jemand an. ,, Hey, du Junge, was machst du um diese Zeit noch hier draußen ?“ Tatsächlich war es mittlerweile fast
vollständig dunkel. Als Jaret sich umdrehte sah er hinter sich einen Mann mittleren Alters stehen. Er trug eine Lederschürze und ein grob gewebtes Leinenhemd. Offenbar ein Schmied oder vielleicht ein Gerber. ,, Ich suche nur noch einen Schlafplatz“ , antwortete Jaret . Er wollte keinen Ärger bekommen und der Fremde wirkte misstrauisch genug ihm welchen zu machen. ,, Und mit Schlafplatz meinst du nicht zufällig den Pflasterboden ?“ ,fragte der Mann spöttisch mit einem Blick auf Jarets Schuhe und Kleidung. Er hatte doch damit gerechnet, dass ihm das noch Schwierigkeiten bereiten
könnte. ,, Ich habe Geld “ , erklärte Jaret, ,, Ich suche lediglich eine Herberge.“ Er nickte in Richtung der hell erleuchtenden Fenster auf der anderen Straßenseite. ,, Natürlich. Und wem hast du das gestohlen?“ , fragte der Mann. Er wirkte nun allerdings nicht mehr ganz so misstrauisch. ,, Ach ist mir eigentlich auch egal.“ , meinte er schließlich. ,, Wenn du ein Dach über dem Kopf suchst das dich nicht die Welt kostet, aber trotzdem sauber ist versuchst du es am besten bei Luthers Spelunke da vorne.“ Dabei deutete er auf das Haus, zu dem Jaret sowieso schon hatte gehen
wollen. ,, Danke “ , rief er noch über die Schulter hinweg, war aber bemüht, so schnell wie möglich wegzukommen. Sein Glück, so schien es, hatte er heute schon überstrapaziert. ,, Keine Ursache. Ich bin übrigens Warren.“ , rief ihm der Mann hinterher. ,, Pass auf dich auf .Vielleicht sieht man sich ja wieder.“ Jaret hatte die Begegnung schon wenige Meter weiter fast wieder vergessen und sollte lange Zeit nicht mehr an den Schmied denken. Als er die Gaststube betrat interessierte es ihn auch schon nicht mehr.
In der Schenke selbst war nicht viel los. Ein paar Tabajaxie saßen zusammen an einem Tisch und Würfelten, wobei, dachte er, vermutlich keiner Ehrlich blieb. Er bemerkte wie mehr als einmal ein Würfel heimlich unter einer Hand verschwand und ein anderer dafür wieder auftauchte. Auch Jaret war nicht völlig frei von Vorurteilen. Zwei ältere Menschen spielten eine Art Kartenspiel und einige einsame Seelen saßen ihr Bier oder ein Glas Wein vor sich an ihren Tischen und sahen ins Leere. Der Besitzer, bei dem es sich wohl um
Luther handelte, stand hinter einem Tresen neben dem eine Treppe ins nächste Stockwerk führte. Er war ein etwas untersetzter, älterer Mann, dessen graue Haare schon licht wurden. Doch die krumme, offenbar schon mehrfach gebrochene, Nase und die hakenförmige Narbe über seinem linken Auge verrieten dass er sich nicht scheute bei einer Schlägerei dazwischen zu gehen. Er hatte natürlich sofort den Jungen in der abgetragenen Kleidung und dem Rucksack entdeckt. Den ganzen Weg bis zum Tresen musterte er Jaret mit wachen Augen. ,, Zimmer oder Mahlzeit?“ , wollte Luther nur wissen. Sein Tonfall verriet,
dass ihm wohl egal war, wer Jaret war, oder was ihn sonst noch hertrieb. ,, Ein Zimmer.“ , sagte Jaret. Die Kneipe machte von Außen zwar einen etwas heruntergekommenen Eindruck, war innen aber sauber und gepflegt, wenn auch nicht unbedingt neu. Nachdem er dem Wirt ein paar Münzen gegeben hatte, die dieser Wortlos einsteckte, gab der ihm einen Schlüssel und erklärte dann, die Zimmer seien die Treppe hinauf. Sobald Jaret seinen Raum gefunden hatte, legte er sich sofort aufs Bett und schlief, den Kopf noch voller Gedanken, ein.