Die Schlucht der Elfen
Mit einem lautem Röhren durch schnitt das schwere Motorrad, das die kurvige Bergstraße hinauf donnerte, die Stille der Bergwelt. Frank war in seinem Element. Nur er, die Straße und seine Maschine, mit der er den Berg bezwingen konnte. Er war ein erfolgreicher Manager, der verschiedene Firmen als Berater zur Seite stand. Wann immer es Schwierigkeiten gab, bei denen die Natur dem Fortschritt im Wege stand,
war er ihr Mann. Es gab nichts, was nicht mit Hightech zu lösen war. Über irgendwelche grünen Spinner, die über angebliche vom Aussterben bedrohte Froscharten jammerten, konnte er nur müde lächeln. In seiner knappen Freizeit fuhr er am liebsten Motorrad. Und die beste Herausforderung war eben diese Bergstraße mit ihren steilen Kehren. Jetzt kam eine Rechtskurve. Er nahm sie so eng, dass sein Helm fast die Felswand streifte. Dann richtete er sich wieder auf, um sofort in die nächste Linkskurve zu gehen. Dann kam eine lange Gerade, bei der er den Gashebel voll durchdrehen
konnte, worauf eine weitere Linkskurve folgte. Er nahm nur leicht Gas weg und legte sich in die Kurve. Nur wenige Millimeter trennten sein Knie von der Straße. Was er nicht bemerkte, war das nasse Laub in der Kurve. Diese Art von Bergstraßen haben keine Leitplanken, damit sie im Winter besser geräumt werden können. Die Maschine rutschte auf dem Laub aus und flog von der Fahrbahn. Frank sah, wie in Zeitlupe, wie er sich von seiner Maschine trennte. Wie ein Astronaut auf Weltall Spaziergang, dachte er sich noch. Schließlich zerschellte seine geliebte Maschine an der Felswand
und ging in Flammen auf . Er selbst landete auf einem steilen Wiesenhang und kullerte nun unaufhaltsam talabwärts. Hilflos musste er feststellen, dass er auf einen Wald zu raste. Als er mit voller Wucht den ersten Baum traf, wurde ihm schwarz vor Augen.
Als er wieder erwachte, befand er sich auf einer Art Lichtung. Kleine Wesen schwirrten um ihn herum. Schmetterlinge? Er sah noch etwas verschwommen und öffnete das Visier seines Helms. Die kleinen Wesen stieben nach allen Richtungen auseinander. Frank setzte sich auf. Wie es aussah. War er nicht schwer
verletzt. Jeden falls war nichts gebrochen. Er nahm seinen Helm ab und sah sich um. Eines der kleinen Wesen näherte sich ihm wieder. „Wer seid ihr ?“,fragte er. „Wir sind die Elfen der Schlucht, Frank“, antwortete das Wesen. Frank war erstaunt. Woher kannten sie ihn? „Wir können die Gedanken der Menschen lesen. Ihre Hoffnungen, ihre Träume und ihre Wünsche.“ Die Elfe flatterte um ihn herum, als wolle sie an seinem Kopf etwas ablesen. „Und deine gefallen mir ganz und gar nicht“, stellte sie fest. Noch ehe er ihr etwas entgegnen konnte, hatte sie einen Zauberstab in der Hand und
fuchtelte damit herum. Ein Regen aus Glitzerstaub ergoss sich über ihn und es war ihm, als würde die ganze Welt um ihn herum wachsen. Schnell merkte er, dass nicht die Welt es war, die wuchs, sondern er schrumpfte, bis er so groß war, wie die Elfe, die am Boden neben ihm landete. Sie musterte ihn von oben bis unten. So, jetzt ist es besser. ,stellte sie zufrieden fest. Nun kamen auch die anderen Elfen an geflattert, um den Neuankömmling zu begutachten. „Was soll das ?“, schimpfte Frank. „Mach mich wieder groß !“ Die Elfe schüttelte den Kopf. „Nicht, bevor du eine Weile bei uns gelebt hast. Nicht
bevor du begriffen hast, was du zerstörst.“ Sie nahm ihn bei der Hand und ehe er mit bekam, was passiert, Hob sie mit ihm ab und sauste mit atemberaubendem Tempo durch die Luft. Schließlich landeten sie auf einer Staumauer. Der Stausee, an dessen Planung er vor ein paar Jahren beteiligt war. „Wir erzeugen hier Strom für viele Menschen“, versuchte er sich zu verteidigen. „Dann pass mal auf !“, sagte sie und wirbelte ihn herum, wie einen Kreisel. Als er wieder zum Stillstand kam, sah er ein unverbautes, tiefes Tal. Sie nahm ihn wieder bei der Hand und sauste nun mit ihm in die
Tiefe. Sie zeigte ihm die ganze Vielfalt des Lebens in diesem Tal. Dann flogen sie zurück. Als sie wieder bei den anderen Elfen waren, stemmte sie ihre Arme in die Hüften, sah ihn streng an und sagte. „Das alles gibt es jetzt nicht mehr. Nur wegen deinem blöden Strom.“ Die nächsten Tage lernte er viel von den Elfen. Wie sie sich um die Tiere des Waldes kümmerten, wie sie dafür sorgten, dass die Pflanzen gediehen und wie sie von und mit der Natur lebten. Frank wusste nicht, wie viele Tage vergangen waren. Doch eines Tages sagte die Elfe zu ihm, dass er jetzt wieder zu den Menschen könne.
„Hier, damit du uns nicht vergisst “, sagte sie und setzte ihm ihren kleinen grünen Filzhut auf. Und jetzt, gute Heimreise.“ Sie fuchtelte wieder mit ihrem Zauberstab, aus dem Glitzerstaub sprühte. Frank wurde auf einmal müde. Ihm fielen die Augen zu. „Und vergiss nicht, was du hier gelernt hast. Hörst du mich?“ Frank fiel in einen tiefen Schlaf. „Hörst du mich ?“, lauschte er der immer schwächer werdenden Stimme der Elfe. „ Hören sie mich?“ Die Stimme wurde wieder lauter. „Hallo, hören sie mich.“ Frank spürte ein Tätscheln an seiner Wange. Er schlug die Augen auf. Er lag immer noch an
dem Baum, an den er geprallt war und neben ihm kniete ein Mann von der Bergrettung. Aber das war doch unmöglich. Hatte er das alles nur geträumt? „Wie lange liege ich denn schon hier ?“, stammelte Frank noch ganz benommen. „Vielleicht eine Stunde. Ein Autofahrer hat das brennende Motorrad gesehen und uns alarmiert.“ Er rappelte sich auf. Instinktiv griff er in seine Jackentasche und hatte einen kleinen grünen Filzhut in der Hand. „Ein Glücksbringer ?“, fragte ihn der Bergretter. „Das kann man wohl sagen“, antwortete Frank. Er schloss das Hütchen ganz fest in seine Faust.
„Das kann man wohl sagen“, flüsterte er noch einmal zu sich selbst.